Statt Saufen nun Knuffen und Lernen

In Dresden werden heute die Urteile gegen eine Jugendbande gesprochen/ AusländerInnen wurden mißhandelt/ Die Täter baten ihre Opfer um Verzeihung/ Verteidiger: „Kein Neonazi-Prozeß“  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Dem Augenschein nach bedienen die zehn Angeklagten das Klischee vom „tumben, rechten Schläger“. Auch ihre Biografien ähneln sich. Michael S., zur Tatzeit 18, hat „vom Vater die Prügel und von der Mutter die Erziehung“ bekommen. Er brachte am 11.September letzten Jahres zum Cliquen-Treff seine Gaspistole mit.

Udo M. kam aus Bayern nach Dresden, um an der Gründung der rechtsextremen „Sächsischen Nationalen Liste“ teilzunehmen und um ein Rock-Konzert zu erleben. Für den mehrfachen „Schützenkönig“ war die Pistole eher ein Spielzeug. Ob er es war, der dann aus der Straßenbahn auf den Mosambikaner Omar Latifo geschossen hat, konnte in der Vernehmung nicht schlüssig nachgewiesen werden. Udo M. meinte, sich nicht erinnern zu können — er wäre „zu besoffen“ gewesen. Auf Jeremias Jomo, der über dem Auge von einer Kugel getroffen wurde, habe er nicht gezielt, sondern nur „fahrlässig“ geschossen.

Jürgen T. ist langzeitarbeitslos und mit 29 der Älteste der Gruppe. Daß er auf den am Boden liegenden Mosambikaner Jeremias Jomo mit Fäusten eingeschlagen hat, will von den Jungs niemand gesehen haben.

Für das Opfer „sehen alle Deutschen gleich aus“. Die Beleidigungen habe er zwar empfunden. Verstanden habe der 28jährige Schlosser, der in Dresden arbeitet, die deutsche Sprache jedoch nicht, als ihn die Clique mit Tritten traktierte.

Für den Verteidiger von Silvio G. ist deshalb erwiesen, daß sein Mandant den „afrikanischen Bürger“ gar nicht beleidigt haben könne, wenn dieser den Text nicht verstanden habe. Wie Silvio G. kommt auch Maik J. aus einem zerrütteten Elternhaus. Maik J. gestand, daß er der Vietnamesin Hoang Thi Vinh in den Bauch getreten hat. Daß sie schwanger war, habe er nicht bemerkt.

Während der etwa einstündigen Prügeltour wurden einige Hände voll Zigaretten mitgenommen und unter der Clique ausgeteilt. Staatsanwalt Peter Voigt interpretierte das als „schweren Raub“. Protest der Verteidigung: „Damit der Rechtsradikalismus aus der Stadt verschwindet, müssen zehn Kinder für 150 Mark den Kopf hinhalten“, meinte Anwältin Beyer. Doch sie drehte gleichsam den Spieß herum und kriminalisierte das Opfer. Zigarettenstangen in der Wohnung einer Vietnamesin könne nur „Schmuggelware“ sein.

Für die Bewertung der Gewalttat ist das völlig belanglos. Es wäre statt dessen zu klären gewesen, wer den betrunkenen Troß auf die Spur zu Vinhs Wohnung gebracht hat.

Nachdem ihm der „fröhliche“ Trupp begegnet war und erzählt hatte, daß man „Fidschis wegknallen“ wolle, war plötzlich bekannt, daß „auf der Rehefelder Straße welche wohnen“. Der Verdacht liegt nahe, daß dieser Zeuge auch an dem unmittelbar vorangegangenen, „gescheiterten“ Überfall auf die gleiche Vietnamesin nicht unbeteiligt war.

Während ihrer Vernehmung baten die Täter ihre Opfer um Entschuldigung. Die noch immer verängstigte Hoang Thi Vinh nahm das gesenkten Kopfes zur Kenntnis. Jeremias Jomo sah seinen Peinigern in die Augen und erklärte, daß er keine Entschuldigung brauche. Das beeindruckte die jungen Männer. Sie hätten, sagten sie, an seiner Stelle auch nicht anders reagiert. Dies sei kein „Neonazi-Prozeß“, sondern ein Prozeß um die „unantastbare Würde des Menschen“, erklärte Anwalt Eisenstein in seinem Plädoyer. Politische Ziele sind es tatsächlich nicht, die diese jungen Leute auf die Prügeltour trieben. Doch die Frage, warum sie rassistische Parolen und Handlungsmuster derart verinnerlicht haben, gehört zur Wertung der Tat. Da reicht es nicht, wie von der Verteidigung unternommen, nur auf prügelnde Väter, niedriges Bildungsniveau und „Gruppenpsychose“ auszuweichen.

Richter Weimer verkündet heute die Urteile. Beantragt hat die Staatsanwaltschaft Haftstrafen für die Haupttäter. Bis auf einige Details fand sie die Anklage durch die Vernehmung bestätigt.

Die Verteidiger sehen das nicht so, in mehreren Punkten stehe Aussage gegen Aussage. Sie plädierten für Strafen, die den meist mehrfach vorbestraften Tätern Chancen geben, in eine Lehre, einen Job einzusteigen und den neuen Anfang zu schaffen, von dem sie in der Verhandlung selbst gesprochen hatten.