Wundersames fürs Gemüt

Die Geschwister Pfister swingen und schmalzen am Rande des Theater- treffens in Berlin  ■ Von Klaudia Brunst

Good evening, Ladies and Gentlemen, bonsoir Medames et Messieurs, to the Geschwister Pfister Show“ begrüßt uns Willi Pfister mit bestem amerikanischem Akzent. „This evening you will not believe your eyes, you will not believe your ears...“, prophezeit er uns melodisch großspurig, und Ursli, sein kleiner Bruder, setzt noch ein bißchen nach: „Yeah, and you will beg for more!“

Schöne Aussichten, die uns die Geschwister Pfister mindestens ebenso nonchalant servieren wie Lilo Pfister — her brothers' sister — ihren heißgeliebten Schweizer Käse. „Grüß Euch miteinand'“ mischt sich nun auch der immer etwas schüchterne Toni Pfister in das Opening ein. Er ist „the most serious G'schwister“, wie uns Lilo verrät, und die glockenklare Engelsstimme des polyphonen Geschwister-Quartetts. Gemeinsam geben sie uns im Rahmenprogramm des Berliner Theatertreffens ihre Melodien fürs Gemüt, ein wunderbares Musikprogramm mit Schmalz und Swing und diesem Schubidu, das schon nach drei Takten die vorderen Reihen des Schiller- Theaters zum Wippen bringt.

„Hello again“, greifen die vier ihre vielsprachige Begrüßung musikalisch noch einmal auf, winken zu dem „schebum-schebum“ ihres A- Capella-Gesangs kokett den schon schnipsenden Rängen zu und starten dann gemeinsam mit ihrem Pianisten Johannes Roloff zu einem musikalischen Comedy-Abend, der die Füße ins Kicken, das Lachen ins Schwingen und nur die Geschwister Pfister gelegentlich ins Nachdenken versetzt. Denn die vier Vollwaisen, die nach dem frühen Tod ihrer lieben guten Mutter seinerzeit zu Onkel Bill nach Amerika auswanderten — „he gave us food and shelter, love and home“ — sind auf ihrer Europatournee nach all den Jahren nun erstmals wieder in der Heimat. Und wenn sie den frühen „language change“ auch nur schwer verwunden haben, so treibt es sie doch angesichts des beeindruckenden Alpenpanoramas und der altvertrauten Jodeltöne ganz heftig back to their switzerland roots. „I remember very well“, sinniert Ursli auf seinem Klappstühlchen sitzend, und auch Lilo erinnert sich mit Wehmut an die ersten Nächte im fremden Amerika, als ihre Brüder gar und gar nicht einschlafen konnten, als weder die „Gut'nachtg'schichtli“ noch die „Muhkuh“-Dose helfen wollte, sondern erst das gemeinsam gesungene „Mr.Sandman“ die ersehnte Nachtruhe brachte.

Auch wenn das „einzige Foti von der lieben Mutti“, das Willi liebevoll durch die Reihen reicht, damit wir uns selbst ein Bild von Mama Pfister machen können, keine nennenswerte Ähnlichkeit erkennen läßt, auch wenn viele der rührseligen Geschichten vor allem in den Köpfen der Geschwister Pfister stattgefunden haben, sind die G'schichtli der G'schwistli letztlich doch Bühnenwahrheiten der wundersamsten Sorte. Denn was Lilian Naef, Max Gertsch, Christoph Marti und Tobias Bonn auf ihrem vier mal drei Meter großen Perserteppich vor dem eisernen Vorhang des Schiller-Theaters ausbreiten, stimmt nicht nur in Stimmung und Tempo, in Mimik und Feeling bis auf den letzten schrägen Blick — wenn die vier singen, tanzen, springen und plaudern, wirkt das so originär wie der Schweizer Käse auf dem Silbertablett. Und von den rührseligen G'schichtli, die aus spielerischen Improvisationen entstanden sind, hat mehr als eine das Leben wirklich geschrieben.

Acht Jahren kennt sich das Erfolgsquartett nun schon — seit der in Bern gemeinsam absolvierten Schauspielschule — und ist inzwischen miteinander mindestens so eng verwoben wie die Geschwister aus Zermatt. Ihr Entdecker heißt nicht Onkel Bill, sondern Otto Sander. Auf dessen 50. Geburtstag präsentierten sie im vergangenen Jahr zwei Nummern aus ihren Melodien fürs Gemüt vor der Berliner Kultur-Creme und wurden so alsbald zum Geheimtip der dortigen Theaterszene — bis zum Ruf in die heiligen Hallen der Schaubühne, wo Lilian Naef, Max Gertsch und Christoph Marti inzwischen engagiert waren. Von dort ging es immer wieder auf große Deutschlandtournee: vom Hamburger Thalia über den Frankfurter Tigerpalast in die Münchner Kammerspiele und zurück feierten sie als Lilo, Willi, Toni und Ursli Erfolg auf Erfolg.

Besonders für Christoph Marti ist dieses Gastspiel im Berliner Schiller- Theater ein später und in vollen Zügen ausgekosteter Triumph. Nach einem zweijährigen Engagement am Schiller-Theater hat er — wie die anderen vom Theaterbetrieb ernüchtert, wenn nicht gar frustriert — seinen Vertrag mittlerweile gekündigt. Nun sitzt er, der das Haus nicht eben im Frieden verließ, grienend vor dem annähernd ausverkauften Saal und fragt seinen Bruder Willi arglos „Is this fancy old club the real famous Schiller theatre?“ — „Yeas, this is it“, bestätigt Willi in gewohnt bedächtiger Art, und Ursli holt sein bestes US-Talk-Show-Lächeln hervor: „Well, is'nt that lovely?“

Ja, es ist ein entzückender Abend, und es ist der Abend der Geschwister Pfister, die vom „Girl from Ipanema“ über Cole Porters „Down in the deph“ bis hin zur „Balsen-Ballade“ die gesamte Swing- und Singgeschichte neu erfinden. Mit einem launigen Augenzwinkern führen die vier ihr Publikum von Anekdote zu Anekdote, „from mountain to mountain“, quer durch die Schweizer Alpen und immer wieder an der Nase herum. Als sie uns am Ende noch ein begeistertes „Kuckuck“ nach dem anderen geben, johlen und pfeifen, trampeln und kreischen die achthundert Zuschauer im Saal ihr „beg for more“. Willi, etwas überrascht von diesem ekstatischen Überschwang, hat für unsere Lage großzügig Verständnis: „Oh, I understand that“, läßt er uns väterlich jovial wissen. Day by day müssen wir poor Theatertreffen-people uns für teures Geld diese schweren Theaterstücke ansehen, die wir nicht wirklich verstehen. „And now you see something fresh, something different — and you are begeistert...“ Ja, genauso ist es, und genauso sind sie, die Geschwister Pfister aus Zermatt mit Wohnsitz Las Vegas: Lovely, fresh and different. Einfach kuckuck eben.

Tourneedaten: 29., 30.Mai: Theaterhaus Stuttgart; 15. bis 17. und 22. bis 24.Juni: Aladin-Spiegelzelt Berlin; 27.Juni: Nürnberg „Spektakel '92“; 1. bis 19.Juli: „Schmidt's“, Hamburg; 21. bis 23.Juli: „Astoria“, Bremen.