»Mir sagt Hamlet nichts«

■ Beiprogramm des Theatertreffens: Der italienische Regisseur Cesare Lievi im Spiegelzelt

Die durchweg positiven Zuschauerreaktionen auf seine Burgtheater-Inszenierung von Trakls Blaubart wurden für Cesare Lievi nur durch eins getrübt: die ständige Frage der Deutschen nach dem Sinn und dem Warum des Abends. Lievi hat aus dem nur achtseitigen Fragment von Trakl eine immerhin 70minütige Aufführung geschaffen, die sich rein assoziativ mit Leben und Tod, Erwachsenwerden, dem Blaubart-Mythos und Trakls Beziehung zu seiner Schwester beschäftigt.

»Ein Puppenspiel« ist das Fragment untertitelt, und obwohl bei Lievi Menschen spielen, ist die Bühne seines verstorbenen Bruders Daniele auf höchstens zwei Meter mal zwei Meter Rahmen verkleinert. Selten sieht man die Spieler in ganzer Größe: Die Bühnenöffnung verschiebt sich zu schmalen Schlitzen oder winzigen Fenstern, die nur einen Blick auf Hände, die Beine oder das Gesicht gewähren. Der Text — zunächst beklemmend real vorgetragen, dann zunehmend hölzerner, weniger lebendig, »puppenhafter« — setzt zusammen mit der Lichtführung und der verwendeten Musik alptraumhafte Visionen frei, die auf der Bühne zu Mord und Selbstmord führen. — Was will uns dieser Abend sagen?, fragte sich wohl so mancher nach der Vorstellung. Forderungen nach 1:1-Theater wurden laut, dem realistischen Theater mit Wiedererkennungseffekt. So gut es wohl fast jedem gefallen haben mochte — sich einfach nur den Bildern hinzugeben, getraute man sich nicht.

Cesare Lievi nutzte das obligatorische Gespräch im Spiegelzelt für einen amüsanten Vergleich zwischen dem italienischen und dem deutschen Publikum, der die ansonsten so spröden und oft unergiebigen Diskussionen an diesem Ort mit italienischem Temperament für eine Weile vertrieb.

Das italienische Publikum sei freier und neugieriger im Umgang mit Theater. Der Deutsche liebe das gesprochene Wort und glaube, damit alles ausdrücken zu können. Dem Italiener sei es egal, was er sagt, er möchte nur überzeugen: »Italiener freuen sich, wenn ein Stück nichts sagt. Sagt es nichts, na gut, dann sagt es nichts, und die Welt geht nicht kaputt. Zum Beispiel Hamlet: Ich muß sagen, es ist ein wirklich großes Stück. Aber mir sagt Hamlet nichts! Und ich bleibe trotzdem da und seh' es gern.« Anja Poschen