Afrikaner im Eis ...

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AFRIKANERIMEIS...

Als der Togolese Tete-Michael Kpomassie im Juni des Jahres 1965 grönländischen Boden betritt, beschreibt ihn der Lokalfunk in Godthaab seinen Hörern mit folgendem Funkspruch: „Er ist ein sehr großgewachsener Mensch mit Haar wie schwarze Wolle. Seine Augen sind nicht geschlitzt, sondern bogenrund und von aufgebogenen Wimpern beschattet.“

Acht Jahre war Kpomassie unterwegs, um jenes sagenhafte eisbedeckte Land mit eigenen Augen zu sehen, von dem er als Heranwachsender im heimischen Lomé in einer Missionars-Buchhandlung gelesen hatte. Acht Jahre wird dieser Wunsch sein Motor sein. Sechs Jahre braucht er allein, um Westafrika zu verlassen, weitere zwei Jahre lebt er in Frankreich und der BRD. Die letzten drei Monate schlägt er sich als Abwäscher in Kopenhagen duch, bis ihm endlich das dortige Kommissariat für grönländische Angelegenheiten die Einreise in ihre arktische Kolonie erlaubt. Er wird dort 16 Monate bleiben.

Kpomassies Bericht schildert den grönländischen Alltag der sechziger Jahre, in den er sich, schon durch die Dauer seines Aufenthaltes bedingt, immer mehr eingliedert: den Arbeitsablauf des Fischens und der Jagd oder die für ihn völlig fremde Ernährungsweise aus ungewürztem Fisch, Seeehundsinnereien und Walfleisch. Unspektakulär beschreibt er die sozialen Differenzen der Dorfbewohner, die fast beiläufigen Alkoholexzesse, die jeder Familienfeier folgen, die Mühen der Jagd, die manchmal so erfolglos ausgehen, daß einer der Schlittenhunde geschlachtet werden muß. So reist er per Schiff die grönländische Westküste entlang weiter nordwärts. Unterkunft erhält er, der schwarze Mann, dem die Kinder nach jeder Ankunft in Scharen hinterherlaufen, bei den jeweils nächsten Verwandten seiner vorherigen Gastgeber. Mit ihnen teilt er Bett, Geld, Essen, Arbeit, was mal gutgeht und wieder nicht. Aus dem zunächst scheinbar objektiven Fremden und Beobachter wird so im Laufe der Zeit ein normaler Besucher, der bald erkennen muß, daß es sich im aufgeräumten Haus eines dänischen Lehrers angenehmer lebt als im übervölkerten Haus einer Jägerfamilie, die nur mühsam ihren Lebensunterhalt durch Jagd oder Fischfang bestreiten kann. Mit dem Schmutz, der Armut, der häuslichen Enge, dem Gebrauch des Toiletteneimers inmitten der bevölkerten Wohnstube verschwindet jede Exotik.

Gerade 25 Jahre alt, mutet einen Kpomassies Bericht an wie aus einer anderen Zeit. Es fehlen die typischen Vergleiche des Berichterstatters mit dessen eigener Kultur, es fehlen die heute üblichen Lobpreisungen der Landschaften, es fehlen jegliche touristische Informationen.

Ohne daß Kpomassie weiß, ob er das gefunden hat, was seine Sehnsucht, in diesen Teil der Erde zu reisen und dort zu leben, einst auslöste, beendet er seinen Aufenthalt. Zu fadenscheinig klingt ihm wohl selbst die Begründung, er müsse nun nach Afrika zurückkehren, um dort der Jugend von seinen Erlebnissen zu berichten und zu helfen, den afrikanischen Horizont zu erweitern, als daß er ihr mehr als zwei Sätze widmet. Zudem lebt er von nun an in Paris. Am Ende des zweiten Sommers, kurz bevor das Packeis wieder zufriert, nimmt er das letzte Schiff und fährt zurück. Frank Keil

Tete-Michael Kpomassie: „Ein Afrikaner in Grönland“. Piper- Verlag München und Zürich, Neuauflage 92, 16,80 DM