Keine freie Fahrt für freien Drogengebrauch

Über 700 berufsbedingte Drogenexperten diskutierten beim Bundesdrogenkongreß über „Akzeptanz und Grenzen“ in der Drogenarbeit/ Mehr Grenzen als Akzeptanz/ „Rauschfähigkeit“ soll in der Bundesrepublik nicht als Wert entwickelt werden  ■ Aus Berlin Jeanette Goddar

Während in der hitzigen Debatte um den Umgang mit Drogen immer mehr Stimmen eine Legalisierung fordern, machten in dieser Woche in Berlin die Verfechter eines drogenfreien Lebens gegen diese Theorie mobil. Daß ein Recht auf Rausch ebensowenig Sinn mache wie ein „Recht auf Salmonellenvergiftung“ oder „Freie Fahrt für freie Bürger“, konstatierte Baden-Württembergs Drogenbeauftragter Horst Giepen auf einem Bundesdrogenkongreß unter dem Motto „Akzeptanz und Grenzen“, bei dem die Grenzen eindeutig überwogen. Ein Drogenverbot sei unverzichtbar, um Gefährdete nicht in den Sog verfügbarer Drogen zu ziehen, äußerte Giepens Berliner Kollege Wolfgang Penkert. Ob es erstrebenswert sei, „Rauschfähigkeit als Wert“ zu entwickeln, bezweifelte auch Wolfgang Heckmann, Berlins Drogenbeauftragter a.D. Gleichzeitig beklagte Heckmann die „Grabenkämpfe“ zwischen den Verfechtern sogenannter liberaler und konservativer Drogenpolitik. Beim Streit um die besseren — und marktfähigeren— Konzepte würden oft Mythen hin- und hergeschoben. Letztendlich existierten überall Mischformen repressiver und liberaler Elemente — ob in Amsterdam, Rom oder Berlin. Auch bei der leidigen Diskussion um „akzeptierende Drogenpolitik“ werde immer unklarer, wodurch sich Befürworter und Gegner unterschieden.

Über 700 „Fachleute“, Drogenberater, Therapeuten und Psychologen nahmen von Montag bis Donnerstag am 15. Bundesdrogenkongreß des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel (FDR) im Ostteil Berlins teil. Schwerpunkte der Veranstaltung waren die Zunahme des Drogen-, insbesondere des Alkoholmißbrauchs in den neuen Ländern sowie die Bedeutung der Suchtprophylaxe (Vorbeugung) in Deutschland. Allen Ideologien zum Trotz zeichnet sich inzwischen in der sogenannten „Fachwelt“ eine erhöhte Akzeptanz neuer Konzepte ab. Auch traditionelle Verfechter eines drogenfreien Lebens erkennen inzwischen Methadonvergabe sowie niedrigschwellige Angebote wie Cafés oder medizinische Notfallversorgung für Junkies an. Während in Bremen jeder fünfte Abhängige substituiert wird, erhält in Berlin lediglich jeder zwanzigste Methadon. Einig ist man sich inzwischen, daß Methadon an sich niemandem zum Ausstieg aus der Drogenkarriere verhilft. Bei mindestens zwei Drittel der Substituierten verbessere sich allerdings die gesundheitliche und soziale Lage erheblich, so Constanze Jacobowski von der Berliner Clearingstelle für Substitution.

Daß der „früher eher als unbeweglich bekannte Fachverband“ die Berechtigung verschiedener Wege inzwischen akzeptiert“, begrüßt die Berliner Ärztekammer. Nur ein breitgefächertes Angebot ambulanter und stationärer Maßnahmen könne Drogenabhängigen effektiv helfen. Der FDR setzte sich bei dem Kongreß auch für eine Entkriminalisierung der Drogengebraucher ein. Der Besitz einer Tagesration harter Drogen wie Heroin oder Kokain sowie einer Wochenration weicher Drogen wie Cannabis solle künftig straffrei sein, forderte Jost Leune, Geschäftsführer des FDR. „Es ist völlig sinnlos, Süchtige zu bestrafen.“

Auf die desolate Lage der Drogenhilfe in der Bundesrepublik machte Leune ebenfalls aufmerksam. Bei 150 Millionen Mark im Jahr für etwa drei Millionen Süchtige blieben 50 Mark für jeden. „Das heißt, wir können nur einem helfen und neun stehenlassen.“ Auch Wartezeiten von bis zu einem Jahr auf einen Therapieplatz sprächen für sich. Drogenfreie Therapie soll auch künftig oberstes Gebot bleiben. Methadonvergabe solle nur „in Grenzfällen wie bei HIV-Infizierten“ angewandt werden, befand eine Therapeutin. Wolfgang Penkert verlor während eines halbstündigen Referats exakt einen Satz über niedrigschwellige Angebote zur „Schadensbegrenzung“. Eine Legalisierung sei ohnehin nicht durchsetzbar, so Wolfgang Heckmann. Ein großer Teil der Bevölkerung identifiziere sich mit sorgenden Eltern, die ihre Kinder nicht gefährdet sehen wollten. Auch sogenannte „Druckräume“ für Junkies halte er für undenkbar. „Es steht doch an jeder Ecke eine Schule.“ Das Argument der zunehmenden Griffnähe bei Freigabe kommentierte ein holländischer Kongreßteilnehmer mit einem müden Lächeln. „Drogen waren nie so nah wie heute.“