Schöne Stellen aus Prometheus-Resten

Claudio Abbado dreht einen Philharmonischen Clip  ■ Von Niklaus Hablützel

Als es mit der Popmusik nicht mehr weiterging, weil so ziemlich alles gleich klang und von Melodien im engeren Sinne auch nicht mehr die Rede sein konnte, da wurde der Videoclip erfunden. Es half nicht viel, sah aber gut aus, und lenkte vom Hören ein wenig ab. Irgend eine Bedeutung besitzen die fröhlichen Zappelbilder und endlosen Bandschleifen nicht, reden wir also von der E-Musik, der ernsten. Zwar graust es Musikern vor diesem Begriff ebenso wie vor seinem Gegenstück. Unterhaltung sei eine ernste Sache, sagen sie, haben recht und werden überhört. Der Markt unterscheidet genauer zwischen tatsächlichen Bedürfnissen: Bislang hatten Videoclips im Symphoniekonzert nichts zu suchen.

Aber die Branche lernt um, und das ausgerechnet mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern. Vor ein paar Wochen hat der Maestro die renovierte Berliner Philharmonie mit Schönbergs Gurreliedern wiedereröffnet — ein bißchen sperrig und nicht ganz pannenfrei, denn Brigitte Fassbaender hatte kurzfristig abgesagt. Es blieb also nichts anderes übrig, als einer weniger bekannten Altistin schlicht zuzuhören. An diesem Wochenende wurden nun die Bilder nachgeliefert, die den schweren Stoff der Moderne besser verpacken.

Nötig schien das allemal, denn schon wieder war Nachsitzen angeordnet: Abbado dirigierte ein thematisches Programm, nämlich vier Werke, die sich mit dem Mythos des Prometheus auseinandersetzen. Wer durchhielt, wurde mit einer Lightshow entschädigt, die jeder Vorstadt- Discothek alle Ehre gemacht hätte. Grün, blau, violett, gelb und rot schimmerte das Orchester unter den Scheinwerferbatterien für Alexander Skrjabins Poème du feu, Martha Argerich, die schöne Schwierige, griff für ein paar Minuten in die Tasten des Flügels, bis alle miteinander zum Schlußchor im Trockeneisnebel versanken.

Nun hatte Skrjabin ja tatsächlich gefordert, Licht, Bilder und sogar Gerüche in seine universalen Schöpfungssymphonien einzubeziehen. Abbados italienischer Budenzauber allerdings hat mit diesem Programm weniger zu tun als mit der Produktion eines Videofilms unter der Regie einer Firma namens »Euroarts Entertainment«. Der Maestro selbst habe »die Anregung gegeben«, heißt es, die Konzertmitschnitte sollen »postproduktiv gesättigt« und mit »Archivmaterial« ergänzt werden, das Geld wollen drei deutsche Rundfunkanstalten, Channel 4 und Sony vorschießen.

Die Mythen sind in der Tat fortschreibbar. Prometheus, der einst den Menschen des Feuer brachte und sie sehen lehrte, der Rebell und Produktivkraftentwickler, den die Götter straften: Er kehrt zurück als mediales Design für den Hausgebrauch, zwar immer noch vielfältig deutbar, aber stets als Qualitätsprodukt besiegelt durch Abbados und der Berliner Philharmoniker Namen.

So durchschaubar die Vermarktungsstrategie ist, so gewichtig unterzieht sich das Programmheft schon jetzt der Mühe, den Bogen zu schlagen von Beethovens Geschöpfen des Prometheus zu einer Ouvertüre, die Franz Liszt anläßlich der Entüllung eines Herder-Denkmlas in Weimar komponiert hat, und weiter zu Alexander Skrijabins fieberhafter symphonischer Dichtung Prométhée bis hin zu den meditativen Prometeo- Fragmenten Luigi Nonos aus dem Jahr 1983. Nur hat all das miteinander etwa soviel zu tun wie eine Filmsequenz eines Videoclips mit der nächsten.

Also rundum abgesichert, traute sich der Chef immerhin drei Werke aufzuführen, die sonst im Konzertbetrieb der Philharmoniker kaum eine Chance hätten. Keine Fernsehnachbearbeitung dürfte freilich Liszts Prometheus-Ouvertüre vor dem verdientem Vergessen retten. Sie will an Herders Idee eines entfesselten Prometheus anknüpfen, den göttlichen Richtspruch korrigieren, und reitet in dieser Absicht ein heroisches Motiv mit rasenden Geigenskalen zu Schanden. In den Fanfaren, die das Gewoge unterbrechen, wäre heute vor allem eine typische Leere dieser allzu optimistischen Deutung des Mythos vorauszuhören. Wie viel glücklicher tanzten Beethovens Geschöpfe noch im Garten der Erlösung ihre Reigen, so beschaulich gar, daß dieses Neben- und Auftragswerk für ein Wiener Ballett regelmäßiges Gastrecht im Abonnementskonzert genießt, zumal es am Ende auch noch das Finale der Eroica vorwegnimmt.

Blieben Skrjabin und Nono, die nun aber besseres verdient hätten als diese auf Zweitverwertung schielende Aufführung. Der Videoclip verlangt schöne Stellen, so blieben die Werke Fragment auch da, wo sie eigentlich vollendet vorlägen. Skrjabins Prometheus enthält neben dem Feuergedicht weitere Teile: Wieviel mehr als die aufgeheizten Lichteffekte hätten sie wohl den Zusammenhang zum antiken Mythos und seiner symbolistisch übersteigerten Deutung durch den Russen erschließen können? Das Feuer, das Skrjabin komponiert hat, brennt in seltsam kalten Quartakkorden; die Musik treibt in die Moderne, das Ideengebräu, das sie illustrieren soll, bleibt im Fin de Siècle stecken.

Aber auch Prometheus selbst scheint endgültig einer vergangenen Zeit anzugehören. Bei Luigi Nono ist er verschwunden in einer Musik großer Stille, sein Prometheus blieb Fragment, von dem Abbado allerdings wieder nur einen Teil aufführen mochte, einen allerdings rein und andächtig ausgehörten.

Kleine Instrumentengruppen sind im Raum und auf der Bühne verteilt, Singstimmen werden elektronisch multipliziert und moduliert, erzeugen imaginäre Orte und Hörräume. Wie eine einzige klingende Glocke hängt dieses Stück über den Köpfen, schlichte melodische Floskeln, mitunter kontrapunktisch im Stil von alten Madrigalen gegeneinander gesetzt, umkreisen den abwesenden Helden des Fortschritts, versuchen seine Tragik zu fixieren, stoßen manchmal auf häßliche Geräusche und lösen sich wieder auf in überaus italienischen Wohlklang, der sich - erstaunlicherweise - auch auf engstem harmonischem Raum verwirklichen läßt.

Falls unter Abbado solche Musik endlich auch in Scharouns Philharmonie möglich wird, wozu brauchen wir dann noch diesen dummen Clip?