piwik no script img

Plastisches Provisorium der Geschichte

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (16. Folge): Das einstige »Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten« am Kreuzberger Waterloo-Ufer

Berlin. Zu den wenigen Institutionen West-Berlins, die nach dem Einsturz der Mauer der Bannstrahl der Abwicklung traf, zählten die »Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten der DDR«. Die ungelüfteten Plätzchen und ihr muffiges Personal mit preußisch-obligatem Kommandoton hatten 1972, nach dem Berlin-Abkommen der Siegermächte, ihren Tourismusbetrieb aufgenommen; in der Nachfolge der legendären Passierscheinstellen aus den sechziger Jahren. Hier wie dort belagerten die Berliner vor den alljährlichen Feiertagen die Ausgabestellen, um zu den lieben Verwandten nach Ost-Berlin oder in die »DDR« zu gelangen. Nach der Schließung 1990 wird heute das Büro im Forum Steglitz von der Sportabteilung eines Warenhauses genutzt. In den Charlottenburger und Spandauer »Besucherbüros« residieren städtische Verwaltungen. In der eigens für die »Reisenden aus Berlin (West)« erbauten Blechkiste am Waterloo-Ufer 5-7 nahe der Amerika- Gedenkbibliothek (AGB) richtete sich das Landeseinwohneramt ein. Der Abteilung der Innenbehörde schien der Flachbau so funktionell, daß sie dort die »Weiterleitung für Asylbewerber« organisiert.

Im Unterschied zu den renovierten Büros hat der Bau am Waterloo-Ufer nichts von seinem ursprünglichen Charme verloren. Nach wie vor prägen Elaste- und Plastesitze den Aufenthaltsraum, in dem die Westberliner jahrelang mit zittriger Hand Antragsformulare für den 24-Stunden-DDR-Aufenthalt ausfüllten. Ein Fehlerchen auf dem Zettel genügte, und die Reise war gestorben. Die samtbraunen Formulare (»in gut lesbarer Großschrift«) trug man samt Paßfotos »nach Aufruf« und Warteschleife zu einem bebrillten Offizier des MfS, der nach Namenskontrolle und stechendem Blick: Bild — Original den Einreiseantrag gottähnlich annahm. Nach drei Tagen konnte das Eintagesvisum in einem weißen Umschlag abgeholt werden. Ein Stempel knallte zum Abschluß noch aufs Papier. Ein Akt der Geschichte war damit beendet.

Der kleine Flachbau, vor dem 'Bild‘ früher mit Luftmatratzen und Koksöfen bewaffnete Berliner ausmachte, die nächtelang auf Besucherscheine warteten, gehört zu den unscheinbaren Accessoires im Stadtbild, die Zeit versinnlichen. Das Provisorium aus Beton und Blech sollte stets dokumentieren, daß die Einrichtung nur für den Augenblick gebaut sei — ein Provisorium der Geschichte.

Die Ironie will es, daß das Stück DDR aus Preußentum und Plaste im Innern des Baus dieses auf seine Weise widerspiegelte, war doch die Blechkiste für den »Übergang« gedacht. Der Landeskonservator sollte solche kleinen Accessoires nicht aus dem Auge verlieren. Rolf R. Lautenschläger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen