Scherf: „Der Protest ist ein gutes Zeichen“

■ Der GEW-Vorsitzende Jan Bücking und Bildungssenator Henning Scherf im Streit über die Sparpolitik an den Schulen

Heute findet in Bremen ein Aktionstag gegen die Sparpläne im Bildungsbereich (vgl. Kasten) statt. Aus diesem Anlaß sprach die taz mit dem GEW-Vorsitzenden Jan Bücking und Bildungssenator Henning Scherf.

taz: Herr Scherf, am Samstag haben Ihnen 4.000 Menschen in Bremerhaven vorgeworfen, zu Lasten der Kinder zu sparen. Trifft Sie das?

Henning Scherf: Erstmal habe ich mich gefreut, daß an einem Samstag vormittag bei dieser Hitze 4.000 Menschen auf die Beine kommen, um für eine bessere Schule einzutreten.

Also verdient die Senatspolitik in Sachen Schulen 4.000 Demonstranten an einem Samstag?

Henning Scherf: Die Menschen wollen nicht, daß Schulpolitik die Sparadresse der Landesregierung ist. Aber das war keine Anti-Senats-Demo, das war pro Schule.

taz: Herr Bücking, sind die Protestaktionen nur frohe Äußerungen für eine bessere Schule?

Jan Bücking: Nein, nicht nur. Was auf dem Tisch liegt ist eine Verschlechterung der gegenwärtigen Bedingungen von Schule. Bei 27, 29 oder 30 Kindern in einer Grundschulklasse ist guter Unterricht nicht mehr möglich. Bei mehr als 25 Kindern in der Orientierungsschule ist integrierter Unterricht nicht mehr möglich. Die Wahlfreiheit in der Sek II wird deutlich eingeschränkt.

Die Wahlergebnisse der letzten Zeit zeigen eine tiefgehende Verdrossenheit, Wut, Enttäuschung gegenüber Politik. Dieser Glaubwürdigkeitsverlust macht sich auch an Schulpolitik fest.

Herr Scherf, teilen sie die Auffassung, daß Schule nach den Sparbeschlüssen deutlich schlechter wird?

Scherf: Erstens: Es ist eine sparpolitische Entscheidung. Aber man muß sehen, daß die materielle Ausstattung bundesweite Spitze ist. Das hat die DVU-Wähler in Bremen nicht abgehalten. Wir werden von den anderen Ländern gefragt: Habt ihr bessere Ausstattungen, die wir für Euch mitbezahlen sollen. Zweitens: Schule ist nicht alleine über die materiellen Rahmenbedingungen definiert. Es gibt eine Reihe von Kollegen, die sind seit Jahren immer frustierter, obwohl sich die Bedingungen verbessert haben.

Wir müssen uns auch fragen, ob wir das Beste mit dem Geld machen. Wir geben zum Beispiel das relativ wenigste Geld für die kleinen Kinder aus und das meiste für die Großen. Ist das vernünftig? Wir haben dringend Umbaubedarf. Das schlimmste wäre ein harter Einstellungsstopp. Aber Lehrer kriege ich nur, wenn ich mich auf der anderen Seite bewegt habe.

Jan Bücking: Was Senator Scherf sagt, läuft auf eine Umverteilung innerhalb des Bildungssystems hin. Aber es kann nicht darum gehen, hier etwas wegzunehmen und da was hinzutun. Es muß weiter verbessert werden. Es stimmt sicher, daß die Akzente nicht überall richtig gesetzt sind. Aber was jetzt läuft, ist Rasenmäher.

Vor zehn Jahren kam ein Lehrer auf 19 Schüler, jetzt liegt Bremen bei 1: 12,7. Können Interessenvertreter da einfach sagen: Die Rahmendaten interessieren mich nicht?

Jan Bücking: Ich habe den Eindruck, daß die Bildungsbehörde vorschnell diese Daten akzeptiert hat. Die sind zu hinterfragen. Diese Unzufriedenheit trotz objektiver Verbesserung rührt daher, daß es immer die gleichen Menschen waren, die im gleichen Umfeld älter geworden sind, und daß wir es mit schwieriger werdenden Schülern zu tun haben.

Scherf: Ich glaube auch, daß das mit persönlicher Befindlichkeit zu tun hat. Und deshalb suche ich nach Wegen, Lehrern außerhalb der Schule Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Wir müßten, um eine Verjüngung zu bekommen, Ideen produzieren, wie man außerhalb von Schule für diese Kollegen Arbeit organisieren kann.

Was Ihnen den Vorteil brächte, schneller Personal abbauen zu können...

Scherf: Das will ich nicht. Ich kann doch nicht erst nach zehn Jahren die nächsten Lehrer einstellen. Das ist das unvernünftigste, was man machen kann. Wir müssen Jahr für Jahr einstellen können. Die Schule braucht das. Die Kinder brauchen das. Und deshalb kämpfe ich vehement für Einstellungen. Und ich habe das Problem, daß im Senat alle anderen sagen: Das ist zu teuer. Und noch eins: Das was die Lehrer, Eltern und Schüler zur Zeit ärgert, ist erst der erste Schritt. Wir müssen in den nächsten Wochen im Senat eine qualifizierte Bedarfsrechnung für die Zeit bis 1999/2000 vorlegen. Und da ist natürlich eine Öffnung der Diskussion, da sind die Demonstrationen hilfreich.

Jan Bücking: Das Ergebnis der Diskussion steht doch schon fest: Soundsoviel Stellen müssen gekürzt werden. Wir wollen uns nicht nur darüber unterhalten dürfen, was hat den ersten, zweiten und dritten Rang bei den Kürzungen hat. Wenn es eine offene Diskussion sein soll, ist die erste Frage, was ist notwendig.

Herr Bücking will über Standards diskutieren. Was ist unverzichtbar?

Scherf: Es gibt keine Maßeinheit für das, was notwendig ist oder nicht. Aber Schule darf nicht eingefroren werden, sie muß sich verändern können. Und da versuche ich Umbauperspektiven zu entwickeln. Ein Beispiel: Dieser total unpopuläre Beschluß, die Frequenz bei den sechsjährigen hochzusetzen, ist begleitet worden mit dem Vorschlag einer eineinhalbfach Zählung der Ausländerkinder. Das bedeutet für einige Schulen mehr Lehrerstellen. Das ist nicht Rasenmäher.

Bücking: Diese Ansatz ist nur ein Stoßdämpfer, der an einigen Stellen die Schärfe nimmt. Und dann kommt ja die unbeantwortete Frage, ob das nicht im zweiten Schritt bei den Sonderbedarfen wieder abgezogen wird.

Herr Scherf, hat es Sie eigentlich verwundert, wieviele Menschen gegen ihre Schulpolitik zu mobilisieren sind?

Ich hatte am meisten Angst, daß der Frust so groß ist, daß sich gar nichts rührt. Wenn Eltern, Lehrer und Schüler sich auf die Hinterbeine stellen, ist das erstmal ein gutes Zeichen. Eine Schule, die sich wehrt, ist ein Hoffnungssignal.

Jan Bücking: Und es sieht so aus, als wenn der Protest eine erhebliche Breite und Tiefe gewonnen hat. Das Ausmaß der Protestreaktionen hat mich überrascht. Da ist etwas in Gang gekommen, was weitergehen wird. Fragen: Holger Bruns-Kösters