KOMMENTARE
: Boock spricht

■ Die letzten RAF-Mythen werden demontiert

Demnächst werden wir über alles genauer reden, verkündete die RAF in einer Erklärung vom 10.April, in der sie ihr Konzept vom bewaffneten Kampf zur Disposition stellte. Reden tut jetzt aber ein anderer — einer, der aus Sicht der RAF ein Abtrünniger ist; einer, der in seiner Verteidigungsstrategie über Jahre auch seine Freunde und Rechtsanwälte hintergangen hat. Mit den Aussagen von Peter-Jürgen Boock werden nun die letzten beiden großen RAF-Komplexe aufgehellt: die genauen Umstände der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und die Frage, ob es sich bei dem tragischen Geschehen in Stuttgart-Stammheim im Herbst 1977 um Mord oder Selbstmord gehandelt hat. Auf letztere Frage baute die RAF einen großen Mythos, den sie zur eigenen Legitimation und zur Rekrutierung neuer Mitglieder einzusetzen wußte. Am Anfang vom Ende der RAF wird nun auch diese Legende, über lange Jahre der ideologische Kristallisationspunkt für radikale Gruppen, demontiert.

Der „neue Prozeß von unten“ und der Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen, den RAF und Gefangene nach dem Eingeständnis ihres Scheiterns einleiten wollen, wären glaubwürdiger, wenn die damals Beteiligten von sich aus die Hintergründe und Umstände ihrer Aktionen offenlegen würden. Dann wären die Rahmenbedingungen für eine politische Lösung, wie sie derzeit von Militanten und Teilen des Staatsapparates gesucht wird, erheblich günstiger. Preis für eine schonungslose Aufklärung von 22 Jahren tödlicher RAF-Politik müßte allerdings der erklärte Verzicht auf die Einleitung neuer Verfahren sein. Schließlich gilt das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, auch für die RAF-Gefangenen. Da die Beteiligten allesamt aber ohnehin schon zu lebenslänglichen oder hohen Haftstrafen verurteilt sind, wäre dieser Preis vergleichsweise niedrig. Im Gegenzug würde ermöglicht, über die Wurzeln, das heißt über die von den RAF-Gefangenen auch heute noch behauptete Legitimität der RAF-Aktionen, zu diskutieren. Irmgard Möller, die etwa die Anschläge auf Spitzenvertreter von Staat und Wirtschaft mit deren imperialistischer Rolle bei der Ausbeutung und Unterwerfung der dritten Welt rechtfertigt, müßte sich beispielsweise der simplen Frage stellen, ob durch die blutigen Aktionen der RAF auch nur einem einzigen Menschen im sogenannten „Trikont“ geholfen wurde.

Eine radikale Diskussion um die von der RAF zur Disposition gestellten politischen Konzepte wäre auch aus Sicht des Staates der beste Schutz vor weiteren Attentaten oder Anschlägen oder der Gründung neuer terroristischer Gruppen. Wolfgang Gast