Sommersmog — Leiden und leiden lassen

■ Der Wintersmog ist vorbei, schon steigen die Ozonwerte in der Atemluft/ Die Ursache sind Schadstoffe, die »meilenweit« herkommen/ Berliner schicken »ihren« Sommersmog nach Magdeburg

Berlin. Wenn unsere Breitengrade von der Sonne stärker erwärmt werden, wiederholt sich jedes Jahr das gleiche Ritual: Die Ozonwerte in der Atemluft steigen, empfindlichen Menschen droht Gefahr für ihre Gesundheit, doch der Umweltsenator zuckt — wie eh und je — die Schultern. Statt Asthmatiker und Atemwegsgeschädigte vor der Luftverschmutzung zu schützen, warnt er die »Risikogruppe« lediglich — das erste Mal in diesem Jahr am vergangenen Donnerstag. Die Werte des dreiatomigen Sauerstoffs (O3) überschritten nachmittags den Alarmwert von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, empfindliche Personen sollten Anstrengungen im Freien vermeiden. Doch statt dessen könnte der Umweltsenator gleich empfehlen: Atmet weniger!

Im Gegensatz zum Wintersmog — zu dem insbesondere Stickoxide beitragen — reagiert Hassemer auf den Sommersmog nicht mit dem Ausrufen von Fahrverboten, obwohl auch im Sommer der Autoverkehr Luftverschmutzer Nummer eins ist. Daß trotz hoher Ozonkonzentration weitergefahren und -verpestet werden darf, hat eine mehr oder weniger einleuchtende Erklärung. Dort wo Ozon wirkt, ist es nicht entstanden. Das auf Schleimhäute aggressiv wirkenden Gas wird quasi importiert. Der Wind weht Stickoxide und Kohlenwasserstoffe zum Beispiel von Lissabon über Südfrankreich nach Norddeutschland. Erst auf dieser mehrtägigen Reise entwickelt sich aus den beiden Luftschadstoffen Ozon.

Berlins Umweltsenator müßte also den Bürgern von Lissabon und Montpellier das Autofahren verbieten. »Das geht so aber nicht«, sagt Klaus Kuttsner, Ozonexperte bei der Umweltverwaltung. Man könne den Leuten im Rhonetal nicht sagen, sie sollten zum Wohl der Berliner ihr Auto abstellen. Außerdem sei es sehr schwer vorauszusagen, wo welche Schadstoffe in drei Tagen ankommen werden und ob aus ihnen Ozon entsteht.

Natürlich exportiert nicht nur Lissabon bei entsprechenden Winden Dreck nach Berlin. Der Schmutz, den die Hauptstädter selbst in die Atmosphäre blasen, kann beispielsweise in Magedeburg, Stendal und Rathenow Alten, Kindern und Asthmatikern den Aufenthalt im Freien verleiden. Auch die Berliner hätten an manchem Tag Grund, ihre Kraftfahrzeuge für die Gesundheit sehr entfernt wohnender In- und Ausländer stehen zu lassen. Doch in welche Gegenden die Regierungsstadt »ihren« Sommersmog exportiert, scheint weder Abgeordnete der Koalitionsparteien noch Senatoren sonderlich zu interessieren.

Um den Sommersmog an der Wurzel zu packen, müßte europaweit die Produktion von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen beschränkt werden, sagt Kuttsner. Die EG müßte eine einheitliche Position entwickeln. Ein Fortschritt sei, daß sich die Ländergemeinschaft auf die Einführung von Katalysatoren für Automotoren und einen Verdunstungsschutz für Benzin und Diesel- Tanks festgelegt habe. Mit den technischen Maßnahmen produzierten Autos nur noch ein Zehntel der Schadstoffe, die zum Sommersmog führen können.

Für diese Woche scheint die Gefahr vor dem Sommersmog erst einmal gebannt. Nach dem Alarm von Donnerstag und Freitag fielen die Werte am Wochenende unter den Grenzwert. Und unter dieser Marke sollen sie trotz ozonfördernden Sonnenscheins vorerst bleiben, berichtet das metereologische Institut. Dirk Wildt