Die elitäre Ruhe

■ Nach Becketts »Endspiel« im Spiegelzelt: Bonmots als Antworten auf die Sinnfrage

Kann man auf das Werk Bekketts besser reagieren als jene Dame, die mitten in der letzten Aufführung des »Endspiel«s in Ohnmacht fiel? Zumindest erscheint es folgerichtiger, als sich aufs schwafelige Parkett der Worte zu begeben und in After-Diskussionen die Wahrheit, den Sinn, die Essenz beziehungsweise deren Nichtvorhandensein zu bereden.

Aber dem Berliner Theatertreffen ist das legitimierende Nach-Gespräch im Spiegelzelt heilig, darum findet es immer wieder statt und reproduziert, wie sich das für eine Tradition gehört, die immer gleichen Fragen, Zweifel, die eitlen und hilflosen Ausweichgefechte.

Peter Roggisch, Darsteller des Hamm in Jürgen Goschs Bochumer Inszenierung des »Endspiels«: Sie wissen alle, wenn Beckett noch leben würde, daß er heute abend hier nicht wäre. Das war sozusagen seine Signatur. Ich seh' nicht ein, warum ich das überkompensieren soll.

Zuschauer: Warum haben Sie so geschrien?

Roggisch: Das steht da so drin. Heftig steht da so drin.

Zuschauer: Heftig ist nicht schreien.

Roggisch: Ja danke, daß sie mich belehren. Ich muß darüber nachdenken.

Die textgetreue Inszenierung, die Gosch auf dem Treffen präsentieren durfte, war in ihrem Purismus eine wenn nicht einzigartige, so doch bemerkenswerte Vorstellung, der das Motto vorstand: Bei Beckett steht schon alles, die riesige Literatur über Beckett brauchen wir nicht.

Interviewer: Sie wollten also nicht schlauer als Beckett sein?

Dramaturg Gerhard Deutsch: Ich glaub' nicht, daß es zu schaffen ist.

Beckett pur, das heißt eine Verweigerung, durch das Spiel Antworten zu geben, das heißt mit dem radikalen Kehrbesen eine vierzigjährige Wirkungstradition abzustauben, das heißt auch ein Abgeben der interpretatorischen Verantwortung — zurück an den Autor und frontal an das Publikum. Rohes Fleisch — zum Braten freigegeben — aber bitte: erlaßt uns den Mördergeruch der angebrannten Substanz.

Interviewer: Ich glaube, die Quintessenz des Abends ist null zu null.

Die große Provokation ist das sicher nicht, nicht mehr — auch wenn im Spiegelzelt vereinzelte Stimmen — mehr oder minder verklausuliert — danach fragten. Die Konvention, die Institution übt ihre Macht aus und ist nicht bereit, ideologische Lösungen anzubieten. Das große Rätsel wird neckisch gestreift, um es dann an seinem Ort zu lassen: das Dunkle, das Nichts wird hell angestrahlt, wem es dabei nichts sagt, dem gibt es auch keine Antwort. Die an der Arbeit Beteiligten assimilieren sich mit diesem Vorgang und führen das Gespräch darüber ad absurdum.

Der Schauspieler: (bestimmt) Was noch komischer als das Unglück ist? Das herauszufinden ist jetzt nicht meine Aufgabe. Ich finde nur nach wie vor, daß das Unglück in der Welt nicht komisch ist ... (leiser) oder? — Der Interviewer: (loyal) Da müssen sie Beckett fragen.

Was bleibt, sind technische Fragestellungen, das Schauspielerhandwerk betreffend. Und tatsächlich wirken die direkten Beschreibungen von der Probenarbeit (»Heiß war's«) wesentlich ehrlicher als der schüttere Versuch des Dramaturgen, der Sache eine mythische Aura zuzusprechen: Was er beim Mittagsgespräch noch spannend und rätselvoll als theatermagisches Resultat der Probenarbeit beschrieb, daß es nämlich von äußerster Wichtigkeit sei, die Schauspielkollegen die ganze Zeit physisch in Becketts berühmten Mülltonnen zu belassen, wurde am Abend von der Darstellerin der Nell — Hedi Kriegeskotte — kurzerhand ausgehebelt: »Natürlich machen wir entweder gar nichts, oder wir machen Winkewinke oder damit Clov was zu lachen hat, irgendwas, was uns dann gerade einfällt.«

Zuschauer: Warum spielen Sie gerade dieses Stück heute?

Dramaturg: Ich will jetzt nicht erzählen, wie Spielpläne an einem Haus entstehen. Aber zum Teil träumen Regisseure davon, mit einer bestimmten Schauspielerkonstellation arbeiten zu können. So nähert man sich an und sucht einen bestimmten Text... Das klingt banal und ist es vielleicht auch.

Der Theaterbetrieb hat seine Legitimation, seinen Spaß und seinen Ernst in sich selbst. Und seine traditionelle Arbeitswut: Regisseur Jürgen Gosch und Bühnenbildner Johannes Schütz sind längst andernorts mit Endproben zu neuen Stücken beschäftigt.

Zuschauer: Was bringt uns denn dieses Stück gerade heute.

Dramaturg: Dazu werden Sie von uns allen hier am Tisch keine Hilfe kriegen; denn wenn der Abend Ihnen nichts gesagt hat, dann könne wir das jetzt nicht nachholen.

Der gesellschaftskritische Impetus ist ganz ins Programmheft gerutscht: nicht in ausufernde Aufsätze — das Buch gebärdet sich puristisch wie die Aufführung und gibt nur den Text Becketts wieder — das kritische Mahnmal findet sich auf der Rückseite in einem kleinen, alle Bochumer Programmhefte schmückenden Anti-AKW-Emblem wieder.

Schauspieler: Wir sind schon ganz froh, wenn Sie etwas erleben.

Ich erinnere mich an Jahre, da es nach einer Aufführung im dicht gefüllten Spiegelzelt rumorte, die Wellen des Engagements hochschlugen, der kontroverse Diskurs um Überzeugung rang. Die Stimmung ist mittlerweile bedächtig geworden, die elitäre Ruhe der immer etwas gelangweilt dreinschauenden Insider hat sich durchgesetzt. Die Sinnfrage scheint so naiv zu sein, daß man sie nicht zu stellen vermag, und geschieht es doch noch, so ist die Antwort ein nettes Bonmot. Man kommt in Zitierlaune und hält sich bedeckt. Und (fast) alle sind zufrieden.

Zuschauer: Wird die konsequente Reduktion des Spiels durch den Schlußapplaus nicht aufgehoben?

Roggisch: Die Leute mögen das — glaube ich — ganz gerne. Das ist so Konvention. Was anderes ist es, ob man als Schauspieler hinterher auf eine Diskussion gehen sollte, besonders wenn es sich um Beckett handelt... Das ist nicht im Sinne des Autors. (Applaus im Saal) baal