Angst vor Rechten bei Berliner Wahlen

Die Berliner sind am Sonntag zu Bezirkswahlen aufgerufen/ Parteien befürchten geringe Wahlbeteiligung und Erfolge für Rechtsradikale/ Brandanschläge auf Autos von SPD-Kandidaten  ■ Aus Berlin Hans-Martin Tillack

Für die Westberliner ist es ein Novum. Die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen, zu denen am Sonntag mehr als 2,5 Millionen Wahlberechtigte in ganz Berlin aufgerufen sind, finden zum ersten und wahrscheinlich einzigen Mal getrennt von den Wahlen zum Landesparlament statt. Die Wiedervereinigung der beiden Stadthälften hatte die Termine durcheinandergebracht — und jetzt bangen und zittern die Politiker, daß die Wahlbeteiligung bei dieser ersten Gesamtberliner Kommunalwahl seit 1946 nicht allzu dürftig ausfallen möge.

Die Befürchtungen werden nicht nur durch Wettervoraussagen angeheizt, nach denen der Stadt am Sonntag sommerliche Temperaturen bevorstehen. Auch der Ärger über die Bundesregierung und die Große Koalition aus CDU und SPD, die den Berliner Senat stellt, könnte sich in verbreiteter Wahlenthaltung niederschlagen. Die Berliner fühlen sich als die eigentlichen Verlierer der Einheit. Im Ostteil glauben 40 Prozent, es gehe ihnen seit der Wende schlechter. Im Westteil sind es sogar 60 Prozent. „Im Westen Wut, im Osten Apathie“, beschreibt der Ostberliner SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse die Stimmung.

Die steigenden Mieten, der überhandnehmende Autoverkehr, die Straßenkriminalität und die wachsende Enge auf dem Arbeitsmarkt — mit diesen Themen haben die Parteien den Wahlkampf bestritten. Der Streit um das Asylrecht spielte nur unterschwellig eine Rolle. Auf Druck der SPD und auch aus besserer Einsicht, verzichtete die CDU darauf, ausländerfeindliche Ressentiments auszuschlachten. Nur indirekt — mit Slogans gegen „Trickbetrüger“ und „Hütchenspieler“ machte die Partei Stimmung gegen Ausländer.

Mit Ausnahme von Bündnis90 und Grünen vertraut aber keine Partei allein auf die Zugkraft kommunaler Probleme. CDU, SPD, FDP und PDS schickten in großem Umfang ihre Bundesprominenz auf die Straßen und in die Wahlkampfsäle. Es fügte sich glücklich, daß der Bundestag in dieser Woche in Berlin tagte. Hans-Dietrich Genscher, Wolfgang Schäuble und Björn Engholm waren abkömmlich.

„Dies“, glaubt Engholm, „ist eine bedeutende Wahl“. Das Ergebnis werde Auskunft geben, wie groß das Vertrauen in „die Politik“ noch sei. Viele Beobachter befürchten, daß die vielzitierte „Politikverdrossenheit“ im Verein mit einer geringen Wahlbeteiligung den Bewerbern am rechten Rand zu neuen Erfolgen verhelfen könnte.

Die „Republikaner“ zogen schon einmal — 1989 — in das Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente ein, fielen dort aber fast ausschließlich durch interne Querelen auf. Sowohl CDU, SPD, als auch die Grünen nutzen jetzt das rechte Schreckgespenst zur Mobilisierung und plakatieren mit der Warnung vor den Radikalen von Rechts. Am Donnerstag legte sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) persönlich ins Zeug und mahnte, hohe Prozente für die Rechtsausleger schadeten „dem Ansehen“ der Stadt.

Sowohl die Reps wie die „Nationalen“ — ein Bündnis aus NPD und REP-Abtrünnigen — traten kaum ofen in Erscheinung und beschränkten sich auf medienwirksame Provokationen. Sowohl eine Veranstaltung mit dem „Auschwitzlüge“-Historiker David Irving als auch eine offen antisemitische Demonstration vor der Jüdischen Gemeinde wurde den „Nationalen“ in letzter Minute von der Polizei verboten.

Zuletzt mußten die Wahlkämpfer der großen Parteien sogar um Leib und Leben fürchten. Am vergangenen Samstag prügelten Rechtsextreme einen jungen Ostberliner SPD- Abgeordneten krankenhausreif. In der Nacht auf Freitag gingen die Autos der SPD-Spitzenkandidaten von Kreuzberg und Neukölln in Flammen auf. Beinahe wäre neben Auto und Garage auch das Haus des Neuköllner Kandidaten aufgelodert. In der SPD vermutet man „Linksautonome“ hinter den Anschlägen. Parteichef Momper mahnte: „Politiker dürfen nicht zum Freiwild werden.“