Aktenhändler, Herztod und die falsche „Traudl“

■ Berlintrip des Schalck-Ausschusses geriet zum Flop: Das Gericht hatte versehentlich eine falsche Zeugin geladen

Berlin (taz) — „Sie haben hier heute bestätigt“, fauchte die Abgeordnete Ingrid Köppe vom Bündnis90 den Zeugen an, „daß wir damals am Runden Tisch verarscht worden sind.“ Ihr Zorn richtete sich auf der gestrigen Sitzung des Schalck-Ausschusses gegen Willi Lindemann. Der sollte im Frühjahr 1990 als Chef einer vom DDR-Ministerrat eingesetzten Sonderkommission das Kanalsystem des Bereiches „Kommerzielle Koordinierung“ und seines Chefs Alexander Schalck-Golodkowski durchleuchten. Einen Teil seiner Arbeitszeit, so gestand er gestern vor dem Ausschuß ein, verbrachte Lindemann damit, Akten aus den legendären, zeitweise verschwundenen fünf Schalck-Koffern zu kopieren, darunter interne Vermerke über Gespräche mit Westpolitikern wie Wolfgang Schäuble und Franz Josef Strauß.

Der Runde Tisch in Ost-Berlin erfuhr damals nichts davon. Statt dessen verhandelte Lindemann lieber mit dem Rowohlt-Verlag über deren publizistische Vermarktung.

Abgesehen von den neuen Erkenntnissen über den wendetypischen Aktenhandel, geriet die Berliner Sitzungswoche des Schalck-Ausschusses weitgehend zum Flop. Eine seltsame postalische Panne verhinderte nämlich die mit Spannung erwartete Vernehmung der Schalck-Vertrauten Waltraud Lisowski. Nein, ein großangelegtes Täuschungsmanöver alter Stasi-Seilschaften mochte der SPD-Obmann im Schalck-Ausschuß, Andreas von Bülow, dahinter nicht erkennen; eher eine „unglückliche Mischung aus Irrtümern und Unfähigkeit“.

Wegen dieser Mixtur konnte der Schalck-Ausschuß am Mittwoch abend im Berliner Reichstagsgebäude nicht die für Westfirmen und —konten zuständige KoKo-Managerin Lisowski vernehmen. Das Sekretariat hatte nämlich die Zeugenladung der falschen Frau zugeschickt, nicht Waltraud sondern Edeltraud. Vielleicht geht die Verwechslung auf Schalcks dokumentierte Gewohnheit zurück, seine Fachfrau im Westen schlicht „Traudl“ zu nennen. Der Brief irrte eine Weile zwischen diversen Postämtern hin und her. Die echte Lisowski erhielt die Ladung erst kurz vor der geplanten Sitzung. Da die ehemalige KoKo-Lady ohne ihren Rechtsanwalt überhaupt nichts zu sagen gedenkt, letzterer aber den Termin so kurzfristig nicht wahrnehmen konnte, wurde die Lisowski-Vernehmung auf den 3.Juni vertagt.

Auch der für den gestrigen Mittwoch geladene frühere Chef der Abteilung Verkehr im ZK der SED, Günter Mittag, hatte abgewunken — krankheitshalber. Ersatzweise hörte der Ausschuß dann gleich drei Ärzte an. Fazit: Im Falle einer Vernehmung könnte der schwerkranke Mittag einen Sekundenherztod erleiden.

Mit der Ladung ehemaliger KoKo-Größen hat auch der U-Ausschuß des bayrischen Landtages seine liebe Not. Seit Monaten müht sich der erfolglos, eine ladungsfähige Adresse des früheren Ost-West-Fleischhändlers Herbert Rübler zu ermitteln. Kein Wunder: Herbert Rübler ist seit Jahren tot. Th. Scheuer