KOMMENTAR
: Die Rechten als Wahlkampfhit

■ In den Berliner Kommunalwahlen nutzen die Parteien die Angst vor den Rechtsradikalen, um wahlverdrossene Bürger noch einmal an die Urne zu treiben

Die Berliner dürfen sich zwar als Hauptstädter fühlen. Übermäßige Zuwendung der Bonner Regierungs- und Oppositionspolitiker haben sie bisher jedoch nicht verspürt. Doch seit zwei Wochen gehen in der Stadt merkwürdige Dinge vor sich. Zum Beispiel diese Männer mit den Mokassins und den Schnauzbärten, die im Alten Museum herumlungern, für die Gemälde an den Wänden aber kein rechtes Interesse zeigen. Der Mann, gleich neben einem vor dem Nolde-Bild, hat ein seltsam vertrautes Gesicht — bis man merkt: das sind ja Oskar Lafontaine und seine Leibwächter.

So etwas konnte in diesen Tagen jedem Berliner passieren. Auf den Straßen der Stadt tauchten unvermittelt und überraschend allerlei Bonner Prominente auf. Es lag nicht nur daran, daß der Bundestag eine ganze Sitzungswoche in Berlin abhielt, es lag auch an dem Wahltag, zu dem die Berliner am morgigen Sonntag aufgerufen sind. Was da gewählt wird, ist keineswegs der Bundestag, nicht einmal das Landesparlament, es sind die Bezirksverordnetenversammlungen in den 23 Berliner Bezirken, um deren Beschlüsse sich der Senat oder gar die Bundesregierung im allgemeinen wenig kümmern. Es geht also, ganz krass gesagt, um nichts.

Trotzdem erlebten die Berliner einen Auftrieb von Polit-Stars, als strebten Björn Engholm, Volker Rühe und Irmgard Schwaetzer eine neue Karriere an: Als Bezirksbürgermeister von Wilmersdorf, Spandau oder Hohenschönhausen. Die Merkwürdigkeit dieser Kommunalwahl besteht offensichtlich darin, daß die Politiker die Bedeutung des Wahltermins ganz anders sehen als die Bürger, deren Stimmen gefragt sind. Die Berliner Senatoren und Senatorinnen erwarten ein Zwischenzeugnis für ihre Koalition. Je nachdem, wie CDU und SPD abschneiden, verlagert sich auch die Balance in der Berliner Großen Koalition. Die Bonner Wahlkampfhelfer sehen in den Berliner Wahlen ein Signal für die — von ihnen nicht ganz unbeeinflußte — Stimmungslage im ganzen Land. Und alle zusammen fürchten nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein einen neuen Wahlerfolg der Radikalen von rechts.

Deshalb versuchten es die großen Parteien der Stadt mit — fast — allen Mitteln: Für die SPD setzten sich täglich 30 Parteimitglieder ans Telefon und klingelten die Wähler an. Die CDU holte Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble und ließ sie zu den Berlinern reden. Was sie sagten, war fast immer das gleiche. CDU, SPD und Grüne verbreiteten in schöner Eintracht dieselbe staatsbürgerliche Mahnung: Eine geringe Wahlbeteiligung helfe nur den Radikalen von rechts.

Diese Rechnung stimmt, und sie scheint aus Sicht der Parteien nun — umgekehrt — auch aufzugehen. Das bürgerliche Berlin und damit Sympathisanten von AL, FDP, SPD und CDU folgen dem Argument, Berlin könne sich eine starke parlamentarische Vertretung der Rechten nicht leisten.

Dabei muß nicht nur Zynikern auffallen, daß den etablierten Parteistrategen — eigentlich — überhaupt nichts besseres passieren konnte: Mit dem Schreckgespenst der Rechtsextremen könnte es ihnen gelingen, die Wähler nochmal zu vereinnahmen, die sich eigentlich schon abgewendet hatten.

Angesichts dieser Fixierung auf die rechte Minderheit ist es offenbar schon fast nicht mehr erlaubt, zu fragen, was denn wirklich das größere Übel ist. Ist es die Wahl von „Republikanern“ und „Nationalen“ in den Bezirksparlamenten? Oder nimmt die Republik der Demokraten im anderen Fall nicht viel eher Schaden: Dann, wenn sich die Parteien erneut in falscher Sicherheit wiegen können. Dann, wenn die Bürger nach dem Wahltag die Politik wieder den Politikern überlassen. Und sich dann wieder — „politikverdrossen“ — wundern, daß nichts weiter geschieht. Hans-Martin Tillack