Schweres Schicksal

■ Was Schulkindern nicht vorenthalten werden darf

Subversiven Kräften muß es gelungen sein, die bewährte Programmuhr von RTLplus zu verstellen. Zwischen Action- und Piratenfilmen, dem heißen Preis und lauen Softpornos flimmerte am Sonntag abend um 22.35 Uhr in Prime Time — Spätausgabe ein Porträt der US-Filmemacherin Allison Anders in die heimeligen Wohnstuben. Der provokante Titel zur Familienschlafengehstunde: Schwere Zeit für Heterosexuelle in Kentucky.

Nicht nur der Herr Thoma wird sich gefreut haben, daß die meisten TV-Zeitschriften den 20minütigen Beitrag geflissentlich verschwiegen. Denn Wim-Wenders-Schülerin Allison Anders sprach aus, was Schwule schon lange wissen: Während Homosexuelle in ihrem Leben einer klaren Linie folgten, irrten heterosexuelle Männer ziellos umher, hätten weder ein Bewußtsein noch eine Sprache für ihre Gefühle und Ängste. In ihrem Film Gas, Food, Lodging, plauderte Anders, zeige sie für Heteros ein „gewisses Bedauern“.

Ohne Untertreibung dürften Anders' Enthüllungen von mindestens ebenso großer Bedeutung sein wie einst die Aufklärungsspots von Oswalt Kolle. Daß nach der Sendung in Deutschlands Ehen weder Tassen flogen, noch Hausfrauen am Montag verheult zur Arbeit kamen, liegt allein an den Machern des Porträts. Ihr Produkt könnte man ebensogut als Lehrfilm für Fernsehamateure einsetzen: Konsequent zeigen sie auf, wie man Interviews lieber nicht führen sollte und wie viele Fehler ein Kameramensch allein machen kann.

„Die heterosexuellen Männer hatten keine Bewegung, die sie durch das 20.Jahrhundert geführt hat“, machte Anders als Hauptbenachteiligung gegenüber Heteras, Lesben und Schwulen aus. Deshalb sei es auch so schwer, zwischen Männern und Frauen eine gemeinsame Sprache zu finden. Wer sich nach dem Porträt bei RTLplus die Playboy Late Night anschaute, konnte ihr wohl zustimmen.

Jetzt wird auch klar, warum der Kölner Privatsender einmal überlegt hatte, ein schwules Programm einzurichten — nicht etwa um die schwule Kommunikation zu verbessern, sondern um den Heteros bei der Bewältigung ihres Schlamassels zu helfen. Das ist nicht von vornherein zu verwerfen, meint die taz und fordert die Zwangsausstrahlung von Anders' Filmen vor allen Schulklassen. Wenn CDU-Kultusminister es verbieten, bei den Sprößlingen für Homosexualität zu werben, muß es doch wenigstens erlaubt sein, sie vor den Folgen der Heterosexualität zu warnen. Micha Schulze