: PLATTE REIFEN UND EIN SPEICHENBRUCH
■ Auf dem Fahrrad 4.500 Kilometer durch das südöstliche Afrika
Auf dem Fahrrad 4.500 Kilometer
durch das südöstliche Afrika
VONKARL-MARTINSEEBERG
Die Sonne sinkt allmählich tiefer und hüllt die Landschaft in die für diese Gegend so typische Rotfärbung. Wir sitzen immer noch auf unseren Fahrrädern, müde nach langer Fahrt und noch ohne Idee, wo wir die Nacht verbringen könnten. Wir sind heute erst gegen Mittag in Lilongwe aufgebrochen, so daß unser geplantes Tagespensum zu einem in der Karte eingezeichneten Ort mit Guest House nicht zu schaffen ist. Wenn wir nicht im Straßengraben übernachten wollen, müssen wir uns nun etwas überlegen, da sich der Übergang vom Tag zur Nacht sehr schnell vollzieht.
Kurzentschlossen schieben wir unsere Räder in ein an der Straße gelegenes Hüttendorf. Wir fragen einen jungen Mann am Dorfrand, ob wir unser Zelt im Schutze des Dorfes aufstellen dürften, und haben Glück: Er spricht Englisch und gibt seine Einwilligung. Etwas abseits suchen wir nach einem Platz, aber noch bevor wir unser Gepäck abladen, kommt der junge Mann in Begleitung des Dorf-Chiefs wieder. Außerhalb des Dorfes sei es zu gefährlich, wir sollten hereinkommen erklärt uns der Chief und weist uns einen Platz inmitten des Dorfes zu. Einige Jugendliche fegen die Erde. Nach kurzer Zeit kommt der Chief wieder und bietet uns eine Hütte zum Schlafen an. Wir freuen uns über diese Einladung, ziehen es jedoch vor, im eigenen Zelt zu übernachten. Der Alte trinkt Kaffee mit uns. Der junge Mann dolmetscht, da weder wir des ChiChewa noch der Chief des Englischen mächtig ist. Wir werden herzlich willkommen geheißen. Vor allem unsere Fahrräder bestaunt der Chief gebührend. Fragen über unsere Reisen, ob die Strapazen für uns — eine Frau und ein Mann im Alter von Mitte dreißig aus dem fernen Deutschland — nicht zu groß seien. Freundliches Plaudern.
Nicht immer gestaltet sich die Schlafplatzsuche während unserer achtmonatigen Fahrradtour durch Afrika derart exotisch: Auf der Fahrt durch Simbabwe, Sambia, Malawi, Tansania, Zaire, Uganda und Kenia gibt es diesbezüglich allerdings nie Schwierigkeiten. Einfache Guest Houses oder Möglichkeiten zum Zelten finden sich in jeder Ortschaft. Oft werden wir eingeladen. Die Gastfreundschaft der Afrikaner ist sprichwörtlich.
Vor Antritt der Reise machten wir uns über alles mögliche Sorgen: finden wir Übernachtungsmöglichkeiten, wie sieht es aus mit der Versorgung, insbesondere mit Trinkwasser, halten unsere Fahrräder durch, wie sicher sind wir auf den afrikanischen Landstraßen, und wie wird die Bevölkerung reagieren?
Um es vorwegzunehmen: Sämtliche Probleme lassen sich lösen. Was bleibt, ist ein unvergeßliches Erlebnis. Kein Autofenster verhindert die Kommunikation mit den Menschen; allein durch die Art des Fortbewegungsmittels sind die ungewöhnlichsten Kontakte vorprogrammiert. Dörfer und Gegenden, die der Bus- bzw. Autoreisende lediglich im Vorbeigehen streift, werden buchstäblich „erfahren“. Die afrikanische Landschaft, das Leben auf der Straße wird hautnah. All das hebt den einzigen Nachteil auf: Die Nationalparks sind für Fahrräder tabu. Die Gefahr, daß ein hungriger Löwe sein Mittagessen vom Rad holt, ist wohl zu groß.
Eine Radtour in Afrika unterscheidet sich grundlegend von einer Reise mit dem Fahrrad durch Europa. Die Entfernungen sind größer, manchmal dauert es 50 Kilometer, und das heißt unter Umständen einen ganzen Tag, bis eine Ortschaft auf die andere folgt. Trinkwasser muß immer mitgeführt werden. Zwei Jumboflaschen, am Rahmen befestigt, das Wasser mit Micropur-Tabletten keimfrei gemacht, gehören zu unserer Grundausrüstung. Noch im kleinsten Dorf gibt es einen „Bottle Store“, der (meistens warme) Coca-Cola vorrätig hat, manchmal steht ein solcher Laden inmitten scheinbarer Einsamkeit im Busch an der Straße. An vielen dieser Bottle Stores halten wir an, tanken Flüssigkeit nach und kommen mit den Einheimischen ins Gespräch. Immer wieder müssen wir von unserer Route erzählen, immer wieder das ungläubige Lachen. Und immer wieder werden unsere Fahrräder fachmännisch gemustert. Wir sind mit guten Tourenrädern ausgerüstet, eine Zehngangschaltung ist unerläßlich. Teile wie Schläuche, Züge, Schrauben, Speichen müssen mitgeführt werden, da nicht damit zu rechnen ist, in Afrika Ersatz zu finden. Die Afrikaner fahren auf schweren chinesischen oder alten Raleigh- Rädern, die andere Normen aufweisen als die bei uns gebräuchlichen. Wir haben Glück: auf 4.500 Kilometern drei platte Reifen und ein Speichenbruch. Allerdings hatten wir unsere Räder vor der Reise gründlich überholt und vorsichtshalber Laufräder und Tretlager erneuert.
Im Prinzip ist es möglich, von Simbabwe bis Uganda und Kenia auf asphaltierter Straße zu fahren; will man aber etwas abseits der Hauptverkehrsrouten Land und Leute kennenlernen, kommt man um Schotterpisten, die höchste Anforderungen an Fahrrad und Radler stellen, nicht herum. Wird die Straße zu schlecht, ist es überall möglich, sich von einem Pick-up oder Lastwagen mitnehmen zu lassen. Oft gegen ein kleines Entgelt. Von Zeit zu Zeit greifen wir dankbar auf diese Möglichkeit zurück, insbesondere wenn es zu heiß zum Radeln ist. Die klimatischen Bedingungen sind ein wesentlicher Faktor für die Wahl der Reisezeit. Die Regenzeit macht das Fahren auf nichtasphaltierter Straße unmöglich. Südlich des Äquators hat man die Wahl zwischen Juni bis Oktober und Januar bis April, wobei im Frühjahr zumindest die Küstengegenden aufgrund der Hitze zu meiden sind. In den Bergregionen — und das sind die landschaftlich attraktivsten — ist das Radfahren ohne weiteres möglich. Selbst wir — keine durchtrainierten Profisportler — bewältigen diese Route problemlos.
Malaria-Prophylaxe ist notwendig, sowie Impfungen gegen Cholera und Gelbfieber. Ohne deren Nachweis im Internationalen Impfpaß sind viele afrikanische Grenzen nicht passierbar. Apropo Grenzen. Wir treffen mehr als einen Autofahrer, der den ganzen Tag mit der Grenzabfertigung verbrachte; und Rucksackreisende, denen ihr Gepäck Stück für Stück auseinandergenommen wurde. Uns dagegen läßt man unbesehen durch die Grenzen. Radler sind eben ein Exotikum: sogar die übliche Frage nach den Rückflugtickets erledigte sich für uns stets von selbst. Die für den Grenzübertritt erforderlichen Visa erhält man problemlos solange kein südafrikanischer Stempel den Paß verunziert.
Zeit ist Voraussetzungen für einen Afrika-Fahrrad-Trip, auch wenn sich sicherlich nicht jeder wie wir acht begnadete Monate leisten kann. Zu viele Unwägbarkeiten sind zu berücksichtigen. In Kariba/Simbabwe hängen wir zehn Tage an der sambischen Grenze fest. In Sambia wird die Währung ausgetauscht, deswegen sind sämtliche Grenzen für zwei Wochen geschlossen. Das afrikanische Zeitgefühl ist anderes als das unsere.
Und auch das ist Afrika: Am hellichten Tag kreuzen drei Elefanten unseren Weg, nachts grast ein Flußpferd neben unserem Zelt, eine Horde Warzenschweine frißt unsere gesamten Frühstücksvorräte weg.
In Nairobi besteigen wir unsere Räder ein letztes Mal und fahren zum Kenyatta-Airport. Die Fahrräder werden genauso problemlos mitgenommen wie auf dem Hinflug nach Harare in Simbabwe: 20 Kilo hat jeder Passagier frei. Entsprechend umfangreich ist unser Handgepäck.
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