Für eine Ökonomie des Verzichts

■ Interview mit Hessens grünem Umweltminister Joschka Fischer über den Rio-Gipfel und die bundesdeutsche Position/ Internationale Öko-Bank soll der Dritten Welt helfen

taz: Wenn Sie Bundesumweltminister wären, würden Sie nach Rio fahren?

Joschka Fischer: Natürlich muß Töpfer jetzt nach Rio fahren. Einer der reichsten Industriestaaten muß, auch wenn die anderen jetzt nicht mitziehen, dort Flagge zeigen und nicht nur Papier produzieren. Wenn ich mir allerdings die 25 Prozent CO2-Reduzierung anschaue, die das Bundeskabinett einmal beschlossen hat, und wenn ich mir gleichzeitig den Bundesverkehrswegeplan von Herrn Krause ansehe, dann sind die Verpflichtungen des Kabinetts offensichtlich ihr Papier nicht wert.

Müßte Töpfer nicht in der EG jetzt deutlich Position beziehen und trotz der Widerstände die Einführung der CO2-Steuer verlangen?

Da tut er sich natürlich schwer. Er kritisiert die Tatsache, daß die Kommission sagt, eine CO2-Steuer gibt es nur, wenn die anderen Industriestaaten mitziehen, er selbst aber ist mit seiner nationalen CO2-Steuer in die gestreckte Gerade der FDP und von Waigel gelaufen. Damals hat er uns gesagt, die CO2-Steuer gibt's nur wenn die EG mitzieht. Im Klartext: Die EG hat nur den doppelten Töpfer nachgemacht — er kann sie jetzt schwerlich kritisieren.

In Rio wird der Streit zwischen Nord und Süd vor allem ums Geld gehen. Minister Spranger hat schon gesagt, es werden nicht wesentlich mehr Mittel zur Verfügung stehen.

Ich glaube nicht, daß es im wesentlichen um Entwicklungshilfe geht. Die ist doch häufig Investitionsförderung für hiesige Produkte und Produktionen. In der Umweltpolitik werden wir um die Frage der Neuverteilung des begrenzten Reichtums und der begrenzten Ressourcen auf unserem Globus nicht umhinkommen. Bei dramatisch wachsender Weltbevölkerung, gleichzeitig wachsen die Grundbedürfnisse an atembarer Luft, an bewohnbarer Raum dramatisch mit, werden wir dringend quantitatives Wachstum brauchen. Ich glaube aber nicht, daß unsere Welt es weiter aushält, wenn ein relativ kleiner Teil der Weltbevölkerung das Maximum rausholt, während die armen Länder verzweifelt versuchen, überhaupt quantitatives Wachstum zu bekommen. Wir werden hier um Verzicht und eine Ökonomie des Verzichts nicht herumkommen. Ich glaube nämlich nicht, daß Verzicht nur moralisch funktioniert.

Dafür gibt es doch überhaupt keine institutionellen Voraussetzungen.

Der Westen hat einmal zur weltweiten Durchsetzung der Marktwirtschaft Institutionen geschaffen, denken Sie an die Weltbank. Ich bin der Meinung, daß die reichen Länder gut beraten wären, die WeltbankII zu gründen. Eine Bank zur Finanzierung der ökologischen Verantwortung für die armen und ärmsten Länder. Gerade in den armen Ländern sind die Umweltfrage und die soziale Frage auf das engste verknüpft.

Im Grunde müßten die westlichen Regierungen also eine Politik von Blut, Schweiß und Tränen machen und ihrer Bevölkerung vermitteln, daß das notwendig ist?

Blut, Schweiß und Tränen, ja und nein. Wir müssen sicher den ökologischen Strukturwandel vorantreiben. Dann wird es auch zum Umdenken kommen. Die reichen Länder haben schließlich eine Pfadfinderfunktion für die globale Entwicklung. Was wir brauchen, ist hier der Übergang zu qualitativen Werten, und die müssen auch ökonomisch bewertet werden. Wenn die OECD oder die G-7-Länder [die sieben größten westlichen Industrienationen, d.Red.] sich aber darauf verständigen können, daß wir eine wirkliche Umweltsteuerreform machen, keine Steuererhöhung, sondern eine Verlagerung der Belastung weg von den Einkommen und Gewinnen hin zum Ressourcenverbrauch, würden wir relativ schnell einen anderen Umgang mit Ressourcen bekommen. Damit würden wir wirklich zu einer postindustriellen Gesellschaft werden, die dieses nicht als Verzicht, sondern als Fortschritt begreift.

Also Verzicht, der nur nicht so empfunden wird?

Das ist nicht nur Empfindungsfrage, das ist eine Wertefrage. Warum ist es der Traum eines Gutteils der Menschen in Europa und anderswo, ein Auto zu haben? Es gibt kulturelle Gründe wie Freiheit, Mobilität, Status und Prestige. Zu anderen Zeiten, mit einem anderen Wertesystem, wäre dieser Wunsch nach dem Auto als historische Marotte betrachtet worden. Dennoch: Die Marktwirtschaft ist heute alternativlos, also muß sie sich auch ihrer Verantwortung stellen. Und die Verantwortung, die über den Jahresabschluß der Aktiengesellschaften hinausgeht, wird von Politik und Wirtschaft übernommen werden müssen. Da sehe ich keine Alternative. Gerade die Verteuerung des Ressourcenverbrauchs wird eine entscheidende Rolle spielen. Das wird nicht einfach. Ich glaube nur, man wird als Ökologe sehr unbequeme Dinge denken müssen. Interview: H.-J. Tenhagen