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RIEGSTÄNZE AM POOL

Beobachtungen in Kenia: Von den sozialen und politischen Problemen des afrikanischen Landes bleiben auch die Touristen nicht verschont. Zwar läßt es sich in den touristischen Enklaven nach wie vor genußvoll-ignorant leben, doch auch die Urlauber werden Zielscheibe der zunehmenden Aggressionen.

VONROSWITHAVONBENDA

In Afrika wird gestreikt, genauer gesagt in Kenia auf den Flughäfen von Mombasa und Nairobi. So lautet die Botschaft aus dem Cockpit, die es in zehntausend Metern Höhe zu verdauen gilt. Es ist nur das Flughafenpersonal, doch das Weltbild meines Nachbarn ist erschüttert.

„Die streiken? Hier in Afrika? Wieso streiken die hier? Wir kommen, bringen die Moneten, erhalten sie am Leben, und was machen die — die streiken.“

Auch unten bei den Zöllnern wird gestreikt, das heißt Dienst nach Vorschrift. Jeder Koffer wird geöffnet, mehr als 200, das dauert und kostet Nerven.

Doch letztlich dürfen wir alle einreisen, werden freundlich willkommen geheißen, sogar ohne Visum und seit kurzem auch ohne Devisenerklärung — als Gäste auf Zeit.

Schweißtriefend (auch die Klimaanlage im Bus streikt) erreichen wir den Zielort Malindi, Nordkenia, etwa hundert Kilometer südlich des Äquators. Erschöpft und erleichtert entsteigen die weißen Urlauber dem Bus, vor dem sich die schwarzen Einheimischen, freundlich grinsend, aufgebaut haben, sich die prall gefüllten Koffer der Touristen auf die Schultern laden.

„Alles klar?“ fragt unser Kofferträger, er heißt Ezekiel und setzt den Koffer vor dem Zimmer ab. „Viel heiß hier“, lacht er und verschwindet, ohne das Trinkgeld abzuwarten. Beim Empfangscocktail bemüht sich der Reiseleiter, die Neuankömmlinge zu sensibilisieren für die fremde Kultur hier, und mahnt, um Himmels willen die Juwelen nicht am Strand spazierenzutragen und so Bedürfnisse zu wecken bei den Menschen hier, für die jeder Tourist ohnehin ein Millionär sei.

Der Tierwelt wegen kommen immer weniger Touristen nach Kenia. Die Safaris seien für die meisten zu teuer, klagt der Reiseleiter, 1.500 Mark für drei Tage Flugsafari. Die Gewinnspanne: satte 35 Prozent, jeder wolle hier mitverdienen am lukrativen Tourismus. Die Touristen verweigern sich in letzter Zeit, auch wegen der erschreckend vielen Flugunfälle. Vier Maschinen sind innerhalb von drei Monaten abgestürzt. Die Ursache: Maschinenschäden oder Kollisionen mit Raubvögeln. Am Tag unserer Ankunft, fast zur gleichen Zeit, stürzt eine in Malindi gestartete Cessna mit sieben Menschen brennend in den Busch, unter den Opfern zwei Engländer aus dem Nachbarhotel.

Auch Kenias große Tageszeitung 'Daily Nation‘ beschäftigt sich mit den Flugunfällen in seiner Serie Death in the Skies und fragt, ob nicht Nachlässigkeit eine der Hauptursachen sei.

Flugzeugersatzteile seien teuer, erklärt mir unser Tischnachbar aus Nairobi. Er handelt damit. Manch kleine Gesellschaft versuche die Lebensdauer zu strecken — russisch Roulett am Himmel von Kenia. Aber auch der einfache Ausflug durch die Wildparks wird inzwischen zum gefährlichen Abenteuer. Vom Menschen lauert die Gefahr, nicht mehr vom Tier. Die Tiere sind längst an das touristische Treiben gewöhnt. Der Löwe reibt seinen Rücken am Safaribus, die Touristen, die ihre Hälse und Kameras aus der Dachöffnung recken, entlocken dem König der Steppe nicht mehr als ein gelangweiltes Gähnen. Doch der Tourismus, als verführerische Einnahmequelle, hat die Menschen aus ihrer gewohnten Bahn und Sozialstruktur geworfen. Ergiebiger als Ackerbau und Viehzucht ist auch für den Massai längst der Tourist, der auf Fotosafari sein Stammesgebiet durchkreuzt. Seitdem die Regierung mehr und mehr in Bedrängnis gerät, nehmen politisch geschürte Stammesfehden zu. Organisierte Banden, auch aus Nachbarländern, sind auf Touristenpirsch, um dem reichen Europäer seinen Besitz abzujagen.

In den Safariparks nehmen Raubüberfälle in beängstigender Weise zu. Die deutsche Botschaft in Nairobi sah sich gar veranlaßt, die Bundesbürger vor Ausflügen in das besonders unsicher gewordene Massai- Mara-Gebiet am Fuße des Kilimandscharo zu warnen.

Zum Schutz der Touristen bewachen private Sicherheitskräfte Tag und Nacht die Hotelanlagen. Vor nächtlichen Strandausflügen wird ausdrücklich gewarnt.

Die Hotels scheinen sicher. Wer vom Personal beim Stehlen erwischt wird, den erwartet eine hohe Strafe und der Rauswurf. Ein Job in einem Hotel ist hier fast wie ein Lottogewinn, die einheimischen Angestellten wissen das. Zwanzigtausend der Schwarzen und Inder in und um Malindi leben vom Tourismus, erklärt der Mann im offiziellen Tourismusbüro. 24 Hotels gibt es, 13 Restaurants und vier Nachtclubs und seit August 1991 ein Casino. Die Kellner verdienen rund hundert Mark im Monat ohne soziale Absicherung. Wer mault, der fliegt, klagt der Barmann vom deutschen „Biergarten“. Die Trinkgelder seien der eigentliche Verdienst, aber dennoch wäre er lieber beim Staat beschäftigt, schon wegen der späteren Rente und des höheren Ansehens. Absahnen im Tourismusgeschäft würden nur die Deutschen und die Italiener, klagen die Schwarzen, und vielleicht noch die Inder, die hätten den Schwarzhandel fest im Griff, die Ausländer die Immobilien. Die Mehrzahl der Schwarzen ist nach wie vor chancenlos, haust in armseligen Hütten, verkauft am staubigen Straßenrand Papayas und Ananas und Afrikas Tierleben — aus Holz und aus Speckstein, am Fließband hergestellt.

Teakholzelefanten

Seit es Tourismus in Kenia gibt, trafen sich Großwildjäger und kleinere Abenteurer in Malindis, damals meist großzügig-britisch (heute eher spartanisch-deutsch) geführten Hotels. Schon Hemingway kippte seinen Whisky im Hotel Blue Marlin, zu einer Zeit, als der Weiße noch unumschränkter König war und seinen schwarzen Boy hatte, der ihm die Schuhe putzte. Heute tritt der Schwarze dem Fremden selbstbewußt entgegen. „Du deutsch oder was? Willst du Geschäft mit mir machen?“ beginnt gewöhnlich das Gespräch am Strand oder in den Straßencafés. Tauschgeschäfte sind am meisten gefragt: das T-Shirt gegen ein Salatbesteck, die Birkenstocks gegen einen Teakholzelefanten oder ein -nashorn, Rucksäcke sind am begehrtesten, für die bekommt man eine ganze Elefantenherde. Das beliebteste der Straßencafés ist der „Palmgarten“. Er sei die Kontaktbörse schlechthin, wo sich Einheimische und Touristen „beschnuppern“ könnten, so drückt es der Reiseleiter aus. Es ist eng auf der Terrasse und an der Bar. Abschätzende Blicke gleiten von Tisch zu Tisch. Am Nachbartisch diskutieren drei Männer über die Vorzüge der schwarzen Frauen. „Nicht so scheue Rehe wie die Thai-Mädchen“, gibt ein Experte mit Bangkok-Erfahrung zum besten. Von der Bar holen sie sich zwei Giriama-Mädchen in schriller Aufmaschung. Leggings und Glitzerhemd, hennagefärbt und schräg gestylt das afrikanische Haar und die Lippen grellrosa geschminkt. Man wird sich schnell einig. Nebenan werden Zimmer vermietet.

Aber auch die Hotels drücken ein Auge zu — gegen Bezahlung versteht sich. Drei Übernachtungen mit Frühstück kostet das Schäferstündchen mit der fremden Partnerin oder dem afrikanischen Partner. Die Sekretärin aus Düsseldorf nimmt sich einen Kellner aufs Zimmer.

Ich denke an die Aids-Warnung an der Ausfahrt zum Flughafen. In dicken Lettern und unübersehbar. In der 'Nation‘ steht, daß 2.124.000 Bürger Kenias (bei etwa 26 Millionen Einwohnern) mit Aids infiziert sind und daß bis zum Jahre 1995 mit 320.000 Aids-Toten gerechnet wird. Aber wen juckt das im Urlaub.

„Urlaub ist Freiheit“, sagt der Mann an der breiten Teakholztheke vom „Biergarten“ (Essen wie bei Muttern). „Einmal tun, was einem Spaß macht, die Sau rauslassen, sich vollaufen lassen.“ Er tut dies gerade mit einer Flasche Wodka, zu umgerechnet 70 Mark. Die anderen Urlauber, fast alles Deutsche, klammern sich an der Bierflasche fest, hocken da, den Blick ins Leere, Stumpfsinn brütend.

„German men pffff“, lacht die hübsche Schwarze, die auf einen Freier wartet. Sie bläst die Backen auf und deutet mit Armen und Händen den voluminösen Körperumfang der Deutschen an. Auch die Bundesrepublikanerinnen stellen ihre Wohlstandspfunde mit Lust zur Schau. Den Pool umranden üppige Fleischmassen. Von Textilien losgelöste Busen werden am Strand vor den Einheimischen stolz zur Schau getragen. Die eingeborenen Frauen tragen ihren Busen längst bedeckt, manche tragen den Schador, denn in Malindi ist die Bevölkerungsmehrheit moslemisch. Doch die Moschee im alten Stadtkern ist für den Fremden lediglich hübsches Fotomotiv.

Afrikanisches Ambiente, europäischer Luxus

Die Deutschen prägen das Bild des Touristen in Malindi, und die Italiener. Deren Treffpunkt ist das Terrassen-Café am Sabaki Centre, rund hundert Meter vom deutschen Biergarten entfernt. Hier herrscht am Spätnachmittag überschäumende laute Lebenslust — „Ciao Carlo, ciao Bella“ — bei Campari und Cappuccino und zu Disco-Musik sich verrenkenden Giriama-Mädchen. Die Italienerinnen tragen lässig Alta Moda zur Schau und kostbarsten Schmuck. Auf entblößter behaarter Männerbrust hängt der Gekreuzigte an schwerer Goldkette. Sie wohnen stilvoll, die Italiener, abseits der Massenherbergen. Nur 16 Zimmer hat der exklusive Palm Tree Club im Buschland bei Malindi, mit den erlesensten Antiquitäten ausgestattet. Gelungene Symbiose zwischen afrikanischem Ambiente und europäischem Luxus. Nein, Deutsche gäbe es hier nicht, die Dame des Hauses ist von höflicher Zurückhaltung. Als Großwildjäger waren sie und ihr Mann ursprünglich ins Land gekommen, das sei lange her. Sie hatten beschlossen, sich hier niederzulassen. Ach ja, und Arbeitsplätze würden sie doch hier schaffen für die armen Schwarzen. Das Land, das man inzwischen so sehr liebe, wie Italia, verpflichte ja auch in gewissem Maße.

Am Abend trifft man die „ehrenwerte“ Gesellschaft um Roulette-, Black-Jack- und Pokertische gruppiert in edlen Seidenanzügen und blitzenden Goldketten auf blanker Brust. Es ist ein offenes Geheimnis in Malindi, daß die Mafia hier ihre Gelder wäscht. Insider, die Malindi zu kennen angeben, brüsten sich mit dieser Information ganz offen und ohne vorgehaltene Hand. Die Direktion des Casinos ist italienisch. Die Croupiers sind Einheimische. Eigentümer, so flüstert man, sei der Sohn von Präsident Moi.

Im schummrigen Nebenraum blinkt aufreizend eine Reihe von Spielautomaten von der Wand, attackiert von den stolzen Kriegern der Massai. Ihr bunter Kopfschmuck, die schweren knallfarbigen Ohrgehänge und die roten Kikoys, blitzen mit den flackernden Lampen der Automaten um die Wette. Das Durchrattern der klingenden Münzen, ausgespuckt von Slotmachines, scheint Siegesgetöse für ihre Ohren. Sie springen in die Luft, die geschmeidig schlanken Wilden mit den schmalen ebenmäßigen Gesichtszügen, vollführen Kriegstänze, freuen sich kindlich, einen einarmigen Banditen besiegt zu haben. Sie stopfen sich die Münzen gierig in ihre modischen Gürteltäschen, „Condor-Flug“ steht auf dem einen.

Das Afrika der Tania Blixen

Am gleichen Abend, etwas später, vollführen die Massai ihre Kriegstänze vor der Pool-Kulisse des Hotels. Gleich anschließend und ohne dramaturgischen Übergang werden flugs die Handelsobjekte vor den Touristen ausgebreitet: Speere, Masken, perlenbesetzte Gürtel, Armreifen, Ketten aus nachgemachten Elefantenzähnen. Ganz professionell vollzieht sich das Geschäft, und blitzschnell, wie sie auftraten, verschwinden sie wieder.

Die Engländer, der spärliche Rest der ehemaligen Kolonialmacht, leben zurückgezogen. Im Golfclub trifft man sie am späten Nachmittag. Hier sei man noch unter sich, hier habe sich nichts verändert, sagt Mrs. Green, die auf ihren Mann wartet, er spielt auf ausgedörrtem Rasen. Die ersten Regengüsse kommen normalerweise Mitte März, dieses Jahr wurde es Mitte Mai.

Sie haben ihr ganzes Leben hier in Afrika verbracht. Nein, Malindi sei nicht mehr wie früher, zuviel Ausländer, zuviel Korruption, und hier in den Club kämen nun auch mehr und mehr Italiener, „noisy people“, sagt sie, „but quite nice“ — und widmet sich wieder dem 'Daily Telegraph‘, den gibt es hier täglich und auch andere englische Zeitungen.

Zwei alte Briten, die Haut gegerbt von viel zuviel Sonne, schieben schweigend Billardkugeln neben der Bibliothek, in der sich Agatha Christie, Charles Dickens, Oskar Wilde bis zur Decke stapeln und langsam zugedeckt werden vom feinen Sand, der über die Terrasse hineingeweht wird. Vögel schwingen sich auf zum letzten Konzert. Die würde man nur noch hier hören, sagt Mrs. Green. Und diese Abendstimmung, „Isn't it just beautiful?“ Hier im britischen Golfclub findet man es noch, das Afrika der Tania Blixen.

Goldener Sand aus Düngerrückständen

Am letzten Tag herrscht reges Treiben am goldglitzernden breiten Sandstrand (das Gold seien die vom nahegelegenen Fluß angeschwemmten Düngerrückstände, erklärt ein Einheimischer ganz unprosaisch und auf deutsch). Die heimkehrenden Touristen schleppen ihre letzten Tauschobjekte an, die Schwarzen ihre Handelsware, und Schwarz und Weiß feilschen, als gäbe es Trophäen für den ausgefuchstesten Händler zu ergattern. Die weißen Touristen begießen am Abend ihren Sieg an der Bar, brüsten sich, was man dem Neger abgeluchst hätte für 'n paar olle Klamotten. Im Palmgarten sitzen die Schwarzen und tragen stolz die deutschen Farben auf dem Fußballhemd. Nyule, unser guter Zimmergeist, verabschiedet sich überschwenglich: Jambo, jambo, alles klar? Mama und Papa o.k.? Ja, ja, dankescheen. Deutschland scheenes Land? Es klingt fast sehnsüchtig.

In der Wartehalle dann ein letzter Blick in die 'Nation‘: Hungerstreik für mehr Demokratie. Das andere Kenia, das der Unterdrückung und politischen Korruption. Doch wen interessiert das unter den Heimreisenden. Die haben längst Deutschland im Kopf, die Eisdiele in Aschersleben, die Kneipe in Bochum — und das nächste Spiel vom FC Bayern.

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