Der Kampf um die Endabspielstelle

Die Multiplex-Kinos und ihre Folgen, gesichtet im Ruhrgebiet  ■ Von Jürgen Bischoff

Wissen Sie, was so eine Innenstadtlage an Mieteinnahmen bringt? Erdgeschoß, 600 bis 700 Quadratmeter? Mindestens 100DM pro Quadratmeter.“ Dieter Fiebig, Geschäftsführer des Gelsenkirchener Kinounternehmens „Willi Sprenger GmbH“ („gegründet 1908“) macht ein sehr ernsthaftes Gesicht, wenn er an die geschäftlichen Alternativen denkt, die sich zu seinem Kino auf der Haupteinkaufsmeile in der Gelsenkirchener Innenstadt anbieten.

Dreißig Prozent Umsatzrückgang in seinem Unternehmen gibt Fiebig für die letzten zwölf Monate offiziell zu. Inoffiziell mögen die Zahlen höher liegen. Sein Kollege Gerd Politt, niederrheinischer Kinounternehmer mit mehr als 50 Kinos zwischen Krefeld und Görlitz, mußte Mitte März sein Kinozentrum „Hollywood“ in Gelsenkirchen-Buer schließen, ziemlich genau ein Jahr nach Eröffnung des ersten sogenannten „Multiplex“-Kinos Ruhrgebiet.

Ganze sieben Jahre existierte das „Hollywood“, ein später Ausläufer der Programmkinos, aber im „Schuhschachtel“-Format. Noch im vergangenen Jahr hatten die vier „Hollywood“-Kinos 40 Filme im Programm, die sonst nirgendwo in Gelsenkirchen zu sehen waren — auch nicht in den neun Sälen der „Multiplex“-Kinos, das gemeinsam von Bernd Eichingers Neue Constantin-Filmverleih und dem amerikanischen Branchenriesen Warner Brothers betrieben wird. Schon im Spätherbst mußten die „Hollywood“-Kinos unfreiwillige Ruhetage einlegen. Politt spricht von einem Besucher- und Umsatzrückgang von 60Prozent. Montags und dienstags blieb die Leinwand dunkel.

Das komplette Produkt

Im Ruhrgebiet herrscht Kinokrieg. Mit geballter Macht sind hier große internationale Kinoverleiher und kapitalkräftige einheimische Kinoketten angetreten, den bislang noch lokal-mittelständisch geprägten „Endverbrauchermarkt“ aufzurollen. Aus der Sicht eines Konzerns wie Warner Brothers ist dies eine folgerichtige Strategie. Warner Brothers hat praktisch schon das komplette Produkt Film in der Hand: von der Produktion in den Studios über Marketing, Verleih bis hin zur Vermarktung diverser Nebenrechte, wie beispielsweise der Soundtracks. Das einzige, was — zumindest in Europa — bislang fehlte, waren die Endabspielstellen.

Der Vorteil hierbei liegt auf der Hand: Zum einen könnten gezielt die Filme des eigenen Verleihs eingesetzt werden, zum anderen müßte man nicht noch die Kasseneinnahmen mit den kleinen Krautern teilen.

Um den Markt streiten sich drei große Gruppen. Neben Warner- Constantin die „United Cinemas International“ (UCI), ein Zusammenschluß der United Artist Theatres, der Paramount Communications und MCA/Universal, sowie der junge Hannoveraner Hans-Joachim Flebbe, hinter dem der Stuttgarter Bau- und Musicalunternehmer Deyhle steht.

Noch konzentrieren sich die Kino-Komplexe der neuen Art im Westen der Republik: zwei Multiplexe in Köln (Warner) und seiner Vorstadt Hürth (UCI) und drei Zentren im Städtedreieck Gelsenkirchen (Warner), Essen (Flebbe), Bochum (UCI). Sein Pilotprojekt „Cinemaxx“ hatte Flebbe in Hannover angesiedelt. Schon in der nächsten Zeit sollen aber die anderen Ballungsräume der Republik erobert werden. Vor allem in München geht es zur Sache: Alle drei Konkurrenten sind hier im Geschäft.

Der kleine Kinokönig Flebbe setzt dabei konsequent auf die Innenstädte, während UCI nach amerikanischem Muster seine Paläste im Umfeld großer Einkaufszentren an der Peripherie ansiedelt. Warner variiert seine Strategie: In Gelsenkirchen wurde der Markt mit Kinos auf der grünen Wiese angetestet. Im Revier war es eine „Sparversion“ für 25 Millionen DM. Neun Säle zwischen 208 und 488 Sitzplätzen — insgesamt 2.500 —, mit allen Finessen der Projektion und der Beschallung.

Schon 60 Millionen DM investierten Warner Brothers in Köln, dem Renommierstandort, im geplanten Media-Park, unweit der traditionellen Kinomeile des „Rings“. „Cinedom“ heißt das 13-Kino-Center mit 3.200 Plätzen, das am 22.Dezember 1991 eröffnet wurde. Das Maß der Dinge hatte Flebbe kurz vorher in Essen vorgegeben: 5.200 Plätze in 16 „Cinemaxx“-Sälen. Bis zum Jahresende 1992 sollen noch einige weitere Kneipen und Discos im Kellergeschoß eröffnet werden.

Medienstadt Köln

Dabei sind die jeweiligen Voraussetzungen an den nordrhein-westfälischen „Multiplex“-Standorten so grundverschieden, wie sie anders nicht sein könnten: Köln, die „Medienstadt“, hat eine florierende Kinoszene, ein dank Uni, Musik- und Medienhochschule sowie derzeit sechs Rundfunkveranstaltern intellektuelles, kulturbeflissenes Publikum. Eine Million Einwohner zuzüglich der Bewohnerschaft aus der Voreifel, dem Bergischen Land und dem Niederrhein; Bonn, Leverkusen und zum Teil auch noch Düsseldorf darf man als potentielles Publikum der rheinischen Metropole ansehen. Insgesamt drei Millionen Kinobesucher pro Jahr werden in Köln erwartet.

Mit den zwei Kinozentren von UCI und Warner/Constantin hat sich im vergangenen Jahr die Zahl der Leinwände in Köln schlagartig um ein Drittel auf mehr als 100 erhöht. Trotz enorm hoher Preise — Standard im WB-„Cinedom“ sind 15DM pro Sitzplatz — drängen die Zuschauer in die Multiplexe. Die traditionellen Kinos rund um den Kölner Friesenplatz haben seit Eröffnung des ersten Multiplexes in Hürth mindestens 20Prozent Umsatzrückgang zu beklagen. Auch in Köln haben sich schon zwei Betreiber vom Markt verabschiedet: Die Münchener Krüger-Gruppe schloß im März ihre Kinos, und ein anderer Unternehmer verkaufte seine drei Theater an die Ufa, der einzigen Kinogruppe, die scheinbar noch gegen die neue Konkurrenz anstinken kann.

Riech rüstet auf

Inzwischen gehören nahezu alle Kinos am Kölner „Ring“ der Ufa von Volker Riech. Und der rüstet nach: Für insgesamt 30 Millionen Mark wird derzeit der „Ufa-Palast“ am Hohenzollernring auf Vordermann gebracht. Gleichzeitig bietet die Ufa seit kurzem Kampfpreise: Sieben Mark pro Film sollen die Zuschauer wieder vom Warner-„Cinedom“ und aus Hürth auf die Vergnügungsmeile locken.

Lediglich die verschiedenen Programmkinos berichten von einem Zuschauerzulauf. Echte Filmkunst scheint neuerdings wieder zu florieren. Verrauchte Bistros in den Kinofoyers, intellektuelle Diskussionen um Schnitt, Kameraführung und Intention des Regisseurs scheinen zumindest in Köln noch nicht ganz out zu sein. Filmexperten sprechen von einer weiteren Polarisierung des Marktes: Die wahren Cineasten finden im Multiplex nicht ihre Filme.

Im weniger intellektuellen Ruhrgebiet haben dagegen auch die Programmkinos schlechtere Chancen. Die rege Bochumer Szene rund um die älteste und vielseitigste Uni im Revier mit Studiengängen in Publizistik und Film- und Fernsehwissenschaften sowie diversen anderen kulturellen Szene-Attraktionen für den gesamten Ruhrpott sorgt für die Überlebensfähigkeit von „Cinema“ im Uni-Center, „Metropolis“ und dem Kino im Kommunikationszentrum „Bahnhof Langendreer“.

Ausgerechnet der Gründer von „Cinema“ und „Metropolis“, Wolfgang Braun, aber war es, der die Entwicklung zum Riesen-Kino forciert hatte. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ hatte er sich vor drei Jahren mit UCI verbündet und das mit 18 Sälen größte Multiplex-Kino aufgebaut. Mit dieser Offensive kam er einer Entwicklung zuvor, nach der die zwei anderen Kinoketten am Ort — darunter die Ufa — seinen Programmkinos mit Druck auf die Verleiher das Wasser abgraben wollten.

Gehobene Gastronomie

Szenenwechsel nach Essen. Status quo ante: vier rein lokal-mittelständische Kinounternehmen. Ilse Menz, die Grande Dame des Geschäfts und seit 57 Jahren dabei. Mit der „Lichtburg“ gehört ihr das immer noch größte Einzelkino in Deutschland mit 1.700 Plätzen und dem verblichenen Charme der fünfziger Jahre. Hinzu kommen fünf weitere Abspielstellen in unmittelbarer Nähe der Fußgängerzone. Eine andere Gruppe hatte mehrere Leinwände für die Projektionen der üblichen Massenware bereitgestellt. Dazu gesellen sich zwei weitere Kinounternehmer aus dem Filmkunstmilieu: Peter Hüster mit inzwischen drei Kinos unterschiedlichster Größe, jeweils in Stadtrandlage, und Rainer Schiefler mit vier Schuhschachteln in einem ehemaligen Einzelkino.

Hundert Tage nach Eröffnung von Flebbes „Cinemaxx“ am Rande der Innenstadt klagen die verschiedenen Unternehmen offiziell über Umsatzeinbußen zwischen 20 und 40Prozent. Rainer Schiefler prophezeite in 'Filmecho/Filmwoche‘: „In den nächsten zwei Jahren werden hier 50Prozent der Kinos schließen müssen.“ Die Gerüchte verdichten sich in diesen Tagen, daß Schiefler mit seinem „Broadway“ den Anfang machen muß.

Derweil freut sich Flebbe über einen Umsatz von 5,5 Millionen DM in den ersten 100 Tagen seines Essener Engagements. Davon entfielen allein 1,5 Millionen an Einnahmen auf die Gastronomie, und die im Gegensatz zu den amerikanischen Ketten nicht im Bereich des Fastfood, sondern mit Cocktail- und Pianobar und Kalbsmedaillons im Foyer des 5.200-Plätze-Kinos. Mit dazu beigetragen hat unter anderem der „Bund junger Unternehmer“, der die Möglichkeiten des Hauses schon für eine Tagung genutzt hat. Auch der Essener Messe werden Veranstaltungsräumlichkeiten im „Cinemaxx“ angeboten.

Mit ziemlich konstanten 30.000 Besuchern pro Woche ist das Flebbe- Kino auf dem besten Wege dahin, 1,5 Millionen Besucher pro Jahr anzulocken. Zum Vergleich: Im Jahre 1990 wurden in Essen insgesamt 1,3 Millionen Kinokarten verkauft. Das Publikum kommt aus den umliegenden Städten bis über Duisburg hinaus vom linken Niederrhein.

Nur 600.000 bis 800.000 Besucher pro Jahr erwartet dagegen das Warner/Constantin-Multiplex in Gelsenkirchen. Hier soll der nördliche Rand des Ruhrgebiets abgegrast werden. Doch trotz des negativen Einflusses auf die lokale Kinoszene schienen die Geschäfte in Gelsenkirchen nicht so gut zu laufen. Freitag abends kurz vor acht Uhr hält sich das Gedränge in Grenzen.

Sowohl UCI-Bochum als auch Warner-Gelsenkirchen halten auffälligerweise mit konkreten Umsatzzahlen hinter dem Berg, selbst gegenüber der Berliner Filmförderungsanstalt. Läuft's also doch nicht so gut?

Wenigstens auf andere Weise scheinen sich Warner Brothers und Bernd Eichingers Constantin-Film schadlos halten zu wollen — und das mit einer durchsichtigen Absicht: der einzige in Gelsenkirchen verbliebene Konkurrent, die Sprenger-Kinobetriebe, wird von diesen Verleihern inzwischen nur noch nach Gutsherrenart beliefert. Als im vergangenen September kurz hintereinander zwei „Manta“-Filme anliefen und der zweite davon aus dem Hause Eichinger kam, setzte die „Tobis & Constantin Vertriebsgemeinschaft“ Sprenger unter Druck: Constantin betrachte es als „unfreundlichen Akt“, wenn der Konkurrenz-„Manta-Film“ — obwohl zwei Wochen eher auf dem Markt — zuerst gespielt werde. Als Strafe verfügte Constantin: „...möchten wir nochmals festhalten, daß Sie die nächsten beiden Eichinger-Produktionen in Gelsenkirchen nicht zum Bundesstart erhalten“. Dieter Fiebig, Sprenger-Geschäftsführer: „Das war kein Einzelfall, aber ich kann nicht jedesmal zum Rechtsanwalt rennen und einen Brief an das Kartellamt schicken. Bis die reagieren, ist der Großteil des Publikums schon im Warner-Multiplex gewesen.“

Kopien künstlich knapp halten

Fiebig weiß auch noch von anderen Praktiken zu berichten. Bei einigen Filmen hält Warner die Kopienzahl künstlich knapp. „Ich habe zum Beispiel im letzten Jahr Wolfsblut nicht zum Bundesstart bekommen. Und das, obwohl 15 Zusatzkopien aus Mitteln der Filmförderungsanstalt gezogen worden sind. Mit den anderen Verleihern habe ich dagegen keinerlei Schwierigkeiten.“ Wolfsblut steht derzeit auf Platz7 der Kassenknüller des Jahres mit über zehn Millionen Besuchern. Fiebig: „Mit zwei Wochen Rückstand zum Multiplex kann ich den Einsatz vergessen.“ Warner seinerseits zeigt sich „absolut bemüht“, der Firma Sprenger „bei jedem unserer Filme eine Kopie zum Start zur Verfügung zu stellen“ (Hervorhebung durch den Verf.), das allerdings in einer Stadt mit zwei gleichwertigen Innenstadtstandorten.

Schließlich versuchen die Verleiher — und diesmal nicht nur Warner Brothers und Constantin — Druck auf Fiebig auszuüben, endlich die Eintrittspreise zu erhöhen. Noch nimmt Fiebig nur fünf Mark für die Jugend-Matinee am Sonntag, und auch die Normalpreise von 7,50DM sind den Verleihern ein Dorn im Auge. Sie sind in der Regel prozentual an den Einnahmen beteiligt, und deshalb versuchen sie derzeit bundesweit den Obolus für den Kinobesuch dem Preisniveau der Multiplexe anzupassen.

In Gelsenkirchen, wo der Warner-Brothers-Komplex unter tatkräftiger Mitwirkung des städtischen Wirtschaftsförderungsamtes angesiedelt wurde, darf man abwarten, wie lange es noch dauern wird, bis beide Stadtzentren zur kinofreien Zone verkommen. 60.000DM Mieteinnahmen für die Umwandlung des Kinos in einen Supermarkt sind für das mittelständische Kinounternehmen Sprenger allenthalben das bessere Geschäft.