Die Rauschzustände mit delierender Kamera einfangen

■ »Wild in the Streets« — Ein Drogen-Movie aus den Sechzigern im Eiszeit

Wie allgemein bekannt ist, gab es ab Mitte der sechziger Jahre eine ganze Menge Leute, die zu viele verbotene Substanzen zu sich nahmen und deshalb etwas weicher in der Birne wurden, als ihnen guttat. Das Absurdeste an der Situation war allerdings, daß ausgerechnet diejenigen, die solche Mittel nicht konsumierten, sich durch diese Kindsköpfe ernstlich bedroht fühlten.

Drogen waren schon seit der Stummfilmzeit ein beliebtes Filmthema, weil sie die Möglichkeit boten, Sex, Gewalt und andere Widerlichkeiten darzustellen, aber gleichzeitig per pseudoaufklärerisch erhobenem Zeigefinger durch die Zensur zu rutschen. Damals waren Kokain und Opium der Vorwand. 1959, als LSD noch weithin unbekannt war, stellte Vincent Price in The Tingler den allerersten Acid-Rausch auf Leinwand dar. Als LSD schließlich modern geworden war, nutzten viele Filmemacher diese Möglichkeit, Kinobesucher zu schockieren. Ein eigenes Genre entstand, in dem versucht wurde, die Rauschzustände mit einer delirierenden Kamera, Fischaugenobjektiven, Doppelbelichtungen und eingefärbten Negativen darzustellen.

Roger Cormans The Trip, geschrieben von Jack Nicholson, mit Peter Fonda und Dennis Hopper in den Hauptrollen, war der kommerzielle Höhepunkt des Genres, das ohne die Hippie-Bewegung nicht denkbar gewesen wäre. Aber auch die Schlußsequenz eines Klassikers wie 2001 — Odyssee im Weltraum ist eindeutig beeinflußt von den LSD- Movies der Sechziger.

Vor allem die Produktionsfirma American International Pictures stürzte sich auf dieses Thema. AIP war auf den Teenie-Markt spezialisiert, ihre Produktionen waren schnell und billig, ihre Regisseure zweitklassig oder überzeugte B-Picture-Lieferanten wie eben Corman. In den Sechzigern war AIP eine der kommerziell erfolgreichsten Hollywood-Firmen, während die Kritiker sich beschwerten, daß diese Filme schamlose Angriffe auf die Grundwerte der modernen Zivilisation darstellen. Klar, daß so was den pubertierenden Minderjährigen mehr zusagte als etwa Doktor Schiwago und die Kassen klingeln ließ.

1968 drehte der sonst nicht weiter in Erscheinung getretene Barry Shear Wild in the Streets, die Geschichte des Rocksängers Max Frost (Christopher Jones), der, gedemütigt von der Mutter (Shelley Winters), alles Erwachsene haßt und mit Hilfe seiner Fans das Wahlrecht für 14jährige durchsetzt. Frost wird schließlich zum Präsidenten gewählt und bastelt die USA per Dekret zum faschistischen Jugendkult-Staat um. Seine Philosophie: »If you're thirty, you're through.« Alle Menschen über 30 werden pensioniert, die über 35jährigen werden in Lager gesteckt und dort mit LSD glücklich gestellt. Der Film endet mit einer angedeuteten neuerlichen Revolte der unter Zehnjährigen gegen die Regentschaft der Zwanzigjährigen.

Wild in the Streets gibt den Visionen und Hoffnungen der Hippie-Generation Gestalt. Für Max Frost stand Jim Morrison Pate, der alte Kiffertraum vom LSD im Leitungswasser wird hier zu Ende gedacht. Der gesamte Kongreß kichert sich bedröhnt fast zu Tode, aber natürlich folgt die Moral auf dem Fuße: Der Hippietraum endet in der Diktatur. Hier formuliert Shear in vorauseilendem Gehorsam die Ängste und Vorurteile der Erwachsenen aus, um der Zensur ein Schnippchen zu schlagen.

Trotzdem fällt Wild in the Streets etwas aus dem Rahmen der üblichen LSD-Filme. Die Kamera hält sich entschieden zurück, und wer die Ästhetik des »Beat-Clubs« mochte, wird sich hier ganz zu Hause fühlen. Außerdem waren die wenigsten Drogenesser-Filme dezidiert politisch. Meistens genügte es ihnen, einen Drogentrip darzustellen. Selten wurde versucht, die verworrene Hippie-Philosophie ernst zu nehmen.

So ist auch Wild in the Streets zuerst einmal gute Unterhaltung, wie es sich für einen Teenie-Explotation- Streifen geziemt. Und überraschend gut gemacht. Selbst der Soundtrack ist anzuhören. Hübscher Gag am Rande: der Auftritt von Richard Pryor in einer Nebenrolle — dreimal so dünn und absolut nicht wiederzuerkennen. Thomas Winkler

Wild in the Streets , OF, Regie: Barry Shear, Buch: Robert Thom, mit Shelley Winters, Christopher Jones, Diane Varsi, Ed Begley u.a. Von 21. bis 28.Mai um 23.30Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstr.20, Kreuzberg