Ohne Visum für Deutschland ist Salzburg Endstation

■ Selbst Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, die Verwandte in Deutschland haben, werden ohne Visum bisher von bayerischen Grenzbeamten abgewiesen

„Armes Österreich, armes Österreich — die sollen doch alle in ihren Ländern bleiben!“ Eine durch die Salzburger Innenstadt radelnde Rentnerin schreit es jedem zu. Sie meint damit nicht das Heer von Touristen aus aller Welt, die sich mit Fiakern durch die herausgeputzte Festspielstadt kutschieren lassen oder Mozarts Geburtshaus bestaunen. Die zahlreichen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, die derzeit die Straßen Salzburgs bevölkern, sind ihr ein Dorn im Auge — besonders die, die im Hotel Winkler direkt in der Innenstadt wohnen.

Das siebenstöckige einstige Nobelhotel sieht heruntergekommen aus, die Fassade blättert ab. Die Genehmigung für den Abriß ist bereits erteilt. Nur die Kronleuchter und die Spiegelgalerie im Erdgeschoß zeugen noch von einstigem Glanz. Dort residiert jetzt die Caritas. Eine an die Wand geheftete Europakarte erleichtert den SozialarbeiterInnen die Orientierung. Eigentlich überflüssig, denn nahezu alles ist klar. Die Flüchtlinge kommen aus Bosnien und wollen zu Verwandten nach Deutschland. Sie besitzen kein Visum, werden deshalb an der deutschen Grenze rigoros zurückgewiesen. Einen Asylantrag will jedoch kaum einer von ihnen stellen, denn nach Kriegsende wollen sie wieder zurück.

Etwa 1.500 bosnische Flüchtlinge sind angesichts rigider deutscher Grenzkontrollen in der Festspielstadt hängengeblieben. Zwei Drittel sind privat untergebracht, für die restlichen 500 ist Peter Leitner, Rechnungsdirektor beim Amt der Salzburger Landesregierung, zuständig. Seit Wochen fühlt er sich schon als „Katastrophenmanager“, arbeitet bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit und hat den Eindruck, daß sich alle anderen „verstecken“. Das österreichische Verteidigungsministerium zum Beispiel. In Salzburg ist mit der Schwarzenbergkaserne die größte Kaserne Österreichs beheimatet. Sie ist auf eine Kapazität von 30.000 Soldaten ausgelegt, derzeit sind jedoch nur 6.000 Militärs dort stationiert. Doch Wiens Verteidigungsminister Werner Fasslabend von der ÖVP ließ sich bislang durch keine Intervention der Landesregierung umstimmen, die Kaserne doch für die Belegung von Flüchtlingen freizugeben. Und das, obwohl Salzburgs stellvertretender Landeshauptmann und Sozialreferent Gerhard Buchleitner von der SPÖ erklärt hatte, daß in Salzburg „bereits die absolute Obergrenze erreicht“ sei. Auch das im Bundesbesitz befindliche alte Arbeitsamt von Salzburg bleibt lieber leer stehen, als daß dort Flüchtlinge untergebracht werden können.

So jongliert Leitner im Rahmen seiner „Bosnien-Aktion“ die Flüchtlinge zwischen mehreren Turnhallen hin und her — und täglich kommen etwa 50 hinzu. „Das ist kein freundlicher Akt unseres Nachbarlandes“, kleidet er sein Unverständnis über das Verhalten Deutschlands in vornehme Worte. Viele Flüchtlinge hätten doch Angehörige in Deutschland, die dort schon seit Jahren „als Gastarbeiter tätig“ seien. Die könnten doch, so Leitner, bei den Familien wohnen und „würden die Deutschen keine müde Mark kosten“. Erst jüngst mußte Leitner mitansehen, wie ein Bosnier, der schon seit 24 Jahren in Stuttgart lebt und arbeitet, seine Mutter aus einer Turnhalle in Salzburg holte, mit ihr über die Grenze nach Deutschland fahren wollte und von den bayerischen Grenzpolizeibeamten rigoros zurückgewiesen worden war.

Auch für den 60jährigen Hoziz war die deutsche Grenze Endstation. Am 1.Mai ist er zusammen mit seiner Frau aus Sarajevo geflohen, seit dem 4.Mai lebt er zusammengepfercht mit 200 Landsmännern, -frauen und Kindern in der öffentlichen Turnhalle der Riedenburgkaserne. Er ist einer der wenigen bosnischen Flüchtlinge, die gut Deutsch können. Kein Wunder. Mehr als 15 Jahre hat Hoziz in der Nähe von Lüdenscheid in einer Schraubenfabrik gearbeitet, bis er nach einem Herzinfarkt vor sieben Jahren in seine Heimat zurückkehrte. „Jetzt ist dort alles kaputt, alles ist Schluß“, beschreibt er die Situation in Bosniens Hauptstadt. Sein in Lüdenscheid lebender Sohn hat versucht, seine Eltern mit über die Grenze nach Deutschland zu bringen. Doch auch er mußte unverrichteter Dinge wieder zurück nach Nordrhein-Westfalen fahren. Dort beantragt er jetzt die Papiere für seine Eltern und hofft auf die Zustimmung der Ausländerbehörde. Vater Hoziz will keinen Versuch unternehmen, illegal über die Grenze zu gelangen. „Ich nichts kriminell“, weist er ein solches Ansinnen entrüstet zurück. „Ich warte auf die Papiere, wird schon klappen.“ Und wenn nicht? Achselzucken.

Reinhard Marks, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Salzburg, hat nicht die Ausweglosigkeit der Kriegsflüchtlinge im Sinn, sondern nur seine Paragraphen. Die Grenzpolizei sei nun einmal angewiesen, jeden Reisenden oder Flüchtling aus Bosnien genau zu kontrollieren. Ausnahmsweise könnten Visa nur bei Ehegatten und minderjährigen Kindern erteilt werden. „Daß die Grenze dicht sein soll, das ist einfach nicht wahr“, bekräftigt Marks' Stellvertreter, Konsul Ottokar Pitsch. Von armen Flüchtlingen will er gar nicht reden: „Die haben alle Geld und große Autos.“ Wer nachweisen könne, daß er nur einen kurzfristigen Verwandtenbesuch in Deutschland unternehmen wolle, könne außerdem anstandslos einreisen. Wer aber an der Grenze erzähle, daß er bis zum Ende des Krieges in Deutschland bleiben wolle, da müßten dann die Grenzbeamten davon ausgehen, daß ein Aufenthalt von länger als drei Monaten gewünscht werde — und der sei nur äußerst restriktiv zu genehmigen. Jeden Morgen stehen daher etwa 150 Bosnier in einer langen Schlange vor dem Generalkonsulat am Bürgerspitalplatz1. Die Wartezeit für ein Visum beträgt derzeit fünf Wochen.

So stauen sich die Flüchtlinge in Salzburg. Leitner spricht von einer „unerträglichen Flaschenhalssituation“ in Salzburg. Er fragt sich ernsthaft, „warum sich ganz Westeuropa abschottet“. In Salzburg übernehmen Rotes Kreuz und Caritas die Verpflegung und Unterbringung, jeder Kriegsflüchtling erhält zudem monatlich 1.500 Schilling, rund 200 Mark. Aber Salzburg hat nur geringe Unterbringungskapazitäten. So ist man bereits auf einen Berggasthof ausgewichen, ein Zeltlager wurde errichtet. „Nur über meine Leiche“, hatte Leitner zuvor gegen ein solches Ansinnen Stellung bezogen, um das Lager dann doch zähneknirschend zu akzeptieren. Nur Familien mit Kindern unter zehn Jahren haben derzeit noch Chancen, in Salzburg offiziell aufgenommen zu werden. Neu ins Hotel Winkler dürfen nur noch Frauen mit Säuglingen, der jüngste ist gerade 20 Tage alt. Als Leitner vom Österreichischen Rundfunk die Meldung avisiert bekommt, daß ein Zug mit 1.300 Bosniern in Salzburg zu erwarten ist, fährt er aus der Haut: „Dann pack ich meine Sachen, werfe sie in die Salzach und verstecke mich.“ Bernd Siegler, Salzburg