„Kann sein, daß ich geschossen habe“

Prozeß gegen Skinheads wegen Überfall auf eine schwangere Vietnamesin in Dresden/ Zehn Angeklagte breiten vor Gericht ihre Erinnerungslücken aus/ Urteil für Freitag erwartet  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Ein volltrunkener Skin-Troß zog am 11. September vorigen Jahres durch Dresden. Auf der Prager Straße, mitten im Zentrum, begannen einige der Skins, mit einer Gasdruckpistole herumzuschießen, angeblich „nur auf Büchsen“. Mit der Straßenbahn fuhren sie dann in die Vorstadt, um bei vietnamesischen HändlerInnen „Zigaretten zu holen“.

Während der Fahrt schoß ein Jugendlicher auf einen an der Haltestelle wartenden, wie er sich ausdrückte, „Neger“. Darauf überfielen sie noch einen Mosambikaner auf der Straße, sie schütteten ihm Bier ins Gesicht und schossen aus nächster Nähe auf seinen Kopf.

Ein Projektil blieb über dem Auge des Opfers stecken. Schließlich vermummten sich fünf Skins vor der Wohnung der Vietnamesin Vinh; sie traten die Tür ein, raubten Zigaretten; und als die im sechsten Monat schwangere Frau um Hilfe schrie, wurde sie niedergeschlagen und in den Bauch getreten.

Zehn Angeklagte, darunter drei Jugendliche aus Bayern und ein sechzehnjähriges Mädchen aus Chemnitz, müssen sich seit gestern für eine Serie von Gewalttaten und Diebstahl vor dem Dresdener Bezirksgericht verantworten. Doch in der bisherigen Vernehmung klafften vor allem mit reichlich Alkohol angefüllte Erinnerungslücken. Ihren üblichen Frühschoppen auf dem Hauptbahnhof konnten die gutgelaunten Angeklagten noch rekapitulieren. Die Schüsse aus der Straßenbahn aber waren ihnen nicht mehr recht erklärlich.

„Kann sein, daß ich geschossen habe“, zuckte Udo M. mit den Schultern. Er war zwei Wochen vor der Tat aus Fürth nach Dresden gekommen, um an der Gründung der rechtsextremen „Sächsischen Nationalen Liste“ teilzunehmen. Als passionierter und erfolgreicher Sportschütze kennt er sich mit Waffen aus, und er hatte die Pistole am Morgen von einem „Kumpel“ übernommen. Weil es sein „letztes Hemd“ war, „mußte“ er an diesem Tag ein T-Shirt mit dem Bildnis Hitlers tragen — unter der Jacke, wie seine Anwältin betonte, die deswegen den entsprechenden Anklagepunkt gestrichen haben will.

Alle Angeklagten waren in ihrer Clique „nur Mitläufer“, und alle sind sie entweder „unpolitisch“ oder nur „am Rande“ der rechten Bewegung. Sie schilderten Konflikte mit Eltern und Arbeitsstellen sowie ihre monotonen Tagesabläufe, die sie in der Clique mit reichlich Alkohol auffüllten.

Fünf der Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft; gegen sie sind auch noch weitere Ermittlungsverfahren anhängig. Morgen wird mit dem Urteil gerechnet.

Der erste Vernehmungstag in dem Prozeß dauerte nach Redaktionsschluß noch an.