Botschaft des Friseurs

■ Kunst und Schicksal hinter dem Hilton-Hotel

Der Auslöser für die ganze Sache war ein Schreiben der Detektei Diskret. Datum: 19. Mai 1992. Wie dem an entscheidenden Stellen mit schwarzen Balken unleserlich gemachten Text zu entnehmen, handelte es sich um die Ergebnisse von Ermittlungen im Fall Angelika.

Der Adressat war ein gewisser Herr Dieter X., offensichtlich der Ehemann jener unbekannten Angelika, die, während eines gemeinsamen Urlaubs in Montreux, im März dieses Jahres verschwand. Als befragte Zeugen wurden weiterhin ein Georg und ein Theo erwähnt.

Mindestens so mysteriös wie die Sammlung der beigebrachten Fakten zum Verbleib jener Angelika war der Umstand, daß dieser Brief in die Kulturredaktion der taz-Berlin gelangte. Statt das Schreiben unter dem Zeichen »r' 92« abzuheften, beauftragte mich der neugierig gewordene Redakteur, meine Unterbeschäftigung mit unterbezahlter Tätigkeit zu vertreiben. Einziger Anhaltspunkt für die aufzunehmenden Nachforschungen war die Adresse eines »Etablissements« namens »Friseur« in Berlin- Mitte.

Mit G., aber leider ohne Stadtplan, machte ich mich auf den Weg. Durch eine dem Brief beigelegte verwackelte Aufnahme war mir das Aussehen der genannten Lokalität bekannt. Die Adresse «Kronenstraße« und »nahe U-Bahnhof Stadtmitte« hatte ich noch im Kopf. Statt des »Friseurs« fand sich zunächst nur die halb abgerissene Ruine jenes Einkaufszentrums an der Friedrichstraße, das als Erzeugnis proto-postmoderner Plattenbaukunst zum Opfer der Wiedervereinigung wurde. Der U-Bahnhof selbst sieht ebenfalls nach einer versehentlich unabgeschlossenen Baustelle aus. Kein Stadtplan zu finden, der hätte Auskunft geben könen.

Also durch die vier Meter breite Drehtür des gegenüber liegenden Hilton, die sich automatisch samt zwei Vitrinen mit üppigen Blumenbuketts in Bewegung setzte. Der besondere Charme jenes von Hunderten von Glühbirnen erleuchteten Foyers, dieser mißgestalteten Frucht des Zusammenwachsens-was-zusammengehört, wäre den Ausflug allein schon wert gewesen. Der Portier wußte freundliche Auskunft. Die Kronenstraße liegt an der Rückseite des Hotels. Dort ist die Straßenbeleuchtung noch schwindsüchtiger, der Straßenbelag holperig und löchrig wie in New York. Es wird aufregend. Kurz bevor die Straße auf jene Plattenbaublocks nahe des Potsdamer Platzes stößt, an jener Straße, die wer weiß wie gerade noch oder schon heißt, ist links an einem einzeln stehenden Altbau die Neonschrift »Friseur« zu sehen: eine Kneipe im Vorderraum, nach hinten Türen mit geschliffenem Glas, Damen- und Herrensalon.

Dies ist der Friseur der Botschaft, wo nicht nur ausgeschenkt wird, sondern unter dem Titel »richtig 92« für dieses Jahr eine ganze Reihe von Aktionen und Ausstellungen geplant sind. Noch zweimal in diesem Monat sollen Schicksale dokumentiert werden. Diverse Fundstücke dienen als Material.

Am letzten Wochenende zeigte die »Botschaft« Dieters Super-8- Filme, montiert von Torsten Alisch, eine lückenhaft erhaltene Serie von Postkarten, die Angelika Anfang der sechziger Jahre aus Vannes (Bretagne) nach Berlin schickte, präsentiert von Philipp Scheffner, und ein Fotoalbum, das die erstaunliche Weltreise Theos bebildert, von Ed van Megen. Am letzten Mai-Wochenende wird eine Installation von Marianne Tralau zu sehen sein, deren Ausgangsmaterial eine Dia- Sammlung von Georg Gustav Karl ist, die nicht weniger als 11.600 Stück zählt.

Die Recherchen der Detektei Diskret erlauben nur eine wahrscheinliche Rekonstruktion der gelieferten Fakten. Der paranoiden Lust des Betrachters ist es anheimgestellt, sich inmitten des reichlichen Angebots der so vielfach in getragenem Ton als geschichtsträchtig interpretierten Zeichen des Stadtlabyrinths seinen eigenen Konstruktionen des Privaten hinzugeben. Ohne Frage, wenn unser aller Bundespräsident bei einer seiner nächsten Ansprachen statt aus der Volksmärchensammlung der Gebrüder Grimm aus Lore-Romanen zitieren wird, wird die »Botschaft« zum Kunstestablishment gehören. Ulmann M. Hakert

»Friseur« der Botschaft, Kronenstraße 3, 1080 Berlin, 22. bis 24.5. und 29. bis 31.5. Eröffnung jeweils Freitag 20 Uhr, Sonnabend 14-24 Uhr, Sonntag 14-19 Uhr