Höhenangst

■ Stückemarkt: Oliver Bukowskis »Bornout — Die Verweigerung des hohen Cehs« wurde im Theaterdock uraufgeführt

Bukowski heißt der Autor: Nein, nicht Charles, sondern Oliver; kein sein Leben anarchistisch ausbreitender Großtstadttramp, sondern ein Doktorand der Sozialpsychologie, der 1987 sein Studium mit einer Arbeit über »Begriffe neuer Motivationstheorie» abschloß, sich daneben aber zum Theater getrieben fühlte und mehrere Ost-Off-Theatergruppen gründetet. Der 31jährige Cottbusser hat bereits mehrere Stücke verfaßt.

In Burnout — Die Verweigerung des hohen Cehs toben schreckliche Ängste von pathologischer Dimension: Dohmühl jr. ist Gerüstbauer, hat aber schreckliche Höhenangst, die ihn schon auf leichter Leiterhöhe zittern läßt. Golem, ein ihm zugelaufener tumber Geist, verfügt zwar nicht über die Möglichkeit spekulativen Gedankenguts, dafür hat er aber auch keine Höhenangst. Die Kommunikation zwischen den beiden bildet den Kern des Stückes.

Golem versteht die Welt nur durch Nachahmung: Indem er die aufgeschnappten Worte und Satzfragmente aus dem Zusammenhang reißt und für sich beständig wiederholt, gelangt er zu einem Aussage- und Gestenkanon, der ihm hilft, sich vor sich selbst und anderen verständlich zu machen. Dohmühl hingegen ist der Intellektuelle, der Geist, dem die Wirklichkeit ironisch die Schwachstellen konzentrierter Lebensplanung einbrennt. Dazu gehört eine unterdrückte Sexualität ebenso wie die Angst vor der eigenen Courage.

Die beiden Antipoden — dramaturgisch absurd zusammengebracht — durchleben einige Szenen gemeinsamen Beisammenseins, in dem vor allem die Zuneigung Dohmühls zu einer besonders fetten Wohnungsnachbarin eine entscheidende Rolle spielt. Sei es durch die surrealistisch zelebrierte Heirat, sei es durch die Anwesenheit des Golems: Am Ende verbrennt Dohmühl seine Skizzen und schafft es in Abkehr vom vorgefertigten Plan die Leiter ohne Höhenangst zu erklimmen. Eine späte Initiation zur Öffnung gegenüber einem wahren, unverstellten Leben, das von aller Konstruktion befreit ist.

Die Inszenierung der westlichen Stadthirschen (Regie: Werner Gerber) hat sich von der Vorstellung der Konstruktion nicht befreien können: Als solle in dieser Uraufführung sofort gezeigt werden, was alles möglich wäre (und so doch nicht möglich ist), bleibt kein Stilmittel unberührt. Beginnt das Ganze wie eine psychologische Studie im Barackenmilieu, verdichten sich doch bald die absurden Elemente zu Pinterscher Dimension; später erfolgt dann noch eine Referenz an das Tanztheater von Pina Bausch und sechs tanzende Gestalten gestalten sexuelle Tiefenträume; schließlich bleibt uns auch tiefe Theaterreflexion nicht erspart: der Blick ins Publikum soll dazu herausfordern.

Die Schauspieler hecheln gnadenlos durch die ungestüme Konstruktion. Doch während Werner Koller, mit Schweizer Akzent, Rauschebart und Intellektuellenbrille wenigstens mit vollem Einsatz spielt, ist bei Dominik Bender als Golem zu spüren, daß in ihm eine ganze Reihe von psychologischen Widerständen dagegen gerichtet sind, den Tumben nicht nur auszustellen, sondern auch vorzuleben; eine Figur unglaublicher, fast unverschämter Künstlichkeit, der das Leben aufgestülpt ist wie die blonde Langhaarperücke.

Das Stück eines jungen Autoren — ausgesucht von einem erfahrenen Dramaturgen (Klaus Völker) — von einer Off-Gruppe aufführen zu lassen, ist an sich eine Verfahrensweise, die Bestes hoffen läßt und die man sich mehr gefördert vorstellen könnte (eine ganze Reihe von Off- Gruppen gäbe es dafür zu entdecken). Daß es dabei nicht unbedingt immer zu neuen innovativen Schüben, sondern auch zur lauwarmen Aufbereitung des hinlänglich Bekannten kommen kann, gehört zum Wagnis der Erprobung — alte Höhenangst sollte das auf keinen Fall reaktivieren. baal

Weitere Vorstellungen: bis 28.Juni, Do.—So. um 20.30Uhr, im Theaterdock in der Kulturfabrik Lehrter Straße35