Tod des Anti-Mafia-Symbols

Giovanni Falcone nebst Frau und Eskorte wurde mit einer 1.000-Kilo-Bombe ermordet/ Das Attentat geschah während einer totalen Paralyse des italienischen Staates und der Regionen/ Zurück bleibt Wut gegen die Politiker in Rom  ■ Aus Palermo Werner Raith

Der Ort erinnert an Bilder aus Bosnien oder aus dem Golfkrieg: Ein Trichter von 30 bis 40 Meter Durchmesser — um ihn herum Überreste von Stein und Asphalt. Hier, in unmittelbarer Nähe des Flughafens Punta Raisi, kreuzte noch bis Samstag 18 Uhr die Autobahn Trapani-Palermo den Zubringer zum Badestrand Isola delle femmine. Jetzt sind die beiden Asphaltbahnen wie wegradiert. Im Umkreis von einem Kilometer liegen zertrümmerte Fensterscheiben auf dem Sandboden, Kleiderfetzen hängen ringsum an den Sträuchern, Autowracks ragen, wohin man blickt, leergebrannt in den Himmel.

Mit einer Tausendkilo-Sprengladung, fachgerecht montiert in einer Kanalröhre unter der Autobahn, wurde der italienische Antimafiakämpfer Giovanni Falcone ermordet. Kurz nach ihm starb seine schwerverletzte Frau. Die drei Männer der Eskorte, die seinem Fahrzeug folgten, waren sofort nach der Explosion tot. An die zwanzig Schwerverletzte wurden aus anderen Autos geborgen, die letzten erst einige Stunden nach dem Anschlag.

Am Attentatsort halten Angehörige und Bekannte des Ermordeten eine Art Totenwache. Kollegen des ermordeten Ex-Untersuchungsrichters lehnen mit erstickender Stimme Interviews ab. Mitglieder der „Frauen gegen die Mafia“ und der antimafiosen „Societa civile“ stehen fassungslos mit verquollenen Augen — zitternd, verzweifelt. Blumen, die sie zu Hunderten auf die Todesstelle legen, sind ihr einziger Ausdruck.

Falcone war sicher nicht immer „ihr Mann“. Er hatte in den letzten Monaten viel Kritik wegen allzu großer Behutsamkeit beim Verfolgen von Querverbindungen der Mafia-Politik einstecken müssen. Auch durch sein Engagement im Ministerium des umstrittenen Justizministers Claudio Martelli verlor er Sympathien. Schließlich hatte der junge Sozialist bei den Wahlen 1987 skrupellos auf die Hilfe mafioser Klientel gesetzt. Aber, daß Falcone ein Antimafiakämpfer war, und zwar der erfolgreichste in der Geschichte Italiens, daran hegt niemand Zweifel.

Mehr noch wiegt für viele jedoch die Grauenhaftigkeit, mit der das Attentat durchgeführt wurde. Hier war eine Macht am Werk, die in Kriegskategorien denkt.

Giovanni Falcone, 53, geboren in Palermo, übernahm den Antimafiakampf Ende der 70er Jahre, nach einigen Jahren als Amts- und als Konkursrichter. Damals war es im Rahmen eines großen Clankriegs um neue Märkte zu großen Mordserien gekommen. Innerhalb eines Jahres war die Zahl der Opfer alleine in Palermo von 50 auf 150 emporgeschnellt.

Die Geheimnisse der Geldwäsche enträtselt

Auf der ganzen Insel zählte man durchschnittlich einen Mord pro Tag. Dazu nahmen die Banden immer mehr Staatsrepräsentanten ins Ziel, brachten Politiker und Ermittlungsrichter um.

Falcone bildete, mit Unterstützung seines Vorgesetzten Rocco Chinnici, einen „Pool“ aus sechzehn Staatsanwälten und erfahrenen Ermittlern. Er begann mit elektronischen Hilfsmitteln zu arbeiten, drang in die Geheimnisse der Geldwäsche und banktechnischer Verschleierungsmethoden ein, organisierte eine enge Zusammenarbeit mit den von der internationalen Kriminalität betroffenen Staaten wie USA und Kanada und den Recycling-Paradiesen wie der Schweiz und Deutschland. 1982, nach der Ermordung Dalla Chiesas und seiner Frau, bekam er erstmals auch breitere Unterstützung durch Teile des Staatsapparates und der italienischen Öffentlichkeit. Ein erster Versuch, seinen Pool zu stoppen, unternahmen die zunehmend unter Druck geratenen Clans 1983 — sie sprengten mit einer Hundertkilobombe Falcones Mentor Chinnici in die Luft.

Falcone arbeitete weiter, erhielt vom Parlament die Erlaubnis, das bislang nur gegen den Linksterrorismus eingesetzte Kronzeugengesetz auch für Mafia-Aussteiger anzuwenden. 1984 dreht er den ersten wichtigen Mafioso um, Tommaso Buscetta. Zwei weitere wichtige Zeugen folgten; mehrere tausend Personen wurden festgesetzt.

1986 begann der größte Prozeß der italienischen Geschichte, gegen 704 Angeklagte. Die drei „Tranchen“ des Verfahrens endeten mit mehr als zwei dutzendmal Lebenslänglich und 7.000 Jahren Gefängnis für 400 Mafiosi. Daraufhin versuchte die Mafia erneut, Falcone zu stoppen: 1989 fand ein Leibwächter eine Zwanzigkilobombe am Strand der Sommervilla Falcones. Warum der Sprengsatz nicht losging, ist bis heute unklar.

Inzwischen ist es Nacht geworden. Die Stimmung am Tatort hat sich verändert. An die Stelle fassungsloser Verzweiflung tritt kalte Wut auf jene, die man verantwortlich dafür macht, daß so etwas geschehen kann, daß die Banden immer dreister, die Anschläge immer grausamer werden. „Wo sind sie, die Schweine?“ schreit ein Bauer, der zu Fuß von den Bergen heruntergekommen ist, um ein Kreuz niederzulegen.

Schuld an dem Attentat haben die Politiker

Mit den „Schweinen“ meint er nicht die Bombenleger, sondern die Politiker in Rom. Die sind derzeit vor allem mit sich selbst und ihrem Lieblingsspiel beschäftigt, der Palastintrige. Anfang April wurde gewählt, doch fast zwei Monate danach hat Italien noch immer keine Regierung.

Der Staatspräsident ist zurückgetreten, zwei Wochen und 15 Wahlgänge lang konnten sich die Parteien nicht auf einen Nachfolger einigen. Inzwischen hat auch der Chef der Christdemokraten, Forlani, sein Amt verlassen. Die Regionalregierung Siziliens ebenso wie die der Provinz Palermo [die Einheiten entsprechen unseren Bundesländern d.Red.] sind seit Monaten ohne Leitung. In den Gerichten Palermos sind mehr als 30 Prozent aller Stellen nicht besetzt, bei den Ermittlern sind es sogar die Hälfte. Daß sich vor diesem Hintergrund jeder Attentäter sicher fühlen kann, ist leicht verständlich.

So greifen sich die Menschen hier am Ort der Verwüstung nur noch fatalistisch an den Kopf, als im Morgengrauen bekannt wird, wer die Ermittlungen im Fall Falcone führen soll: Untersuchungsrichter Di Pisa.

Es ist jener Mann, von dem die Gerichte annehmen, daß er der Urheber einer Reihe anonymer Briefe mit unflätigsten Anwürfen gegen Giovanni Falcone war, die 1990 das Klima in Palermos Gerichten so vergiftet haben, daß der Leiter des „Anti-Mafia-Pools“ entnervt seinen Posten verließ und nach Rom wechselte.