Gezieltes Töten „under cover“

Maskierte Sondereinheiten der israelischen Armee erschießen ohne Warnung steckbrieflich gesuchte Palästinenser/ Palästinensische Menschenrechtsorganisation spricht von „Todesschwadronen“  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

„Ahmad Ghanim (20) aus Imatin — einem Dorf in der von Israel besetzten Westbank — wurde von einer maskierten Sondereinheit des israelischen Militärs erschossen. Am 13.Mai in den Nachmittagsstunden versteckten sich Soldaten im Haus des Majid Swan, der als Kollaborateur mit den israelischen Behörden bekannt ist. Als Ghanem sein Haus verließ, eröffneten die Soldaten von ihrem Versteck aus das Feuer. Anschließend näherten sie sich dem Schwerverwundeten und erschossen ihn. Der Leichnam wurde mit einem Hubschrauber abtransportiert.“

In Palästinenserkreisen hat es solche Meldungen aus den von Israel besetzten Gebieten in den letzten Wochen immer häufiger gegeben. Der erschossene Ghanem war seit sieben Monaten von den israelischen Behörden steckbrieflich gesucht worden.

Der stellvertretende Stabschef der israelischen Armee nahm zu den Einsätzen von israelischen Sondereinheiten Stellung, bei denen die „Gesuchten“ oft erschossen werden. Schachak rechtfertigte das Vorgehen der maskierten Sondereinheiten mit dem Hinweis, daß schließlich Krieg sei. Die Einheiten könnten nur in Dörfer eindringen, wenn sie überraschend auftauchten. Das Resultat solcher Maßnahmen bezeichnete der General als zufriedenstellend. Dadurch werde nicht nur der harte Kern des palästinensischen Widerstands unschädlich gemacht, auch der Abschreckungseffekt sorge für Ruhe. Dank der Einsätze, so der General, sei es in der Westbank zu einem 30prozentigen Rückgang „feindlicher Operationen“ im ersten Quartal dieses Jahres gekommen.

Vor wenigen Wochen forderte die Führung der Palästinenser in den besetzten Gebieten eine sofortige und unabhängige Untersuchung der „Tätigkeit israelischer Sondereinheiten“. Nach Aussage der Ostjerusalemer Führung seien diese in den vergangenen drei Monaten für die Ermordung von achtzehn Palästinensern verantwortlich. Am 27.März bestätigte die 'Jerusalem Post‘, daß maskierte Sondereinheiten des Militärs für die Hälfte der in den besetzten Gebieten erschossenen Palästinenser verantwortlich sind.

Nach einer Meldung der israelischen Zeitung 'Alhamischmar‘ soll eine weitere Liberalisierung des Schießbefehls innerhalb der besetzten Gebiete in Betracht gezogen werden.

Fußballer vor den Augen der Zuschauer exekutiert

Ein besonders krasser Vorfall ereignete sich auf einem Fußballplatz des Ortes Tulkarem in der Westbank am 22.März. Raschid Ganim, Mittelstürmer einer der beiden angetretenen Fußballmannschaften, war in seinem Sportdress zum Spiel angetreten. Unter den Augen der Zuschauer tauchten plötzlich vier uniformierte Soldaten auf dem Spielfeld auf und erschossen Ganem mit fünf Kugeln. Trotz der zahlreichen Augenzeugen dementierte ein Miitärsprecher diesen Mord.

Der Tel Aviver Psychologe Andre Dreznin hat in diesem Fall gegen den Verteidigungsminister, den Stabschef und die für Sondereinheiten verantwortlichen Offiziere Strafanzeige gestellt. In seiner Beschwerde stellt er fest, daß der Mord allem Anschein nach auf Befehl von Offizieren und anscheinend auch im Rahmen der gültigen aber geheimgehaltenen Schußwaffenverordnung geschah. Der unbewaffnete Ganim habe die Soldaten in keinster Weise bedroht und sei ohne Warnung niedergeschossen worden. Die Strafanzeige vom 28.April ist bisher unbeantwortet.

Das „Palestinian Human Rights Information Center“ (PHRIC) hat jetzt einen umfassenden Bericht über die israelischen Sondereinheiten veröffentlicht. Die Forschergruppe des PHRIC, zusammen mit Elia Zureik, einem Soziologen der Queen's Universität im kanadischen Ontario und unter Leitung der amerikanischen Menschenrechts-Aktivistin Anita Vitullo, kam zu dem Schluß, daß „Israel im Rahmen der Aktionen mit geheimen, maskierten Kommandos eine Politik der Hinrichtung von Palästinensern durchführt.“

Der Bericht mit dem Titel — "Gezieltes Töten: Israels verdeckte Einheiten“ — analysiert die Umstände, unter denen 29 Palästineser von Soldaten der Sondereinheiten getötet wurden. Laut Bericht stimmen bei den einzelnen Fällen die amtliche israelische Version und die Berichte der Augenzeugen fast nie überein. Nach Aussage der Autoren ist es Israel möglich, dieses „Exekutionssystem“ durch mehrere Faktoren zu verwirklichen: Eine breite Auslegung der Schußwaffenverordnung, die Geheimhaltung von Autopsie- Berichten, mangelnde öffentliche Kontrolle der Sondereinheiten und die Tatsache, daß die Einsätze von maskierten Soldaten vorgenommen werden. Außerdem würden in Fällen, in denen eine rechtswidrige Gewaltanwendung eindeutig ist, gesetzliche Maßnahmen unterlassen.

In den untersuchten Fällen wurde kein Versuch gemacht, die Opfer zu warnen oder lebend festzunehmen. Bei der Hälfte der Fälle war der Angeschossene allem Anschein nach noch am Leben, als er abtransportiert wurde. Erst später gab die Militärbehörde den Tod bekannt.

Die 29 untersuchten Fälle ereigneten sich alle 1991, also noch bevor die Sondereinheiten, die in dem Bericht mit „Todesschwadronen“ gleichgesetzt werden, Anfang dieses Jahres ihre Einsätze intensivierten.

Israelische Luftangriffe im Ostlibanon

Jerusalem (ap) — Israelische Kampfflugzeuge haben am Donnerstag Stützpunkte der Schiitenmiliz Hisballah im ostlibanesischen Bekaa-Tal angegriffen. Dabei sind nach Angaben der libanesischen Polizei sechs Hisballah-Kämpfer getötet und achtzehn verletzt worden.

Der israelische Rundfunk berichtete, die angegriffenen Ziele seien nur fünf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt gewesen. Die libanesische Polizei berichtete, die Angriffe hätten den Dörfern Dschenta und Nabi Schiht gegolten.

Bei den Luftangriffen handelte es sich vermutlich um eine Vergeltung für einen am Dienstag erfolgten Angriff der Hisballah auf die von Israel und der verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA) besetzten Teile des Südlibanon. Nach dem Angriff war es am Mittwoch zu heftigen Artillerieduellen gekommen. Es war das achte Mal in diesem Jahr, daß die israelische Luftwaffe Ziele in Libanon angriff.