Im Stau zur Umweltkonferenz

Umleitungen, Verkehrskontrollen und Beobachtungshubschrauber: Die Sicherheitsvorkehrungen im Zentrum Rios werden ein Verkehrschaos verursachen/ Die Stadt will ihre Armut nicht verstecken  ■ Aus Rio Astrid Prange

Nicht Umwelt und Entwicklung, sondern Sicherheit scheint für die brasilianische Regierung während des UNO-Umweltgipfels (UNCED) vom 3. Bis 14. Juni in Rio de Janeiro an erster Stelle zu stehen. Um den Schutz der 128 erwarteten Staatsoberhäupter zu garantieren, wird die brasilianische Armee 35.000 Soldaten, Polizisten und Feuerwehrmänner mobilisieren. Die zahlreichen Straßenkinder und Bettler, die ihre Pappkartons vorzugsweise an der Copacabana aufschlagen, sollen von dem enormen Polizeiaufgebot angeblich nichts zu spüren bekommen. „Wir werden das Elend nicht verstecken. Die Leute sollen sehen, was die zehn Jahre anhaltende Wirtschaftskrise in Brasilien angerichtet hat“, erklärt Brasiliens Verwaltungsminister Carlos Garcia, verantwortlich für die Organisation des UNO-Gipfels.

Die gigantische Sicherheitsoperation ist einmalig in der bisherigen Geschichte Brasiliens. Der Flughafen, die Hotels in der vornehmen Südzone der Stadt, das Kongreßzentrum sowie der Verkehr auf den wichtigsten zentralen Zufahrtsstraßen werden vom 30. Mai bis zum 16. Juni vom Militär kontrolliert. Allein die Ausrüstung der Söldner und Beamten mit modernsten Funkgeräten verschlingt 14 Millionen Dollar. „Wir werden regelrechte Inseln der Sicherheit schaffen“, erklärt Oberst Carlos Alberto Ayres, Pressesprecher des Militärkommandos Osten (CML), verantwortlich für die geplante Mammutoperation.

Während die Bundespolizei innerhalb der Hotels Zwischenfälle vermeiden soll, bewacht die Militärpolizei die Eingänge, riegelt je nach Bedarf die Straßen ab und macht regelmäßige Führerscheinkontrollen. Motorboote und Fregatten beobachten vom Meer aus das Strandleben. Zusätzlich filmen Hubschrauber das ganze Szenarium von oben.

Der Verkehr während der letzten fünf Tage der Konferenz, wenn die Mehrheit der Staatsoberhäupter eintrifft, verspricht chaotisch zu werden. Auf den ohnehin überfüllten Straßen von Rio rollen zusätzlich etwa 15.000 Mietwagen, 420 Busse sowie 600 Autos der Regierungsdelegationen. Für Staatschefs und hohe Regierungsmitglieder wird eine extra Fahrspur reserviert.

Daß einige der hohen Herren sich aus Sicherheitsgründen weigern, durch Tunnel oder unter Brücken hindurchzufahren, macht die Sache in einer extrem hügeligen Stadt wie Rio nicht gerade leichter. Die Umstellung der Anfahrtsrouten könnte dazu führen, daß nicht nur die Cariocas, wie sich die Einwohner von Rio nennen, sondern auch die sonstigen Teilnehmer der UNCED auf dem Weg zum Kongreßzentrum im Stau stecken bleiben.

Das rigorose Sicherheitsschema soll den Anblick der Armut nicht verdecken — schließlich will Brasilien damit seinen Forderungen nach mehr Geld Nachdruck verleihen. „Brasilien wird der Menschheit seinen Bauch zeigen“, erklärte Leonel Brizola kürzlich vor dem Senat in der Hauptstadt Brasilia.

Vor den Abgeordneten räumte der Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro ein, daß die Gäste eventuell einen schlechten Eindruck von Rio bekommen könnten. Doch dies sei jedensfalls für ihn kein Grund, die bestehenden Probleme unter den Teppich zu kehren.

Die provokante Offenheit von Gouverneur Brizola stößt nicht bei allen Gipfel-Teilnehmern auf Gegenliebe. Mery Galanternick, Korrespondentin von der 'New York Times‘, ist zum Beispiel um das Schicksal ihrer amerikanischen KollegInnen besorgt, die „ausgerechnet“ in einem Hotel unmittelbar gegenüber von „Rocinha“, Lateinamerikas größtem Elendsviertel, untergebracht sind.

Die Bewohner der Elendsviertel, genannt „Favelas“, die knapp ein Drittel der sechs Millionen Cariocas ausmachen, verfolgen den ganzen Wirbel um die Umweltkonferenz mit Skepsis. „Was haben die Favelados vom umweltverträglichen Wachstum?“ fragt Jose Carlos de Souza und fügt gleich die Antwort hinzu: „Nichts.“

Der Vorsitzende der Anwohnervereinigung der „Favela da Mare“, direkt an der neuen Stadtautobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen, findet das Schlagwort reichlich oberflächlich: „Wachstum und Entwicklung, ob umweltfreundlich oder nicht, müssen für alle gelten.“