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Menschenhandel — ein Kavaliersdelikt

Hohe Haftstrafen im bisher größten Menschenhandelsprozeß der BRD/ Essener Angeklagter dennoch auf freiem Fuß/ Vermittlung von Filipinas in die Prostitution war amtlich besiegelt  ■ Aus Essen Diemut Roether

Das Urteil im Essener Menschenhandelsprozeß ist gesprochen. Die vierte große Kammer des Landgerichts verurteilte gestern den Essener „Künstleragenten“ Reinhold Kamper wegen Menschenhandels, bewußter Täuschung und Zuführung zur Prostitution zu fünf Jahren Haft und die zypriotische Vermittlerin Kallestini Ioannu zu sieben Jahren. Da Kamper in seiner zweijährigen Untersuchungshaft fast die Hälfte der Strafe abgesessen hat, konnte er auf Bewährung den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Strafmildernd wirkte das Geständnis, das er nach zweimonatiger Verhandlung abgelegt hatte. Der Staatsanwalt betonte in seinem abschließenden Plädoyer, es sei deutlich geworden, daß sich der Angeklagte „aufgrund von Schulden in Schuld verstrickt“ habe. Das Gericht hielt ihm in der Urteilsbegründung zugute, er habe seine Machtposition in dem Vermittlungskreislauf nicht ausgenutzt, sprich, er habe sich trotz Schulden nicht an den Filipinas bereichert.

Kamper und die zypriotische Angeklagte hatten jahrelang Filipinas als sogenannte Folkloretänzerinnen an deutsche Nachtclubs vermittelt, in denen die Besitzer die Frauen zum Striptease und zur Prostitution zwangen. In abgetrennten Verfahren stehen derzeit auch mehrere Barbesitzer vor Gericht. Bis zu ihrer Verhaftung im April 1990 arbeiteten der Essener Agent und die zypriotische Agentur der Angeklagten Ioannu Hand in Hand. Die Zypriotin warb Frauen aus Tanzschulen Manilas an und bezahlte ihnen den Flug nach Zypern. Die Tänzerinnen arbeiteten zunächst auf Zypern im Animierbetrieb von Nachtclubs. Nach halbjährigem Aufenthalt auf Zypern vermittelte Kallestini Ioannu die Filipinas nach Deutschland weiter. Um den Frauen den Wechsel schmackhaft zu machen, soll sie ihnen erzählt haben, Prostitution sei in Deutschland verboten. In den Verträgen, die die Filipinas in der deutschen Botschaft Zyperns unterzeichneten, war nur von Folkloretanz die Rede.

Der seriös wirkende Essener Kaufmann Kamper hatte eine Lizenz der Bundesanstalt für Arbeit. Daher war es für ihn ein Leichtes, für die vermittelten „Tänzerinnen“ Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen für die Bundesrepublik zu erhalten — die Vermittlung in die Prostitution trug einen offiziellen Stempel. Wenn die Frauen sich auf ihre Verträge beriefen und auf Folkloredarbietungen bestanden, drohten die Barbesitzer ihnen mit Abschiebung. Ließen sich die Filipinas auf die Forderungen der Bars ein, machten sie sich als Ausländerinnen der „Erwerbsunzucht“ strafbar — für die Ausländerpolizei ein Grund, sie in ihr Heimatland abzuschieben.

Die staatliche Lizenz war das A und O der Kamperschen Agentur. Auf die sei er auch sehr stolz gewesen, meinte der Angeklagte vor Gericht. Reumütig gab er zu, seine Fürsorgepflicht vernachlässigt zu haben. Vor den wirklichen Zuständen in den Bars habe er zu lange die Augen verschlossen. Kamper bedauerte die „zurückliegenden Umstände“ und gelobte Besserung: Die Untersuchungshaft habe ihn „für den Rest des Lebens geheilt“.

Auch die zypriotische Angeklagte Kallestini Ioannu gab im Essener Prozeß schließlich zu, die Zustände in den zypriotischen und deutschen Bars seien ihr bekannt gewesen. Frauen, die sich bei ihr beschwerten, habe sie nicht helfen können. Immer wieder berief sich die Angeklagte darauf, sie sei nur die Buchhalterin in der Agentur ihres Mannes gewesen. Als strafverschärfend wertete das Gericht in ihrem Fall die „größere Nähe“ zu den Tänzerinnen, die sie betreute. Außerdem habe sie die Frauen finanziell stärker ausgebeutet als ihr Agentenkollege Kamper.

Während die Zypriotin in Deutschland in Untersuchungshaft saß, betrieb ihr Mann nach Informationen der Staatsanwaltschaft die Agentur auf Zypern weiter. Das Deutschlandgeschäft geriet vermutlich vorerst etwas ins Stocken. Der Staatsanwalt glaubt, hier auf das Glied eines internationalen Menschenhändlerrings gestoßen zu sein. Doch Menschenhandel bleibt ein schwer faßbares, kaum nachweisbares Delikt. In den Plädoyers argumentierte die Verteidigung, die Frauen hätten gewußt, was sie im Ausland erwarte. „Sehenden Auges“ hätten sie sich in die „Risikosphäre Nordeuropa“ begeben. Kampers Verteidiger verglich die Situation seines Mandanten mit den Angeklagten in Parteispendenprozessen. Hier werde plötzlich ein Verhalten herausgegriffen und vor Gericht gestellt, daß zuvor gesellschaftlich allgemein akzeptiert worden sei. Entsprechend fiel nun das Urteil aus, „Künstleragent“ Kamper gelobte Besserung und ist auf freiem Fuß.

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