Ein Totengespräch

■ Rumäniendeutsche Erzählungen von Johann Lippet und Franz Hodjak

Um ihre Zukunft hat man sie betrogen, all die frustrierten Proletarier, schwerfälligen Bauern und notorischen Trinker, die als Antihelden in den Erzählungen von Franz Hodjak und Johann Lippet nach ihrem Lebensglück suchen. Fast scheint es, als lebten sie in einer exterritorialen Agrargesellschaft: hier wird noch mühselig mit Pflug, Pferdewagen und Sense gearbeitet, hier marschiert noch der Ausrufer mit einer Trommel durchs Dorf, um die neuesten Nachrichten zu verkünden. Wer es bis in die nächste Kleinstadt schafft, der versucht sich als Totengräber, Leichenwäscher oder Hilfsarbeiter auf dem Bau und führt ein alkoholgeschwängertes Barackenleben. Wenn auch der Griff zur Schnapsflasche nicht mehr ausreicht, um die eigene Misere zu ertränken, zieht man sich kurzerhand auf den Dachboden zurück und legt sich die Schlinge um den Hals.

Wir befinden uns nicht in einer seltsam unwirklichen Welt am Rande der Zivilisation, sondern in Europa. Die Geschichten von Hodjak und Lippet spielen in Siebenbürgen und dem Banat, jenen deutschsprachigen Enklaven in Rumänien, deren Aussterben kurz bevorsteht.

Seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu hat sich in Rumänien der Exodus der deutschsprachigen Minderheiten rapide beschleunigt, so daß von den ursprünglich 200.000 Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben bald niemand mehr übrig sein wird. Im Jahre 2000 wird das Phänomen „Rumäniendeutschland“ nur noch ein Gegenstand der Historiker sein. Auch die Geschichten Hodjaks und Lippets intonieren den Grabgesang auf die rumäniendeutsche Lebenswelt. In einem nüchtern-protokollhaften, ja fast asketischen Stil erzählt Lippet die Geschichte des banatschwäbischen Bauern Anton Baumgartner, dem durch Verstaatlichung und Kollektivwirtschaft allmählich die Lebensgrundlagen entzogen werden. Am Ende, da er von seiner Hände Arbeit nicht mehr leben kann, bleibt ihm nur noch der Weg in die Selbstzerstörung. Was Lippet an Einzelheiten über den schweißtreibenden Arbeitsalltag des Anton Baumgartner zusammenträgt, mutet bisweilen an wie ein literarisches Genrebild aus dem 19.Jahrhundert. Denn er beschreibt ebenso geduldig wie präzise eine extrem rückständige agrarische Welt, in der umständliche manuelle Arbeitsvorgänge noch selbstverständlich sind: das Dengeln der Sense, das Striegeln der Kuh, der richtige Gebrauch der Brunnenkatze. Es ist die akribisch erzählte Geschichte eines banatschwäbischen Dorflebens zwischen 1962 und 1982, an deren Ende der eiserne Kollektivismus die bäuerliche Existenz vernichtet.

Ähnlich konzentriert und genau erzählt Lippet die Geschichte des Lehrers und Schriftstellers Horst Bachner, der an einem Oktobertag des Jahres 1984 seinen Dienst nicht antritt, sondern die Bilanz seines Lebens zieht. Der Protagonist sitzt in der engen Küche seiner anonymen Mietwohnung, schaut auf die Zeiger seiner Armbanduhr, registriert das Blumenmuster auf dem Tischtuch, macht Jagd auf eine Maus und eine Spinne und versinkt immer mehr in seinen Erinnerungen. Obwohl nichts Spektakuläres in dieser Erzählung geschieht, zieht sie einen doch immer mehr in ihren Bann. Langsam verflüchtigt sich der Schein der idyllischen Alltagsszene, und eine zunächst nur untergründig präsente Bedrohung breitet sich unaufhaltsam aus. Der in seiner Küche sitzende und faulenzende Held verwandelt sich immer mehr in einen Gefangenen, der in seiner Zelle auf seinen Henker wartet. Und so überrascht es am Ende nicht, wenn Horst Bachner von Milizsoldaten zur Rede gestellt wird und ohne nähere Angabe von Gründen verhaftet wird.

Wo Lippet sich episch-geduldig an die rumäniendeutsche Lebenswelt herantastet, da wählt Franz Hodjak die sarkastische Kürze. Lippet ist mehr bedächtiger und penibler Chronist, Hodjak dagegen brilliert als phantasie- und anekdotenreicher Geschichtenerzähler, der auf jeder Seite gleich mehrere funkelnde Pointen zündet. Mit Fabeln, lakonischen Alltagsparabeln und märchenhaften Grotesken bezeichnet er die alltäglichen Absurditäten im Rumänien Ceausescus. Seine deklassierten Proletarier und schrulligen Sonderlinge, die ihre Enttäuschungen in riesigen Mengen von Alkohol ertränken, sind immer auch Überlebenskünstler. Sie retten sich aus einer nicht mehr lebbaren Wirklichkeit ins Geschichtenerzählen und einen subversiven Galgenhumor. Erst wenn sie verstummen, wenn ihnen, wie dem Stadtsreicher Jakschi, alle Lebensperspektiven versperrt sind, ist ihr Scheitern besiegelt. „Wenn ihr verzweifelt seid“, heißt es in grimmigem Spott in der Erzählung Brief, „sucht jemanden auf, der noch verzweifelter ist. Denn jede Verzweiflung kann durch nichts andres als allein durch eine andre, noch größere Verzweiflung geheilt werden.“ Weil die rumänische Wirklichkeit keinen Platz mehr für sie bereithält, ziehen sich Hodjaks Figuren oft auf das Gespräch mit den Toten zurück — als Totengräber. Jeder Flicken seiner Jacke des Totengräbers Tzika verweist auf ein Menschenschicksal, auf die Geschichte eines politischen Häftlings, mit dem besagter Tzika als Knastinsasse die Zelle teilte. Die Gemeinschaft der Ausgestoßenen und Verlorenen, die sich in Hodjaks Erzählungen versammelt, wehrt sich gegen den Terror rumänischer Normalität mit Geschichten, die von der phantastischen Möglichkeit handeln, die kollektiv „verpfuschte Zukunft“ zu überlisten. So werden in jeder noch so aussichtslosen Lage Geschichten ausgebrütet, werden dem Leser Grotesken „um die Ohren gehauen, daß ihm schwindlig wird“. „Einer wurde“, heißt es im bereits zitierten Brief, „weil er Parabeln, Fabeln und Märchen schrieb, aufs heftigste angegriffen. Ob es denn keine Wirklichkeit gäbe, aus der man sich inspirieren könnte, lautete das vernichtende Urteil.“ Als einer der letzten rumäniendeutschen Schriftsteller von Rang hat Hodjak vor kurzem seine siebenbürgische Heimat verlassen; Lippet verließ das Banat schon 1987. Jene absurde Wirklichkeit, aus der sich ihre Literatur speist, war trotz ihres „inspirierenden“ Charakters für beide unerträglich geworden. Michael Braun

J. Lippet: Die Falten im Gesicht · Zwei Erzählungen. Wunderhorn Verlag, 236S., geb., 36DM.

F. Hodjak: Zahltag · Erzählungen. Suhrkamp, 192S., geb., 28DM.