DURCHS DRÖHNLAND
: Räusche, Revivals und Imagefeldzüge

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

Wenn Deutsche was machen, dann machen sie's gründlich. Schwefel ist so ein Fall. Nach Glam- und Glitter-Rock kamen Ausflüge ins Synthie-Zeitalter. Jetzt machen sie auf guten alten Siebziger-Rock, der die Gitarren noch so richtig dumpf krachen läßt. Den passenden Produzenten hat Norbert Schwefel für sein Werk Motor Psycho auch gefunden: »Leather Nun«-Gitarrist Bengt Aronsson verschafft der Band genau den schwer dümpelnden Sound, für den die Schweden selbst berühmt geworden sind, und Schwefel hat genau die richtige Portion Coolness in der Stimme, um den nötigen Abstand zu wahren. Schwefel adaptiert auch den klassischen Hardrock so versiert und eben gründlich, daß von ihm selbst nicht viel übrigbleibt.

Am 22.5. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Als würden jetzt in den beginnenden Neunzigern schon wieder die Siebziger zu Ende gehen, wird das Konzept-Album wieder modern. Nur gibt man sich heutzutage nicht mehr mit 45 Minuten ab, jetzt dürfen's gleich ganze Trilogien sein (siehe auch Galas, Diamanda). Auf den ersten Blick sind Radical Dance Faction einfach nur ein paar Weiße, die Dub-Reggae spielen. Auf den zweiten fällt auf, daß ihr Dub im Vergleich zum modernen Dancehall recht hausbacken klingt, aber dafür die analytischere Herangehensweise hat. Wäre Dancehall HipHop, könnten RDF Gil Scott-Heron sein. Verwurzelt in der britischen Arbeiterbewegung, versteht sich der Rasta Chris Bowsher in erster Linie als Poet, der den Rock'n'Roll aus ideologischen Gründen ablehnt und glaubt, Dub sei die einzige passende Musik zur Vermittlung revolutionärer Inhalte. So unrecht hat der Mann wahrscheinlich nicht. Als Vorgruppe die einzige Dub-Reggae-Band Berlins: die echten und unvergleichlichen PNATSH.

Am 22.5. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Oft genug scheitert der Core an der Unvereinbarkeit von Extremen. Ist er hart genug, mag er nicht richtig grooven. Ist er melodiös, ist er gleichzeitig auch nicht wütend genug. Die Rostok Vampires aus Kamen bei Dortmund schaffen die Synthese auch nicht völlig, aber sie geben sich die größte Mühe — und kommen nah dran. Allerdings geht das etwas zu Lasten eines einheitlichen Gruppensounds. So sind die Vergleiche denn auch weit gestreut: Vio Vod, Suicidal Tendencies oder gar Danzig. Wo die Vampires mit ihrem Hang zur Harmonie in der Hardcore-Entwicklung etwas hinterherhinken, sind House of Suffering ein paar Monate weiter. Was heißt: mehr Breaks, zähere Gitarrenarbeit, ätzenderer Gesang. Das außergewöhnlichste an den Kölnern ist die Tatsache, daß ihre Texte deutsche sind. Mir fällt sonst keine aktuelle BRD-Hardcoreband ein, die ihre Muttersprache zum besten gibt.

Am 22.5. um 22 Uhr im Ex, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg

Was muß man tun, um auf dem Titelbild des WOM-Journals zu landen? Gut aussehen? Gute Musik machen? Überhaupt irgendwas Interessantes an sich haben? Nötig scheint das nicht zu sein, wenn die Boomers das geschafft haben. Die vier kanadischen Studio-Mucker läuten statt dessen ein längst überfälliges Revival ein: den Weichspülmonsterrock, den wir alle so schön verdrängt hatten. Poco? Saga? Toto? Ja, ich hör' schon auf. Immerhin ist es auch ein Verdienst, uns an die dunkleren Seiten der Siebziger zu erinnern und nachdrücklich davor zu warnen — wo dieses Jahrzehnt zuletzt doch so gülden erschien. So gesehen haben sie den Platz auf dem Titel dann doch wieder verdient.

Am 22.5. um 20 Uhr im Quartier, Potsdamer Straße 96, Schöneberg

Die Phonetic Relations sind so ziemlich die einzigen Überlebenden einer früher einmal sehr lebendigen Westberliner Sixties-Szene. Vielleicht deshalb, weil sie so konsequent rückwärtsgewandt sind. Von den Pilzköpfen über die runden Brillen und den Quäkgesang bis zur Dudelorgel stimmt bei ihnen fast alles.

Am 23.5. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7, Kreuzberg

Dies hier ist ein gutes Beispiel, wie eine eher durchschnittliche Band zu einem gutbezahlten Plattenvertrag kommen kann. Rausch aus Köln sind in erster Linie das Produkt eines cleveren Imagefeldzuges: Drogen auf den Lippen, Rock'n'Roll in den Händen und Zaster im Kopf. Rausch beschwören eine Zeit Mitte bis Ende der Sechziger, die es so nie gegeben hat, aber — und jetzt kommt der Clou — tun so, als wären sie das perfekte Revival, unterstellen, daß jeder die (ironischen?) Brüche bemerkt und ihnen, ohne daß sie es selbst behauptet hätten, zugute hält, daß sie selbst originär etwas erfunden hätten. Das Werbekonzept ist für eine deutsche Band sehr durchdacht, vom visuellen Auftreten (Cover, Info, Fotos) bis hin zu den offensichtlichen musikalischen Zitaten: Riffs von den Stones, Experimente mit obskuren Instrumenten von den Beatles. Zwischen diesen beiden Polen pendeln sie denn auch, halten sich nicht sklavisch daran, aber innovativ sind Rausch kein bißchen. Viel Lärm um eigentlich ganz guten Stino-Rock'n'Roll, aber halt jetzt bei Phonogram.

Am 23.5. um 22 Uhr im JoJo, Wilhelm-Pieck- Straße 216, Mitte

Für die einen ist sie nur eine unerträgliche Schreckschraube, für die anderen eine geniale Ausnahmeerscheinung. Zuletzt entdeckten Diamanda Galas und ihre studierte Vokalakrobatik den Blues. The Singer ist der letzte Teil einer Trilogie, die Blues und Spirituals sehr pathologisch verarbeitet. Durchaus die angemessenste Herangehensweise an diese Genres.

Am 24.5. um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg

Wenn meine dreijährige Tochter kreischt: »Leg doch mal die Kinderplatte auf!«, dann schiebe ich die neue Andreas Dorau-CD in den Player, Warten erklingt, und das Kind tanzt begeistert durch den mit lieblichen, debilen Klängen erfüllten Raum. Für jemanden, der es ablehnt, als Künstler oder Musiker bezeichnet zu werden, hat Andreas Dorau ein sehr subtiles Gespür für die falschen Töne zu rechten Zeit entwickelt. Seine Musik erinnert jeden halbwegs ehrlichen Menschen über sechs an seine pränatale Phase und das ist doch etwas sehr Schönes, oder?

Am 25.5. um 20.30 Uhr mit Der Plan und dem Pyrolator im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Hardcore ist längst nicht mehr Hardcore. Shuder To Think treten den Beweis neuerlich an. Oder hätte sich jemand vorstellen können, daß Punkrocker Anfang Zwanzig krachende Gitarren mit katebushigen Kopfstimmen verbinden wollen? Die vier Herren aus Washington DC tun genau das und fügen so dem schillernden Kaleidoskop, das der Ami-HC bietet, eine neue Farbe hinzu. Dabei sind sie so eingängig, daß ihnen überall eine große — sprich: Geld — Zukunft prophezeit wird. »Spex« erinnern sie gar an Fischer Z, und zu denen hat ja bekanntermaßen fast jeder eine intensive Haßliebe entwickelt. Politisch einwandfrei korrekt sind sie vor allem durch ihr Label Dischord, doch stellt sich immer mehr heraus, daß Fugazi für Dischord weniger musikalisch bestimmend, als vielmehr meinungsmachend waren — und vor allem sind.

Am 24.5. um 22 Uhr im K.O.B.

Es gibt Menschen, die sich in ihrer Lustigkeit zu ernst nehmen. Die Dead Milkmen gehören dazu, was die Herren aus Kalifornien nicht davon abhält, klasse Rockmusik mit Punk-, Byrds-, sogar Soul-Einflüssen zu machen, die in ihrer Kaugummiartigkeit einem die Gehörgänge dermaßen verklebt, daß man sie wehrlos zu sich nimmt. So was wie die männlichen Bangles mit doofen Witzen. Dazu passen müssen dann Poi Dog Pondering aus Hawaii, die zwischen angefunktem Mainstreamrock und Straßenmusik hin- und hertaumeln, aber das mit solcher Überzeugung, daß selbst die Hare-Hare-Ausfälle nicht weiter ins Gewicht fallen. Definitiv der Abend für Leute, die sich und Rockmusik nicht allzu ernst nehmen.

Am 25.5. um 20 Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Direkt aus dem Ruhrpott machen The Eternal Afflict einen dunkel dröhnenden und affektierten synthetischen Lärm, der zwar manchmal ins Pathetische lappt, aber doch mit Hilfe von kurzen Hörspiel-Momenten und durch die pure Kraft der metallischen Töne seine Wirkung zeigt. Das Vorbild Laibach kann und will nicht verleugnet werden. Schwarz-Faktor 10.

Am 27.5. um 22 Uhr auf der Insel

Das neueste Info von Laibach beginnt gewohnt programmatisch: »Die Regimes überall in Zentral- und Osteuropa und der Sowjetunion sind gefallen. Nur Laibach stehen weiterhin.« Musik war ihnen nie genug, Politik war ihnen zu unmusikalisch. Bei einem Laibach-Auftritt wird so konsequent mit faschistischer Ästhetik (Lichtdom, nackte Muskeln, herrische Gestik) gespielt und experimentiert, daß einem die Augen für den perversen Massenwahn fast eines jeden Konzertes erst geöffnet werden. Wenn der Schreck sitzenbleibt, spart man sich vielleicht die 60 Mark für das nächste Guns n'Roses-Konzert. Musikalisch sind Laibach von ihren Besuchen in den Charts abgekommen. Keine Coverversionen peinlicher Hits mehr, statt dessen gnadenloses Geblubber und herbe Maschinenklänge, kaum Gesang, bestenfalls Vorträge in verschiedenen Sprachen. Geräusch-Hörspiele sind eine Erholung dagegen.

Am 27.5. um 20 Uhr im Quartier

Die Disposable Heroes of Hiphoprisy sind vielleicht nicht das Beste, aber sicher das Intelligenteste, was der HipHop bisher hervorgebracht hat. Entstanden aus den seligen Beatnigs, spielen die DHOH einen phantasievollen, mit allerlei Industrieklängen angereicherten Beat, über den Michael Franti seine extrem scharfsichtigen Raps legt.

Am 28.5. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler