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Berfreiung aus dem inneren Gefängnis

■ Das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock schilderte gestern im Prozeß gegen Sigrid Sternebeck und Ralf Fiedrich den Ablauf der Schleyer-Entführung. ...

Zum ersten Mal in der Geschichte von RAF-Prozessen hat ein vermutlich Tatbeteiligter vor Gericht die Entführung des früheren Arbeitgeberpräsidenten Hanns- Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) geschildert. Gestern legte RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock als Zeuge im Stammheimer Prozeß gegen die früheren RAF-Mitglieder Sigrid Sternebeck und Baptist Ralf Friedrich erneut seine Lebensbeichte ab, die er in einem Brief an Bundespräsident Richard von Weizsäcker Ende März und bei Vernehmungen vor der Bundesanwaltschaft bereits begonnen hatte.

Er wiederholte sein Geständnis, an der Schleyer-Entführung am 5. September 1977 teilgenommen und auch auf die Breitseite der Wagenkolonne geschossen zu haben. Die letzte Entscheidung zu der Tat sei erst in der Nacht davor in einer Kölner Wohnung getroffen worden, sagte Boock. Er selbst sei nachgerückt für eine Person, die ausgeschieden sei, habe aber voll hinter seiner Beteiligung gestanden, weil es „um die Befreiung der Stammheimer RAF-Gefangenen ging“. Boock betonte, er wolle auch weiter keine Namen nennen, nicht etwa, um andere zu schonen, sondern es solle jeder diesen „Loslösungsprozeß“ selbst durchmachen.

Aber Boock brachte zudem die bisherigen Vermutungen über weitere Tatbeteiligte an der Geiselnahme durcheinander. „Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Rolf- Clemens Wagner waren an der Entführung nicht beteiligt.“ Durch seine Aussage, zwei noch lebende Männer seien nach den Todesfällen von Stammheim bei der Ermordung Schleyers dabei gewesen, wobei einer nicht dem Entführungskommando angehört habe, brachte die Bundesanwaltschaft zu dem Schluß, Rolf-Clemens Wagner und Stefan Wisniewski müßten demzufolge den Arbeitgeberpräsidenten erschossen haben. Oberstaatsanwalt Klaus- Ernst Pflieger resümierte am Ende der gerichtlichen Lebensbeichte Boocks: „Ich halte sie für wahr.“

„Sie müssen die Wahrheit auch vollständig sagen, alles, was sie wissen.“ Die formale Belehrung über die Wahrheitspflicht von Zeugen durch den Vorsitzenden Richter des 5.Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart, Kurt Breucker, gerät zum besonderen Ritual. Will er doch von dem 40jährigen Boock, den er als Zeugen schon oft vernehmen mußte, auch wissen, „warum Sie anderen Sinnes geworden sind“. Boock erklärt einleitend, er wolle mit seiner Lebensbeichte vermeiden, daß ehemalige RAF-Mitglieder für Dinge verurteilt werden, an denen sie keinen Anteil oder auf die sie keinen Einfluß hatten. Als zweiten Grund gibt er an, endlich den „entwürdigenden Zustand“ beenden zu wollen, den Menschen, die ihn jahrelang unterstützt hätten, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Schließlich habe er „endlich rausgewollt“ aus dem selbstgeschaffenen inneren Gefängnis.

Er macht schließlich erneut deutlich, die beiden Angeklagten Sternebeck und Friedrich hätten mit der Schleyer-Entführung nichts zu tun gehabt. Außer diesem Tatkomplex wird den beiden RAF-Aussteigern auch noch die Beteiligung am gescheiterten Bombenanschlag auf den früheren NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig im Juni 1979 im belgischen Obourg zu Last gelegt.

Boock faßt seine Rolle bei der blutigen Geiselnahme, bei der drei Polizisten und der Fahrer Schleyers im Kugelhagel eines RAF-Kommandos starben, mit den Worten zusammen: „Ich schoß.“ Nachfragen des Gerichts und der Bundesanwaltschaft, wer außerdem aus dem Kreis der damals rund zwanzig Personen zählenden Kommandoebene der RAF auszuschließen sei, läßt Boock unbeantwortet. Zur Begründung erklärt er, nicht durch ein „Subtraktionsverfahren“ zum „Kronzeugen wider Willen“ werden zu wollen.

Außer ihm sei auch Willy-Peter Stoll an jenem 5. September dabei gewesen, als kurz nach 17 Uhr ein zuvor auf die Straße geschobener Kinderwagen die Wagenkolonne des Arbeitgeberpräsidenten zum Anhalten zwang und vier — nicht wie bisher von den Behörden angenommenen fünf — RAF-Miglieder das Feuer eröffneten. Stoll war im September 1978 bei einer Polizeikontrolle in Düsseldorf erschossen worden.

Boocks Weigerung, weitere Namen zu nennen, hindert Oberstaatsanwalt Pflieger allerdings nicht, im Anschluß an die Zeugenvernehmung auf Grund von Aussagen verschiedener RAF-Aussteiger im „Subtraktionsverfahren“ den Schluß zu ziehen, nur Sieglinde Hofmann und Stefan Wisniewski könnten die beiden übrigen Schleyer-Entführer sein. Die spannendste Frage, wer schließlich Schleyer am 18.Oktober 1977 in einem Wald bei Mühlhausen erschoß, läßt Boock ebenfalls unbeantwortet.

Nur soviel gibt er an: Schleyer wurde bis zum Schluß von zwei Männern begleitet. Und: von einem, der Schleyer erschoß, habe er es persönlich erfahren. Dieser wiederum habe nicht zum Entführungskommando gehört. Und wieder kommt Oberstaatsanwalt Pfliegers „Subtraktionsverfahren“ zum Zug, als er folgert, dieser eine könne nur Rolf-Clemens Wagner sein. Der zweite Begleiter in den letzten Stunden des Arbeitgeberpräsidenten müsse Stefan Wisniewski gewesen sein. Ob beide schossen, ist unklar, obwohl der damals 62jährige Schleyer den kriminaltechnischen Untersuchungen zufolge aus zwei verschiedenen Waffen mit drei Schüssen in den Kopf getötet wurde.

Zu den vermeintlichen Stammheimer Selbstmorden von Andreas Bader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe erklärt Boock, er selbst habe die Waffen und den Sprengstoff präpariert, die in die Haftanstalt geschmuggelt wurden. Außer ihm und einer weiteren Person, deren Namen er nicht nennt, hätten nur die beiden Kuriere davon gewußt. Die nicht genannte Person habe jedoch in Bagdad — wo sich ein Teil der RAF-Mitglieder aufhielt, als sich die Todesfälle von Stammheim ereigneten — zu dem von den meisten geäußerten Mordverdacht gesagt: „Könnt Ihr Euch nur vorstellen, daß die Leute Opfer sind, oder nicht auch bis zum letzten Augenblick selbstbestimmt handelten.“ Aus früheren Aussagen anderer RAF-Aussteiger geht hervor, daß es sich dabei wohl um Brigitte Mohnhaupt handeln dürfte.

Schließlich berichtet Boock auch noch Einzelheiten zum Anschlag auf Haig. Nachdem er im Mai 1978 zusammen mit Brigitte Mohnhaupt, Rolf-Clemens Wagner und Sieglinde Hofmann in Zagreb festgenommen wurde, die Gruppe kurz darauf aber wieder in ein Land ihrer Wahl reisen durfte, habe er sich zwangsweise in Aden aufgehalten.

Am gleichen Tag war nämlich Stefan Wisniewski in Paris verhaftet worden, der in Sachen Boocks Drogensucht unterwegs war. Daraufhin habe die Gruppe, ihn, Boock, weitgehend ausgeschlossen und ihm den Aufenthalt in der damaligen südjemenitischen Hauptstadt verordnet. In einem Haus, das verbündeten Palästinensern als Waffen- und Munitionsdepot diente, seien dann Ende 1978 zwei RAF-Mitglieder, deren Namen er natürlich nicht nenne, erschienen, um zehn Kilogramm Sprengstoff abzuholen. Dieser sei, wie er später erfahren habe, über Rom nach Europa gelangt, und beim Anschlag auf Haig verwendet worden. Warum das Attentat mißlang, war für Boock recht schnell klar: „Denen fehlte der Techniker.“ So sei die Verzögerung bei einer Zündung per Kabel nicht ausreichend berücksichtigt worden, weshalb die Bombe erst hinter dem Wagen Haigs explodierte. Edgar Neumann, Stuttgart

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