Tschadische Leichenberge

■ Unter dem Diktator Hissein Habre sollen 40.000 politische Häftlinge ermordet worden sein

Berlin (taz) — Weit grausiger als bisher angenommen war die acht Jahre währende Schreckensherrschaft von Hissein Habre im Tschad, die 1990 zu Ende ging. Eine vom seither regierenden Idriss Deby eingesetzte Untersuchungskommission hat jetzt ihren Abschlußbericht vorgelegt: 40.000 Häftlinge kamen danach in Habres Kerkern zu Tode, über 200.000 überlebten als Folteropfer. Die höchste bisher genannte Zahl der Todesopfer, verbreitet von der französischen „Internationalen Menschenrechtsvereinigung“ (FIDH), lag bei 10.000.

Man muß sich vor Augen halten, daß der Tschad zum Zeitpunkt von Habres Machtergreifung 1982 kaum fünf Millionen Einwohner zählte. Nahezu jeder zwanzigste muß demnach in der einen oder anderen Form Opfer des Terrors gewesen sein. Erinnert man sich, daß der Krieg gegen Libyen und Aufstände im Süden Teile der Bevölkerung über Jahre hinweg der Regierungskontrolle entzogen, und rechnet man Tausende von Kriegsopfern hinzu, wird das Ausmaß des tschadischen Leids deutlich.

Die Regierungskommission unter Vorsitz des Richters Mahamat Hassan Abakar hörte über 1.700 Betroffene an, besichtigte Massengräber und Gefängnisse. Zu Habres Zeiten wurden ehemalige Kolonialvillen im Besitz des Geheimdienstes mitten in der Hauptstadt N'Djamena zu Todeslagern umfunktioniert. Für die französische Schutzmacht kann dies kein Geheimnis gewesen sein: Ein Mitarbeiter von amnesty international berichtete der taz, wie Gefangene damals mit NATO-Lebensmittelrationen gefüttert und in Hörweite eines US-amerikanischen Hilfsorganisationsbüros gefoltert wurden (taz vom 5.8. 91). Andere Berichte erzählen, wie Häftlinge gezwungen wurden, sich aus dem eigenen Körper Fleisch zu schneiden, es auf einem Feuer zu grillen und zu essen.

Der jetzt vorgelegte Bericht richtet an Idriss Deby mehrere Forderungen. Ehemalige Folterer sollten aus den Sicherheitskräften entlassen werden, die Demokratisierung schneller vorankommen — damit das Land „nicht wieder in die Schrecken und das Unrecht der Vergangenheit abrutscht“. Eine notwendige Warnung: Soldatenterror und politische Morde sind auch in Debys Tschad an der Tagesordnung — wenn auch nicht im selben Maße. Doch ist eine Re-Zivilisierung aus eigenen Mitteln überhaupt möglich in einer derart zugrundegerichteten, traumatisierten Gesellschaft, die seit der französischen Eroberung niemals Frieden erfahren hat? Dominic Johnson