„Dafür haben wir nicht gekämpft“

■ Frauen im Ostteil Berlins empfinden die Fristenlösung mit Zwangsberatung als Diskriminierung und lehnen den modifizierten Abtreibungsparagraphen ab

Der Weg führt durch die düsteren Flure der ehemaligen Stasi-Klinik in der Normannenstraße im Berliner Stadtbezirk Lichtenberg. Wer in dem Labyrinth der neueingerichteten Arztpraxen den Aufzug entdeckt hat und in den dritten Stock fährt, stößt dort unversehens auf eine kleine Oase. Die weißgestrichenen, hellen Räume mit leuchtend türkisem Teppichboden und schwarzen Möbeln sind das Domizil der Beratungsstelle Balance. Hier gibt es Rat in Fragen zu Partnerschaft, Sexualität, Verhütung und Schwangerschaft. „Wir bieten auch eine freiwillige Schwangerschaftskonfliktberatung an“, sagt die Psychologin Gabi Roth. „Aber das Angebot muß sich erst noch herumsprechen, wir haben ja erst vor einer Woche eröffnet.“ Der Kompromiß für die Neuregelung des §218 ist für sie ganz klar „ein Rückschritt für uns im Osten. Mir wäre wichtig gewesen, daß Abtreibung aus dem Strafgesetz gestrichen wird. Wenn der Gesetzentwurf durchkommt, haben wir noch Glück gehabt. Von der pragmatischen Seite her ist der Entwurf das Maximum, was wir erreichen können“, lautet ihre Einschätzung. Die Mitarbeiterinnen von Balance sind gegen die im Gesetzentwurf vorgesehene Pflichtberatung.

„Pflicht und Beratung schließen sich gegenseitig aus. Bei einer Pflichtberatung kann ich nur informieren, denn zur Beratung gehören Aufnahmebereitschaft und Mitarbeit der Frau.“ Die Voraussetzung dafür ist für Gabi Roth das Prinzip der Freiwilligkeit. „Beratungsbedarf ist sicher da“, stellt sie fest. Auch wenn die Entscheidung für viele Frauen angesichts der unsicheren ökonomischen Situation gegenwärtig klar ist: „Viele Abbrüche sind jetzt wirtschaftlich motiviert.“ Gabi Roth ist skeptisch, ob die Neuregelung des §218 vor dem Verfassungsgericht bestehen wird. „Man muß abwarten, wie die endgültige Fassung aussieht.“

„Mir reicht dieser Kompromiß [Fristenlösung mit Zwangsberatung, d.Red] nicht. Was mich stört, ist, daß Abtreibung im Strafrecht bleibt. So nach dem Motto: ,Du kriegst dein Zuckerchen, und dann sei man stille.‘ Das ist nicht das, wofür wir gekämpft haben. Für mich ist das eine Diskriminierung, und so empfinden es auch ganz viele andere Frauen“, sagt Sonja Wittwar, Mitarbeiterin des Frauenzentrums Frieda in Berlin-Friedrichshain. „Wir bestehen auf dem, was wir gehabt haben — mit dem Zusatz einer verbesserten Beratung, vor dem Abbruch und auch danach“, ergänzt sie.

Fallstricke, die keine(r) zur Kenntnis nimmt

„Letztendlich erreichst du nichts mit der Zwangsberatung“, wirft ihre Kollegin Sylvia Uhlig ein. Die Frauen sitzen in dem einzigen notdürftig hergerichteten Raum einer Wohnung, in der das Projekt vorübergehend Unterschlupf gefunden hat, nachdem ihnen die Ladenwohnung im gleichen Haus gekündigt wurde. Demnächst zieht Frieda in neue Räume um. „Wir haben Frauen über das Indikationsmodell informiert und eine Briefkampagne gegen den §218 gestartet“, erzählt Sonja Wittwar. In Briefen an die Abgeordneten in Bonn haben sich die Frauen für die Abschaffung des §218 eingesetzt. „Da waren sich die Frauen quer durch alle Altersgruppen einig.“

Kirsten Poutrous (28), Mitglied im Frieda-Verein und Mutter von zwei Kindern im Alter von sechs und zehn Jahren, schaut vorbei. Sie hat sich im Büro des Unabhängigen Frauenverbandes gerade den Gesetzentwurf besorgt. „Ich will genau wissen, was da drin steht.“ Sie ist gegen den neuen §218. „Die Fristenlösung ist ja schon ein Kompromiß für uns. Wir sind für die ersatzlose Streichung des §218. Viele sagen, der Gesetzentwurf sei besser als das Indikationsmodell und machen sich nicht klar, daß diese Fristenlösung mit Zwangsberatung schlechter ist als DDR-Recht.“

Kirsten Poutrous bemängelt, daß die Medien nicht detailliert genug über den Entwurf berichtet haben. „Da wurde immer nur das Positive erwähnt wie das Recht auf einen Kindergartenplatz und die Anonymität der Beratung. Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich, das ist doch gar nicht so übel. Aber es sind lauter Fallstricke in dem Gesetzentwurf, die keiner zur Kenntnis nimmt.“ Sie glaubt, daß es sehr schwierig sein wird, gegen diesen Kompromiß noch viele Frauen zu mobilisieren. Woran das liegt? „In der DDR hatten wir ja das Selbstbestimmungsrecht, da mußten wir nicht drum kämpfen. Und die ganze Debatte um den §218 ist über die Köpfe der Bevölkerung in den neuen Bundesländern hinweg geführt worden. Außerdem ist der parlamentarische Prozeß so undurchsichtig. Man muß sich schon bei Insidern erkundigen, wann was abgestimmt wird.“

„Unsere Frauen haben jetzt ganz andere Probleme. Der neue Paragraph ist für die Frauen im Moment eher nebensächlich“, schätzt auch Sylvia Uhlig die Stimmung ein. „Die Frauen leisten auf andere Weise Widerstand“, meint Kirsten Poutrous. „Immer mehr Frauen lassen sich sterilisieren, und es treiben auch immer mehr Frauen ab in der gegenwärtigen Situation. Da spiegelt sich eine Verweigerungshaltung wieder.“ Dorothee Winden, Berlin