„Es geht um Unterhaltung!“

■ Die Bremer Folk-Initiative feiert 10jähriges / Über Niveau, Nachwuchs, heiße Sets und Seele

Jens-Peter MüllerFoto: Tristan Vankann

Mit einem großen Folk-Festival feiert die Bremer Folk-Initiative am Wochenende ihr 10jähriges Bestehen (zum Programm vgl. Kasten unten). Die taz sprach mit Jens-Peter Müller, der seit acht Jahren als Musiker und Organisator bei der Folk-Initiative mitmischt, in der Gruppe „Sommerfolk“ norddeutsche und skandinavische Musik und bei „Kunterbunt“ aus Grasberg Folk und Lieder für Kinder macht.

taz: Was ist überhaupt Folk?

Jens-Peter Müller: Als wir vor 10 Jahren angefangen haben, war das eine reine Konzertgeschichte, Folk auf der Bühne, eigentlich ist das ja das 'zweite Leben' des Folk; auch da geht es aber um Handgemachtes, um den Kontakt zum Publikum. Seit Jahren ist Folk jetzt auch bei uns als Tanzmusik entdeckt, das ging mit dem

Mittsommernachtstanz los vor 6 Jahren. Wenn wir auf die Weserwiesen gehen, kommt das unglaublich gut an, da können andere Musiker unkompliziert mitmachen.

Folk: ist das ein Relikt aus der Liedermacher-Zeit: junge Männer mit Latzhosen und Bärten, Schafwoll-Pullovern...

Das hat ein ganz anderes Niveau bekommen! Die Sache ist in den 80ern ein bißchen runtergekommen, wenn sich Leute mit drei Akkorden auf die Büne gestellt haben. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland ein unheimlich hohes Niveau! Bei der Liedermacherei wurden die Leute oft einfach abgespeist mit was Billigem, mit Mitklatschen.

Was soll Folk heute?

Volksmusik hat immer eine Funktion gehabt: Hirten haben sich die Zeit vertrieben, haben über Almen hinweg kommuniziert, oder die Leute haben sich nach der Arbeit einfach vergnügt und Lieder gesungen. Das war ja die Crux der 70er Jahre, daß Leute die Volksmusik entdeckt und viel von gesellschaftlicher Relevanz erzählt haben: eine ziemlich verkopfte Geschichte. Dabei geht es um Unterhaltung, seit Jahrhunderten, bis heute! Wenn Du heiße Volkstanzmusik hast, kannst Du durchaus in einen anderen Bewußtseinszustand kommen, auch ohne religiösen Hintergrund. Auch das hat mit Ent-spannung zu tun.

Folk in Bremen geht ja mehr zu den fremden Wurzeln als zu den eigenen, ist doch musikalisch und von den Texten her hauptsächlich Import, irischer, skandinavischer...

Plattdeutsches Lied spielt hier schon eine Rolle. Und ich find es außerdem richtig, Fremdes nachzuspielen, wie die Jazzer das mit ihrem Charlie Parker auch machen. Dann entdeckt man auch Eigenes, und bei unseren Tanzabenden im Lagerhaus sind jetzt immer auch norddeutsche Sachen dabei, zum Beispiel der Stopp- Galopp.

Über die Tanzmusik wurden in den letzten Jahren bei uns ausländische Bands richtig entdeckt, wo die Leute geschichtlich nicht so belastet waren wie wir in Deutschland und einen ganz anderen Zugang hatten zu den eigenne Traditionen. Den selbstbewußten Umgang mit der eigenen Tradition können wir von ausländischen Gruppen lernen, das darf man nicht nur den Rechten überlassen, die sich dann die „tümelnden“ Aspekte herausgreifen. Volksmusik war schließlich immer auch aufsässig, Volkstanz hieß auch: Wir tanzen nicht nach eurer Pfeife, Tanz hatte immer auch eine erotische Komponente.

Reicht denn pure Tradition, um die Herzen höher schlagen zu lassen? Hat es nicht etwas rührend Unschuldiges, wenn man mit Drehleier und Knopfakkordeon auftritt vor den 18jähigen mit ihren Disco-Hörschäden?

Gruppen wie Groupa aus Schweden und Blowzabella aus England machen Instrumentalmusik unglaublich heiß, was man sonst dem Rock nachsagt: auf hohem Niveau, ausgebildet, versiert, mit Tricks, natürlich auch mit Technik. Unglaublich stimmig wird Modernes und Traditionelles zusammengeführt: Drehleier oder Dudelsack mit Saxophon...

Trotz einiger moderner Instrumente ist Folk aber doch musikalisch nicht „modern“ im Sinne von Brüchen, Disharmonien...

Nein. Aber es gibt eine große Vielfalt bei den aktuellen Sachen. Das hätte es vor sechs Jahren nicht gegeben, daß Groupa und wir und Letten und eine afrikanische Gruppe auf dem Markt zusamenspielen.

Folk ist das Einfache, Unkomplizierte zum Mitmachen, zum Mittanzen, das auch mal eine Ohrwurm abgibt...

Wir machen dreierlei: Konzerte, Folk-Sessions und Tanzgruppen. Dabei können Leute sofort mitmachen, bei den leichten Sachen. Wenn Scarp am Freitag spielt, sagen sie bloß 'wir spielen schottisch' oder 'ne Bouree oder Polka, dann werden sich Leute unten einfinden und ohne Erklärung tanzen.

Kommt Ihr mit dem Folk überhaupt ran an die Generation der Kids mit Video-Clips, mit TV im Bad, mit Walkman auf dem Fahrrad? Die Kulturbedürfnisse heißen heute doch nicht Drehleier und Dudelsack, sowas Rührend- Altmodisches: Habt Ihr Nachwuchsprobleme?

Es ist nicht mehr so wie in den 70ern, daß die Leute hinrennen, wenn es Folk gibt. Wenn da „Irish Folk“ steht oder „keltische Nacht“, das läuft allerdings immer. Es gibt auch Festivals mit Drehleiermusik und Oberton- Musik und Tanz, die sind jedes Jahr ausgebucht. Und das Interesse an handgemachter Musik ist riesig. Und gerade Bordun-Musik, mit Drehleier und Dudelsack, dieser Dauerton: der rührt dich an in der Seele.

Fragen: Susanne Paas