Wissenslücken

■ Kino-Premiere: »Schön ist's im Labyrinth — George Grosz in Amerika«

So simpel kann Filmemachen sein: Man nehme a) eine hinreichend prominente Persönlichkeit des künstlerischen Erbes, wähle b) eine bislang weniger beachtete Phase ihres Schaffen, befrage dazu c) einige Zeitzeugen, nach Möglichkeit an Originalschauplätzen, bebildere das Ganze d) mit entsprechenden Proben aus dem Nachlaß und harre schließlich e) der Zustimmung zumindest der örtlichen Filmförderung.

Nach diesem Rezept drehen Norbert Bunge und Christine Fischer- Defoy seit ein paar Jahren didaktisch aufbereitete Dokumentationen, zu Peter Weiss (Fluchtpunkt Malerei, 1987), Bertolt Brecht (Exil in USA, 1988) und weiteren. Die Zutaten ihrer jüngsten Nachhilfe in Kunst- und Zeitgeschichte sind (a) der Zeichner und Maler George Grosz, der (b) die zweite Hälfte seines Lebens in Amerika wirkte, worüber (c) seine Söhne Peter und Marty, sein letzter Schüler Robert Cenedella, sein Galerist Serge Sabarsky sowie frühere Freunde und Kollegen Kenntnis geben, vor Ort in New York, auf Long Island und in der Künstlerkolonie Cape Cod.

Die »Collage« zeigt ferner (d) etliche Gemälde und Zeichnungen aus Museen und Sammlungen in Princeton, Boston, New York und Berlin, mit (e) Unterstützung durch die Berliner Filmförderung. »Erinnerungen kann man Gott sei Dank nicht fotografieren«, schreibt George Grosz im Vorwort zu Ein kleines Ja und ein großes Nein, dem »Versuch einer Autobiographie« aus dem sechsten Lebensjahrzehnt. Eine literarisch anspruchsvolle Quelle ist das, aus der die Filmemacher Bunge und Fischer- Defoy passagenweise schöpfen, um eben diese Maßgabe gründlich zu mißachten.

Was George Grosz schreibt, scheint die Kritik an seinem phantasielosen Film-Porträt vorwegzunehmen: »Die moderne aufklärerisch- wissenschaftliche Unsitte, diesen verhüllenden Schleier (der Vergangenheit) wegzureißen, um die Häßlichkeiten, Risse, Abgründe und Krankheiten zu zeigen, verweise ich ins 19. Jahrhundert zurück. Für mich ist das Geheimnisvolle so geheimnisvoll wie immer...«

Dem läuft der Film exakt zuwider und zeichnet die zweite Lebenshälfte des 1893 in Berlin geborenen Grosz akribisch nach, interpretiert und kritisiert das in Amerika entstandene Werk, um die Brüche eines Künstlerlebens wie bloße Wissenslücken zu schließen. Der zeitliche Bogen reicht von der Überfahrt mit Frau und den beiden Söhnen im Januar 1933, unmittelbar vor Hitlers Machtübernahme, bis zur späten Rückkehr nach Berlin 1959. Kurz darauf verunglückte Grosz nach einer durchzechten Nacht tödlich.

Amerika war das Land seiner Träume. »Mild Monster Arrives« wurde die Ankunft des bereits zur Legende gewordenen Karikaturisten der »roaring twenties« seinerzeit annonciert. Ein »kleiner Ruhm«, wie sich bald herausstellen sollte, zudem schwer verkäuflich. »Nicht zu deutsch ... not too bitter«, ermahnte man ihn.

Ein Comeback als »American Illustrator« scheiterte. Was blieb, war der Zeichenunterricht an der »Art Students League«. Mit dem Glauben an die Massen, die nun dem Faschismus oder Stalinismus nachrannten, verfiel zugleich der Glaube an die Mission seiner Kunst. Am Ende versiegte die künstlerische Kreativität vollends. Aus dem gefürchteten Anti- Bourgeois der Weltwirtschaftskrise war eine geschätzte Kapitalanlage des Wirtschaftswunders geworden. Grosz, der nach außen gern auf »decent living« machte, war — aus allen Träumen gefallen — innerlich restlich »down«. Ein armer Schlucker, der den berühmten Künstler spielte. Sein letztes Feldzeichen: ein zerfetztes Leinwandloch. Ahnungsvoll schließt seine Autobiographie: »Seltsamerweise wird der Mensch oder, vorsichtiger gesagt, mancher Mensch, vom Abbild der Dinge oft tiefer befriedigt als von den Dingen selbst.« Roland Rust

Schön ist's im Labyrinth — George Grosz in Amerika. Ein Film von Norbert Bunge und Christiane Fischer-Defoy. Deutschland 1991. Im Sputnik-Kino Südstern.