Nach Art der Klagefrauen

■ Diamanda Galas, selbsternannte Hohepriesterin der Seuchen, exorzierte mit ihrem Ganzkörper-Gesang das Metropol

There are no tickets to the funeral. Das gemischte Post-Gruftie, Germanistik-und-Theaterwissenschaft-, Kleinfamilien- und Lesbian-and-gay-community-Publikum drängt sich im gar nicht so vollen Metropol, abwartend. Das Licht geht aus — bleibt aus. Dann kommt sie, die Hohepriesterin, den Körper geölt, die Haare ebenso. Die Beine in ein antikes Priesterinnengewand gehüllt, beginnt sie schnell, sich in eine stakkatoartige, pfeifende, stöhnende stechende Töne erzeugende Tonmodulation einzuwiegen. Ihr Körper arbeitet — sie dreht und wendet ihn, hebt die Arme, schlägt sie nach Art der Klagefrauen in der Luft zusammen und tönt und tönt — der Raum vibriert. Sich überschlagende Echos koppeln manchmal aus den »backing tapes« zurück, die die einzige Verstärkung ihrer Stimme sind: »Were you a witness?«

Diese Frau steht da ganz alleine, nur ihr schwerarbeitender »Klang«- Körper, erzeugt die unglaublichsten Laute. Dazwischen richten drohend »dirty angels« durch ihre Stimme Fragen an uns: »Do you confess?« Und es ist unmöglich, dies zu verneinen. Sie selbst hat das, was hier vor sich geht, einmal »intravenöse sound operation« genannt. Der erste Teil der Messe ist vorbei: The funeral is crowd!

Das Ritual, so muß man es schon nennen, geht am Flügel weiter. Diamanda Galas hat ihre Haare wieder in die Höhe gestellt, das Gewand der Priesterin mit dem des Post-Grufties getauscht: Wieder klagt sie an, attackiert mit heftigen Trillern auf den höchsten Tönen des Flügels ihr Publikum. Und singt: »Were you there when they crucified my Lord?« Hier hat der Gospel, der Spiritual seine ursprüngliche Bedeutung: Medium sein.

Doch was einmal seine Wurzeln in der afrikanischen Mystik hatte, gilt jetzt dem Schmerz und der Unterdrückung durch Aids. Diamanda Galas' Show ist eine ganz konkrete Anklage gegen die Passivität in Aids- Krisenzeiten. Das nächste Stück, das sie singt, ist »dedicated to the Aids Community of Berlin«: »Let my people go! — Oh Lord, Jesus, do you think I've served my time?«

Ihre Pianotechnik, die pulsierenden Rhythmen, die schmerzhaften beißenden Höhen und die deepen, bluesigen Akkorde, verbunden mit der außerordentlichen Art, zu singen, Töne zu modulieren, von Kiekser zu Kiekser zu springen, um dann, im klassischen Belcanto, im »schönen Gesang« zu enden, ist phantastisch. Ihre neue Platte The Singer, die als Krönung der Trilogie von Plague Mass und Masque of the Red Death gilt, ein Gospel-und-Blues-»Gesangbuch«, ist auch Grundlage für den gesamten zweiten Teil. Von Swing Low, sweet Chariot bis zum Screamin'-Jay-Hawkins-Aufschrei I put a spell on you zieht sie alles mit sich in die Tiefe, um dann, beim nächsten Atemzug, die ganze Tragik der Liebe und die Last der Welt mit einer virtuosen Koloratur fortzustoßen.

Das Finale widmet sie allen »Heiligen« von New York City, den Lebenden und den Toten: Judgement Day. Mit zeterndem Zittervibrato und blutigen Texten — »You shall hang on Judgment Day. Let them burn on Judgement Day. None can hide on Judgement Day« — einem letzten »Oh my Lord«- und »Hail our Saints«-Stöhnen beendet Zeremonienmeisterin MC Galas ihren ekstatischen Tempelkult. Der dritte Teil ist vorbei: The funeral is crowd!Annette Weber