Wenn Diskriminierung „normal“ ist

Polens Frauen verschwinden aus der Politik  ■ AUS WARSCHAU KLAUS BACHMANN

Als Ende März dieses Jahres die New Yorker Menschenrechtsorganisation „Helsinki Watch“ — gegründet zu dem Zweck, die Vereinbarungen der KSZE von Helsinki von unten zu überwachen — ihren Bericht über die Situation der Frauen in Polen vorlegte, da erfuhren Polens Zeitungsleser unter anderem, daß die Frauensektion der Gewerkschaft „Solidarność“ ihre Vorsitzende verloren hatte. Malgorzata Tarasiewicz arbeitet seither bei der polnischen Sektion von 'amnesty international‘. Sie war zurückgetreten, nachdem ihr die Gewerkschaftsspitze verboten hatte, im Ausland aufzutreten. Dort hatte sie sich gegen eine Verschärfung der polnischen Abtreibungsgesetzgebung eingesetzt.

Bis dahin war die Solidarność- Frauensektion vor allem durch zwei Ereignisse bekannt geworden. Im Gewerkschaftsorgan 'Tygodnik Solidarność‘ hatte sie eine Quotenregelung für die Besetzung von Führungsposten verlangt; und als der Gewerkschaftskongreß vor einem Jahr eine Erklärung zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ verabschiedet hatte, führten die Gewerkschafterinnen in Betrieben Referenden durch, die zeigten, daß die überwiegende Mehrheit der weiblichen Mitglieder gegen die Erklärung des Kongresses waren. Eine der Organisatorinnen war Barbara Labuda aus Breslau, die inzwischen Abgeordnete der „Demokratischen Union“ ist und im polnischen Parlament (Sejm) eine parteiübergreifende Frauenfraktion mitgegründet hat.

Männerpolitik

Daß Helsinki Watch, das noch in den 70er und 80er Jahren die demokratische Opposition in Polen und ganz besonders auch die Gewerkschaft Solidarność vom westlichen Ausland her unterstützt hat, nun der Solidarität die Solidarität aufkündigen muß, hängt vor allem damit zusammen, daß die Gewerkschaft im Lauf der letzten Jahre immer mehr in ein national-katholisches Fahrwasser geraten ist. Die Köpfe und Gewerkschaftsberater von einst sind abgewandert zu Parteien, Verwaltung und Wirtschaft. Geblieben sind desorientierte Arbeitervertreter, denen nicht selten das antikommunistische Feindbild von früher abgeht. Die Lage haben Politiker ausgenützt, die bei der Besetzung von Ämtern der ersten nichtkommunistischen Regierungen leer ausgingen und so die Gewerkschaft als Sprungbrett zur Karriere entdeckten.

So ist die Gewerkschaftsführung heute nicht selten über personelle und gesellschaftliche Verzweigungen an nationale und prokirchliche Parteien gebunden, zum Beispiel die „Christlich Nationale Vereinigung“ oder die „Zentrumsvereinigung“. Für diese beschränkt sich die Frauenfrage in Polen meist darauf, daß man Damen im Restaurant den Vortritt läßt und ihnen in den Mantel hilft.

Darüber hinaus unterstützen sie die kirchlichen Projekte zur Abtreibung und finden, wie es ausgerechnet ein Regierungsvertreter unlängst in Poznan auf einer Konferenz des Europarats zur Frauenfrage in Europa ausdrückte, „daß Frauen in Polen doch gar nicht diskriminiert sind“.

Der Vertreter ist Minister ohne Geschäftsbereich und heißt Artur Balazs. Unter Mazowiecki war er einmal Landwirtschaftsminister, nach Poznan wurde er entsandt, weil Polens Premierminister Olszewski (Zentrum) gerade kurz zuvor seine Bevollmächtigte für Frauen- und Familienpolitik, die streitbare Anna Popowicz, in die Wüste geschickt hatte. Anna Popowicz war für die Christnationalen — zweiter Koalitionspartner der Olszewski-Regierung — „untragbar“ geworden, nachdem sie Widerspruch eingelegt hatte gegen den neu von der Standesvertretung der polnischen Ärzte verabschiedeten Ärztekodex. Darin wird Medizinern die Durchführung von Abtreibungen unter Androhung von Berufsverboten untersagt. Popowicz fand, dieses Vorgehen sei rechtswidrig, solange das Parlament noch kein neues Abtreibungsgesetz verabschiedet habe. Wenige Wochen später wurde sie abberufen.

Neben Anna Popowicz war es vor allem Ewa Letowska, die sich für Frauenbelange einsetzte. Letowska, der bereits Dutzende Male eine Kandidatur für das Präsidentenamt angetragen wurde (darunter auch von General Jaruzelski, als dieser sich zum Rücktritt entschloß), war bis vor wenigen Monaten Bürgerombudsfrau. Kurz bevor sie abtrat, sandte sie Popowicz noch einen Brief, der auf die Diskriminierung von Frauen in Polen hinwies. Anna Popowicz blieb allerdings nur wenig Zeit, sich damit zu befassen. Eine Nachfolgerin hat sie bisher nicht, für Ewa Letowska dagegen rückte ein Mann nach.

In Jan Olszewskis Regierung fand sich zuletzt keine einzige Ministerin mehr. Auch im Parlament haben Frauen an Mandaten und Posten verloren, verglichen mit der vorhergehenden Legislaturperiode.

Männerwirtschaft

Der zum Teil erzwungene Exodus von Frauenrechtlerinnen aus öffentlichen Ämtern kam zu einer Zeit, da die Probleme von Polens Frauen immer dringlicher werden. Das gilt längst nicht nur für das leidige Thema Abtreibung, sondern vor allem für Alltagsprobleme.

In Polens noch aus der kommunistischen Zeit stammendem Sozialsystem haben die Frauen zahlreiche Privilegien und Rechte, die sich in der marktwirtschaftlichen Ordnung nun gegen sie richten. So führt die Möglichkeit, vergleichsweise lange Erziehungs- und Schwangerschaftsurlaube in Anspruch nehmen zu können, im Moment dazu, daß Frauen bei der Einstellung diskriminiert werden. Ähnlich wirkt sich die Tatsache aus, daß nur Frauen zu Hause bleiben dürfen, wenn ihre Kinder krank sind — für die Väter gilt das nicht. Folge: Schon Ende 1990 kamen auf ein Arbeitsplatzangebot 37 Bewerbungen von Frauen, aber nur 10 von Männern. Seither ist die Arbeitslosigkeit weiter gestiegen — bei Frauen wesentlich schneller, als dies ihrem Verhältnis an der Gesamtbevölkerung entspricht. Findet Frau dann Arbeit, wird sie in der Regel schlechter bezahlt als Mann: Frauen erhalten für die gleiche Arbeit im statistischen Durchschnitt nur 77 Prozent des Männerlohns, errechnete im letzten Jahr das Warschauer Statistische Zentralamt. Mehr noch: Frauen sind im Durchschnitt besser qualifiziert als ihre männlichen Konkurrenten. Dazu paßt, daß in Führungsposten, die ja dann über die Einstellung und Bezahlung entscheiden, überwiegend Männer sitzen.

Anders als in den westlichen Industrieländern gilt Frauenarbeitslosigkeit in Polen nicht in erster Linie als Hindernis bei der Selbstverwirklichung. Den Fehler begingen bereits in den 80er Jahren westliche Feministinnen, die begeistert von Polen- Visiten zurückkamen, überzeugt, die Selbstverwirklichung der Frau im Sozialismus sei größer als im Westen. Schon damals war die Tatsache, daß in Polen die Mehrzahl der Frauen berufstätig war, nicht auf die Lust an der Selbstverwirklichung, sondern auf ökonomischen Zwang zurückzuführen. Spätestens seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre nämlich ist es in Polen nahezu unmöglich gewesen, eine Familie nur von einem Gehalt zu ernähren. Zugleich sind die Möglichkeiten, hinzuzuverdienen, noch geringer geworden.

Ganz besonders groß ist der Zwang zur Arbeit bei alleinstehenden Frauen. In kaum einem Land klaffen Realität und Recht bei Alimentenregelungen so weit auseinander wie in Polen. Unterhaltszahlungen der Väter für ihre Kinder werden von den Gerichten immer noch in Summen festgelegt statt in Prozent des Einkommens. Folge: Die Inflation frißt den Wert der Zahlungen schnellstens auf. Frau muß so permanent bei Gericht auf Erhöhungen klagen. Die Urteile dagegen sind oft schwer zu vollstrecken, weil die Väter sich aufgrund des polnischen Behördenchaos und der komplizierten, von fast niemandem respektierten Meldevorschriften jederzeit aus dem Staub machen können.

Während so Bestimmungen, die ursprünglich Frauen schützen sollten, zu deren Diskriminierung beitragen, wird andererseits die Umsetzung frauengerechter Vorschriften verschleppt. So unterzeichnete Polen schon 1926 die Berner Konvention gegen Nachtarbeit von Frauen, setzte sie allerdings 1951 „vorübergehend“ und mit Rücksicht „auf die nationale Wirtschaftsentwicklung“ aus. Bis heute wurde sie nicht wieder erneuert. Polen hat bisher auch nicht die Nachtarbeitskonvention der „Internationalen Arbeitsorganisation“ ratifiziert. Nicht arbeiten dürfen in Polen nachts nur Schwangere und Mütter von kleinen Kindern. Letztere können allerdings auf eigenen Wunsch arbeiten. Das hindert Arbeitgeber aber nicht daran, auch Schwangere nachts arbeiten zu lassen. Als die Staatliche Arbeitsinspektion im letzten Jahr Betriebe überprüfte, fand sie eine Schwangere in einem Auslandsbetrieb, die Nacht für Nacht von 22 bis 13 Uhr jeweils 15 Stunden rackerte.

Nach einem Bericht, den die Inspektion im März veröffentlichte, wurden in 26 Prozent der insgesamt 2.000 kontrollierten Betriebe Verstöße gegen Frauenschutzbestimmungen festgestellt. Insgesamt war jede zehnte Beschäftigte davon betroffen. Eine Schwangere mußte in einer Genossenschaft in Swidnik, südwestlich von Breslau, sogar inmitten von Benzindämpfen arbeiten. Häufig kommt es zu solchen Fällen sogar ohne Wissen des Arbeitgebers, dem seine Beschäftigten ihre Schwangerschaft nicht mitteilen, um nicht entlassen zu werden. Entlassungen sind natürlich in solchen Fällen verboten, doch bis ein Gericht das festgestellt hat, vergehen schon gelegentlich einige Monate.

Frauen für Frauen

Doch nicht die Alltagsprobleme sind es, die in Polen inzwischen über dreißig Frauenvereinigungen haben entstehen lassen. Viele Frauen — besonders auf dem Land — sehen die Tatsache, daß sie diskriminiert werden, als ganz normal an. Ihre Sorgen bringen sie nicht damit in Verbindung, daß sie keine Männer sind, sondern daß Polen eben arm sei, die Arbeitslosigkeit groß und das Leben hart.

Wie es eine Journalistin ausdrückt: „Im Westen werden Frauen benachteiligt und sind sich dessen bewußt; in Polen werden sie benachteiligt und halten das für ganz natürlich.“ So kommt es, daß — geprägt von einem konservativen und katholischen Frauenbild — Polens Frauen ihrem Unmut auch nicht durch die Bildung von Frauenklubs oder der Wahl entsprechender Parteien Ausdruck verleihen.

Polens Feministinnen weisen einen geradezu winzigen Organisationsgrad vor. Selbst die ehemals kommunistische Massenorganisation „Liga der polnischen Frauen“ hat nach eigenen Angaben gerade 130.000 Mitglieder. Die anderen Organisationen verschwinden dahinter völlig. Meist handelt es sich um elitäre Intellektuellenzirkel in den größeren Städten. Zu den radikalsten gehören dabei „Pro Femina“, die jedwede Abtreibungsregelung ablehnt, auch die „Polnische Feministische Vereinigung“, die sich vor allem aus dem Hochschulmilieu rekrutiert.

Am bekanntesten und einflußreichsten ist die „Demokratische Union der Frauen“ und der Frauenzirkel der Demokratischen Union. Das hängt damit zusammen, daß deren Leiterinnen, Danuta Waniek (Frauenunion) und Barbara Labuda (Demokratische Union), Abgeordnete sind und in dieser Eigenschaft eine Frauenfraktion im Parlament zustandegebracht haben. Die Fraktion ist parteiübergreifend: Labuda kommt aus der Solidarność-Ecke, Waniek dagegen von der PVAP- Nachfolgepartei „Sozialdemokratie der Republik Polen“. Mit dabei ist die Lubliner Abgeordnete Izabella Sierakowska, die vor drei Jahren noch für die PVAP im Sejm saß. Berührungsängste haben die Frauen nicht — wohl aber deren männliche Kollegen: Auf einige Frauen wurde bereits Druck ausgeübt, sich aus der Frauenfraktion zurückzuziehen.

Die Frauenfraktion hat inzwischen eine eigene Gesetzesnovelle zum Abtreibungsprojekt eingebracht, das zwar Schwangerschaftsabbrüche verbietet, aber juristische, soziale und medizinische Indikationen zuläßt. Kaum war das Projekt eingebracht, berichtete darüber auch das staatliche Fernsehen, das von Christnationalen und Zentrum immer stärker an die Kandare genommen wird. Der Bericht kam vor Mitternacht, erwähnte das Projekt der Frauenfraktion mit einem Satz und ließ dann einen Vertreter der Christnationalen fünf Minuten lang deren Projekt erklären, das zweijährige Gefängnisstrafen für Abtreibungen vorsieht.

Frauen gegen Frauen

Auf die Offensive der Frauenfraktion hat inzwischen auch die Gegenseite reagiert. Bereits seit etwa einem Jahr gibt es auch „antifeministische Frauenorganisationen“ wie etwa das „Bündnis von Frauen gegen die Widrigkeiten des Alltags“, eine Filiale der rechten „Konföderation Unabhängiges Polen“ (KPN), oder der „Polnische Bund Gewöhnlicher Frauen“, der auf dem Standpunkt steht, daß die Interessen von Familie und Frau identisch sind.

Von einer Diskriminierung der Frau in Polen will Elzbieta Misiak, bekannte polnische Journalistin des „Tygodnik Solidarność“, denn auch nichts hören: „Die Interessen von Männern und Frauen kann man nicht auseinanderdividieren.“ Der „Bund“ unterstützt das christnationale Projekt, Abtreibung mit Gefängnisstrafen zu belegen (außer wenn die Abtreibung das Leben der Mutter rettet). Das wundert nicht, weiß man, daß er sich der Unterstützung des Episkopats erfreut und der Zentrumsvereinigung nahesteht.

Eine Frau war es übrigens auch, die die denkwürdige Begründung in ein Gerichtsurteil schrieb, die Frauen hätten in Polen zu viele Rechte und seien davon so überlastet, daß sie zusätzlicher Rechte gar nicht bedürften. Die Dame ist Richterin in Bydgoszcz (Bromberg) und hatte über die Zulassung eines Vereins mit Namen „Bewegung zur Frauenselbstverteidigung“ zu entscheiden, gegen deren Gründung die Stadtverwaltung von Bydgoszcz Widerspruch eingelegt hatte. Richterin Marianna Skrzeszowska fand den Einspruch begründet und lehnte die Registrierung des Vereins mit der erwähnten Begründung ab, wofür sie im „Helsinki-Watch“-Bericht verewigt wurde.