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DIETER HILDEBRANDT WIRD 65 — BEKENNERSCHREIBEN AUS DER SYMPATHISANTENSZENE

Lieber Dieter,

ich gratuliere der Bundesrepublik Deutschland, daß sie Dich zu ihren Bürgern zählen darf. Du hast so viel linken Glanz in ihr rechtes Licht gebracht, daß ich auch in Zeiten des eiskalten Krieges in dieser Bundesrepublik kein rechtes Feindbild zu erkennen vermochte. Ein Land, das sich solche Kritiker leistet, konnte so schlecht nicht sein, wie es sich nur zu oft durch seine Politiker darstellte.

Wir hier im Osten haben den Westen um Dich und Dich um Deine Freiheiten beneidet, die Du da in der Demokratie genutzt hast. Was ich damals nur ahnen konnte, weiß ich jetzt, da ich selbst durch einen von mir nicht gewählten Anschluß Bürger dieses Landes bin: Auch in der Demokratie braucht man Mut, dieselbe zu verteidigen.

Daß Du das ausgerechnet von München aus versuchst, ehrt Dich. Wenn Dich nun auch noch der Bayerische Rundfunk sendete, würde ihn das ehren. Aber das wäre wohl schon zuviel der Ehre. Ein deutscher Satiriker sucht sich seinen Sendeplatz nicht aus. Er hat froh zu sein, überhaupt darauf geduldet zu werden. Mein Gott, was hatten deutsche Nachkriegspolitiker aber auch unter Dir zu erdulden! Wieviele deutscher Kanzler hast Du auf Deinem satirischen Gewissen! Sogar einen richtigen bayerischen Ministerpräsidenten hast Du heimtückisch überlebt. Und daß Satiriker die Objekte ihrer Kritik überleben, das ist in der deutschen Geschichte nicht vorgesehen. Teil der deutschen Misere ist ja unter anderem, daß sie ihre Kritiker zu überleben pflegt. Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky hieß eines Deiner ganz großen Programme, die Du damals mit Werner Schneyder gemacht hast.

Aber nun will ich Dir nicht Deinen Geburtstag vermiesen, indem ich aufzähle, wen Du noch alles zu überleben hast. Ich will Dir nur einfach danke sagen. Und wer mich je auf einer Kabarettbühne gesehen hat, der weiß, wieviel ich Dir verdanke. Die aufmerksamen Kritiker, die in Dir mein Vorbild vermutet haben, haben richtig vermutet. Wer mir das zum Vorwurf machen will, den kann ich nur bitten, mir ein besseres Vorbild zu nennen.

Wie wenig Talent und Charakter übereinstimmen müssen, hat nicht nur Erich Kästner einleuchtend beschrieben. Wir beide haben auch oft davon gesprochen, und Du bist da noch etwas skeptischer als ich Blauauge. Daß aber beides — Talent und Charakter — auch einmal übereinstimmen können, das beweist Du für mich wie kein anderer. Das, worum Politiker so verbissen wie vergeblich kämpfen, um Glaubwürdigkeit, das hast Du für mich schon besessen, als ich Dich nur aus dem Radio kannte. Gewiß, das war damals der reine Kinderglaube. Aber als wir uns dann zum ersten Mal trafen — in Leipzig war's, und Sammy Drechsel lebte noch — da erfuhr ich, es muß nicht alles falsch sein, woran man als Kind geglaubt hat.

Auf der Heimfahrt nach Berlin erzählte Sammy unentwegt Schnurren. Was er von dir erzählte, das war genau das, was ich hören wollte. Der Hildebrandt ist genau so, wie ich wollte, daß er wäre. Nun werde ich aber den Teufel tun und das ausplaudern, was ich von Dir weiß. Zu viele Leute könnten es ausnutzen. Nur soviel — wenn ein Berliner einen anderen in höchsten Tönen loben will, dann sagt er: „Der jibt ab.“ Genauer kann man das nicht sagen, was ich meine.

Wenige Monate bevor die Wende über uns hereinbrach und in einer ganz und gar unbedachten Schnellvereinigung gipfelte, die wir damals nicht bejubeln konnten, wie wir sie heute nicht mehr beklagen wollen— also damals, vor der Zeitenwende wollten wir zusammen ein gesamtdeutsches Kaberettprogramm machen. Dieses Programm machten dann die Politiker, zwar nicht so komisch, wie es bei uns ausgesehen hätte, aber eben so folgenreich, daß wir uns sagten, wenn die sich schon vereinigen, wozu dann wir auch noch? Wir lassen uns lieber mehr Zeit, damit etwas Vernünftiges herauskommt.

Nun spielst Du mit Renate Küster (Glückwunsch! Ihr habt einander verdient.) die herrliche Schlacht am Metaphernberg, und ich schreibe jetzt hauptamtlich für die Berliner Distel, und wenn wir uns zwischendurch mal kurz sehen, dann trinken wir Rotwein. Und nachdem wir uns erzählt haben, was die Leute so über uns erzählt haben, trinken wir noch mehr Rotwein, und wenn wir dann endlich ganz klarsehen, besprechen wir wieder das gemeinsame Projekt. Und dann verabreden wir uns noch rasch für den übernächsten Abend, an dem dann der eine überraschend nach Brandenburg muß, während der andere sowieso Vorstellung hat. Und dann kommt es zum gelegentlichen Austausch von Briefen.

Dieter, ich schwöre Dir, dies ist mein erster offener Brief. Aber da man sich auf die Post nun gar nicht mehr verlassen kann, seit der Trott gesamtdeutsch ist, kann ich nur hoffen, daß die taz schneller ist. Aus alter DDR-Zeit bin ich sowieso daran gewöhnt, daß meine Briefe von anderen mitgelesen werden. Also, meine lieben Mitleser, Sie brauchen sich nicht zu genieren! Für unsereinen ist es sogar schön, sich nochmal so wichtig vorzukommen wie seinerzeit, als jedes Wort mitgehört und mitgelesen wurde. Aber das könnt Ihr da drüben bestmmt nicht verstehen, weil bei Euch das Brief- und Telefongeheimnis schon wieder gehütet wurde.

Während von mir höchstens eine langweilige Stasi-Akte existiert, für die nicht einmal ich mich interessiere (Mehr als ich können die sowieso nicht über mich gewußt haben!), existiert von Dir ein wunderschönes Buch, das zu lesen sich wirklich lohnt. Es heißt Was bleibt mir übrig und steht in meinem Bücherschrank direkt neben Tucholsky. Wer weiß, was mir Tucholsky bedeutet, der weiß auch, was es bedeutet, wenn ich einen danebenstelle. Eine kleine Lücke hab ich da übrigens noch gelassen — für Dein neues Buch.

Lieber Dieter, ich gratuliere uns einfach, daß es Dich gibt.

Dein (gar nicht schwarzer) Peter

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