Haßobjekt für Stadtplaner

■ Die Realität des Ein-Personen-Haushalts hat die gesellschaftliche Norm (Kleinfamilie) eingeholt. Auf einer Tagung am Wochenende in Bad Boll versuchten SoziologInnen, StatistikerInnen, Sozial-historiker...

Haßobjekt für Stadtplaner Die Realität des Ein-Personen-Haushalts hat die gesellschaftliche Norm (Kleinfamilie) eingeholt. Auf einer Tagung am Wochenende in Bad Boll versuchten SoziologInnen, StatistikerInnen, Sozialhistoriker und Stadtplaner das Phänomen des frei- und unfreiwilligen Alleinelebens zu ergründen.

VON HEIDE PLATEN

Das Single ist ein Neutrum. Es lebt allein, dreht sich einsam um sich selbst und wiederholt genußvoll seine eigene Melodie. Die Teilnehmer der Tagung der Evangelischen Akademie in Bad Boll, die am Wochenende den „Gesellschaftspolitischen Folgen eines Trends“ nachspüren wollte, verstrickten sich zusehends in Ratlosigkeit und Begriffsverwirrungen. So schien das Single vorerst nur in statistischen Größen faßbar und nicht als das Phänomen von Menschen, die in immer größerer Zahl — frei- oder unfreiwillig — alleine leben.

Die Statistikerin Katharina Pohl rechnete vor, daß mittlerweile ein Drittel der deutschen Männer und Frauen, die neuen Bundesländer noch nicht mitgezählt, in Ein-Personen-Haushalten leben — in Großstädten Tendenz steigend. Und: Singles sind für gewöhnlich nicht jene Yuppies und Dinkies (Double-Income-No-Kids-Protagonisten), die nichts als Geld und Karriere im Kopf haben, sondern vorwiegend junge Männer, die wegen der höheren Geburtenrate „überschüssig“ sind und alte Frauen, deren Lebenserwartung höher liegt als die der Männer. Und während 65 Prozent der alleinlebenden Männer inzwischen gelernt haben zu kochen und fast alle einen Knopf annähen können, tun sich die Frauen immer noch schwer, Zündkerzen zu wechseln und Dübel in die Wand zu setzen. Und: Ledige Männer trinken mehr Alkohol. Wenn sie nicht alleine leben, also kein Single sind, dann sind die meisten von ihnen „Nesthocker“, wohnen bei ihren Eltern. Dorthin, zu Muttern, kehren auch viele geschiedene Männer zurück. Frauen sind aushäusiger. Mit steigendem Lebensalter sinkt bei ihnen der Wunsch nach einer Ehe oder einem Partner, während junge Frauen noch intensiv erhoffen, mit „ihm“ alt zu werden. Ansonsten sind die Alleinlebenden ein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft.

Das Single ist auch Objekt der Aggression. Der gutverdienende, alleinstehende Mensch, den Ehe und Familie nicht interessieren, ist zum Haßobjekt der Stadtplaner geworden. Er verbraucht „immer mehr Wohnraum“. Der Stadtplaner Friedmann Gschwind aus Stuttgart rechnete hoch, daß die Tatsache, daß junge Menschen länger alleine bleiben und die Zahl der „Witwenhaushalte“ wächst, die Kapazitäten der Planung übersteigen. Fast die Hälfte der Stuttgarter Haushalte werden von nur einer Person bewohnt. Dies sei ein „Wohlstandsphänomen“. Und: „Wir können nur hinterherlaufen und immer neue Flächen für den Wohnungsbau ausweisen.“ Er könne sich zum Beispiel Hochhäuser als „Yuppie-Türme“ vorstellen.

Der Historiker Arthur E. Imhof provozierte mit seiner These, es werde zu wenig gestorben. Währenddessen machen SoziologInnen die „Alten“ in der Gesellschaft und die damit steigende Weltbevölkerung für alles, vom Ozonloch bis zum Treibhauseffekt, verantwortlich. Sie malen den Aufstand der Jungen, die in Zukunft mehr als die Hälfte ihres Einkommens für den Erhalt der „gierigen Greise“ in ihren Luxusherbergen in Florida aufbringen müßten, an die Wand — nicht mehr als Revolte gegen die Eltern, sondern als Kürzung der Versorgung, als pragmatisches Abdrehen der Schläuche auf der Intensivstation. Imhof zeigte mit Bildern aus der Kunstgeschichte auf, daß die heutige Gesellschaft den Umgang mit dem Altwerden nicht gelernt habe. Es wurde eben früher gestorben, an Krankheiten und im Kindbett. Alte waren selten und auch deren Sterben ausgemustert.

Der Medien-Experte Eggo Müller aus Hildesheim stellte „das Single als mediales Konstrukt“ zur Debatte, geprägt durch Werbung und Love- Shows. Während allerdings die Werbung das Single „in Freiheit und grenzenlosem Genuß“ für eher banale Produkte auftreten lasse, seien die Partnersuchenden in Traumhochzeit und Herzblatt eigentlich unfreiwillige Singles, auf die Änderung dieses Zustandes aus. Bürgerliche Empörung über die Zurschaustellung von Körper und Gefühl sei unangebracht. Die Selbst-Präsentation, auch die öffentliche Lebensbeichte im Fernsehen, diene eher der Findung und Absicherung der eigenen Persönlichkeit in der Ambivalenz der Wünsche nach verschiedenen Lebenssituationen. Das Fernsehen als „medialer Ort“ habe den Marktplatz, die Kirche und die Beichte abgelöst. Müller: „Das Single ist auf öffentliche Räume zur Selbstversicherung angewiesen.“ Er sehe die Shows außerdem auch „als Schule für Männer“, in denen Frauen ihnen zeigen, wie sie sein sollten: „Der männliche Körper wird nicht nur zum Objekt der Frauen. Hier arbeiten die veralltäglichte Frauenbewegung und der Lifestyle Hand in Hand.“ Die Love-Shows sah er außerdem als „doppelgesichtige“ Veranstaltungen: „Sie zeigen das Single als Leitbild, die Dramaturgie aber ist auf Paarung aus.“