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Rumänien — das Land der Enttäuschten

Zweieinhalb Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceausescu haben viele Rumänen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben/ Westliche Investoren warten die nächsten Wahlen ab  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

„Wir haben keine Zukunft“, sagt Dana, eine Studentin an der Philologischen Fakultät der Bukarester Universität. „Wenn ich mich waschen will, muß ich tagelang auf warmes Wasser warten, in den Geschäften kriege ich alles, was ich nicht brauche, warum ich studiere, weiß ich nicht.“ So wie die 24jährige Studentin scheint derzeit die Mehrheit der Rumänen zu denken. Jemanden zu finden, der nicht klagt, gleicht der vergeblichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Zweieinhalb Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceausescu im Dezember 1989 ist der Traum von einem besseren Leben zerplatzt. Das mythische Wort „Europa“ löst bei den meisten nur ein bitteres Lächeln aus. Rumänien steckt voller großer Illusionen und noch größerer Enttäuschungen.

Die Hauptstadt Bukarest spiegelt den Zustand des Landes wider, in dem der Erfinder des absurden Theaters, Eugen Ionescu, geboren wurde. Angesichts der Menschenmassen, die in der Metropole unterwegs sind, fragt man sich, wer eigentlich noch arbeitet. Zahllose Kleinhändler bevölkern die Straßen, in der Altstadt mischen sich abendländische Architektur und orientalische Basaratmosphäre. Hier treffen sich Türken, Russen, Araber, Ukrainer, Chinesen, Moldovaner und Einheimische, um Geschäfte zu machen. Ab und zu laufen einem Ratten über den Weg, von denen es Millionen geben soll. Der „Boulevard des Sozialismus“, für den Ceausescu ganze Stadtteile niederwalzen ließ, ist ein gigantisches Fragment aus Beton, Stahl und Schutt geblieben. Überall betteln die berüchtigten Straßenkinder.

Solche Impressionen sind die Spitze eines Eisberges aus traurigen Tatsachen. Rumänen zählt heute zu den ärmsten Ländern Europas. Sein Weg zur Marktwirtschaft scheint mit unüberwindlichen Hürden gepflastert. Industrielle und landwirtschaftliche Produktion fielen drastisch, die Inflation erreichte schwindelerregende Höhen (siehe Kasten). Obwohl das potentiell reiche Rumänien neben seinen 23 Millionen EinwohnerInnen theoretisch weitere 40 bis 50 Millionen versorgen könnte, müssen große Mengen Nahrungsmittel importiert werden. Und trotz umfangreicher Strom- und Erdölimporte schloß die Regierung im Winter eine Vielzahl energiefressender Großbetriebe, um den Menschen warme Wohnungen zu sichern.

Einfluß der alten Nomenklatura, Widerstand der mittleren und niederen Bürokratie und soziale Unruhen bewirkten, daß wesentliche Wirtschaftsreformen erst im Frühjahr vergangenen Jahres eingeleitet wurden. Das für einen kurzfristigen Übergang zur Marktwirtschaft ausgelegte Programm der ersten Regierung nach Ceausescu scheiterte allerdings, Ministerpräsident Petre Roman trat während der Bergarbeiterdemonstrationen im September 1991 zurück. Sein Nachfolger Theodor Stolojan versucht seither entschlossen, Reformen den Weg zu ebnen, mit mäßigem, aber immerhin größerem Erfolg als Roman. Der parteilose Ministerpräsident Stolojan drohte im Falle weiterer Reformverzögerungen mehrmals mit Rücktritt, beklagt jedoch immer noch, daß zu viele Kompromisse gemacht würden, so bei Lohnverhandlungen mit Gewerkschaften, beim Subventionsabbau und bei der Verwendung ausländischer Kredite für Warenimporte statt für die Restrukturierung der maroden Ökonomie.

Als Erfolg sieht Stolojan die Herausbildung des Privatsektors. Nach seinen Angaben gibt es mittlerweile 272.000 Kleinunternehmen. Mit derzeit 11.000 stieg auch die Zahl der Joint-ventures sprunghaft an. Mehr als 90 Prozent sind jedoch zumeist winzige GmbHs und arbeiten im Bereich Handel, Dienstleistung und Transport. Dabei ist der Markt mit ausländischer Billigware gesättigt, der Konsum der Bevölkerung geht stark zurück. Im Produktionsbereich tut sich hingegen wenig.

Die schnelle Privatisierung der Staatswirtschaft hat sich in den Augen der Regierung als Illusion erwiesen; das 23 große Unternehmen umfassende Frühprivatisierungsprogramm verzögert sich erheblich. Ab Juni soll nun mit dem Verkauf der ersten zehn Firmen begonnen werden, gehofft hatte man allerdings, das Programm bis dahin abzuschließen. In der Nationalen Privatisierungsagentur gesteht man auch ein, daß die kleine Privatisierung nicht im erwünschten Tempo verläuft. Von mehr als 4.000 Handelseinheiten konnten bis Anfang Mai lediglich 176 versteigert werden.

Größtes Problem der Privatisierung dürften auch weiterhin mangelnde ausländische Investitionen sein. Rumänien biete außerordentlich günstige Investitionsbedingungen und „wunderbar niedrige Lohnkosten“, schwärmt ein in Bukarest tätiger deutscher Unternehmensberater. Zu übersehen ist jedoch nicht, daß InteressentInnen sich infolge des allgemeinen ökonomischen Chaos und der allmächtigen Bürokratie zum Teil entnervt zurückziehen.

Florin Coincu, einer der Generaldirektoren der Rumänischen Entwicklungsagentur (ARD) meint, daß ausländische Großinvestoren zwar in den Startlöchern steckten, aber vorerst abwarten wollten, ob die kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eine politische und ökonomische Stabilisierung brächten. „Solange ökonomische Aktivitäten nicht begonnen haben, läuft überhaupt nichts.“

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