Nach dem Terror der Schlaf

■ Wolf Christian Schröders „Saurier“ in Konstanz uraufgeführt

Nein. „Saurier“ meint nicht die Riesenechsen im neuesten Disney-Park, es ist auch keine Metapher für eine Menschheit, deren Weltzeit abgelaufen ist; als „Saurier“ bezeichnet Ecki (Frank (Lettenewitsch) die Rolling Stones, die „ewigen Prinzen“, die noch mit vierzig die Teenies so verrückt machen, daß der Hooligan Fritz (Reinhard Mahlberg) seine Maus Dora gerne „Mick the Fick“ unterschieben würde, um am Tresen etwas erzählen zu können. Die Stones kommen nicht vor, nicht einmal ihre Musik; wenn man Ecki glaubt, sehen wir, was sie mit einigen Menschen gemacht haben. Ihm haben sie, als er jung war, ins Blut gepeitscht, er müsse Autos anzünden. Ecki alias Comandante, alias Franz, alias Siepmann wurde Terrorist, 1977 erschoß er in Helsinki auf dem Botschaftsdach einen Scharfschützen, wurde für „die Rasse“ zum Helden und für sich selbst vom „jungen Mann zum Greis“. Seit sieben Jahren versteckt ihm sein Freund Vetter alias Hans (Roland Koch) in konspirativen Wohnungen. „Draußen“ war er nur selten, dort hängen die Fahndungsfotos, die Welt bekommt er medial aus zweiter Hand ins Zimmer.

Der Übersetzer, Fernsehautor und Romancier Wolf Christian Schröder hat in seinem zweiten Stück über Wirklichkeitsverlust und falsche Bilder geschrieben, der Alt- Terrorist in der Isolation soll nicht politisch noch biographisch und schon gar nicht moralisch präsentiert werden. Dazu ist alles viel zu dünn; daß Außenseiter vorkommen, sorgt für Szene-Touch, Phrasen und ein paar nette Witzchen. An Eckis Situation läßt sich durchexerzieren, wie verhehrend unsere schöne bunte Bilderwelt ist. Der Jugendfreund Vetter formuliert beiläufig die Devise „Wir spielen“, und Ecki wählt die Rolle des beinahe Blinden: der uneinsichtige Alt-Terrorist, der noch immer auf seinen Einsatz wartet, der haspelig mit der Mauser fuchtelt, wenn er hört, daß die Massen in den Fußgängerzonen strömen, der verblendete Polit-Ödipus der militanten Linken, das ist schon mehr als platt. Immerhin narrt er über vier Fünftel des Stücks mit der dunklen Brille den Komplizen, und die junge Dora (Johanna Weißert), die ihm einmal wöchentlich zwei Dosen Hundefutter bringt, traut sich, dem „Opa“ ihre diversen Netz- und Badekostüme vorzutänzeln, bevor sie sich für eine Rolle im Porno bewirbt.

Spielen wollen sie alle, verorten läßt sich keiner, leider auch nicht der Terrorist und sein Kollege. Für den Hooligan Fritz ist die Selbstinszenierung Lebensinhalt, zwei kurdische Ärzte sind vermummt wie Posträuber, und Vetter ist schon längst wieder der Autohändler mit Smoking und Porsche; die Wohnungen, in denen Ecki haust, gehören ihm. Was den Schönling bei der Stange hält, erfährt man nicht; Jugendfreundschaft und die bürgerliche Tugend der Treue, Hörigkeit, gemeinsame Erlebnisse, Musik, das Überleben, vieles wäre da denkbar, manches wird angetippt und wieder fallengelassen. Das Stück reiht einzelne Szenen und Motive aneinander, ohne sie durch mehr zu verbinden als den gemeinsamen Ort und den endlos währenden Bogen zur Klimax: Die Verblendung gipfelt im Mord an Mick Jagger und der Ankunft des „Jägers“ (Ulrich Müller) — noch ein plattes Spielchen— für eine Augenoperation, nach der Ecki wohl wirklich blind sein wird.

Hartmut Wickert hat vermutlich befürchtet, daß diese Schaumblasen zerplatzen, wenn er hart zufaßt, und das Ungefähre noch mehr ins Zwischenreich des Möglichen zerpustet. Schon die Bühne Peter Browers zeigt keinen realen Raum, er reißt das Konstanzer Bühnenhaus (das ein Kammerspiel angeboten hätte) in die Tiefe auf, montiert Außen und Innen als Stadttheaterversatz zusammen und drapiert spärlich Kühlschrank, Stühle und zum Krachmachen Telefon, Fernseher, Radio und Staubsauger. Für die Auftritte haben die Schauspieler ein langes Podest, die Hälfte der Bühne bleibt ungenutzt, alles ist grau in grau gehalten, gelegentlich schneidet ein Scheinwerfer ein Gesicht aus wie zum Verhör.

In diesem kargen Phantasieraum haben die Schauspieler kaum eine Chance. Den Figuren in markanten Szenen Profil zu geben und Spannungen zwischen ihnen zu definieren, das hätte inhaltliche Festlegungen erfordert, die der Text nicht hergibt. Wickert wollte dem Mangel nicht mit (psychologischen, soziologischen) Plattitüden begegnen, die Personen sollten, statt ausdefiniert, in einen musikalischen Rhythmus eingebunden werden, damit in der Schwebe bleibt, was Phantasiebild, was Wirklichkeit ist. Das funktioniert, wo das Tempo gerafft wird: Wenn Franz und Hans aus dem Stand zum Komikerduo werden, wenn der Hooligan Fritz vor Ecki seine schrille Selbstinszenierung abliefert oder Dora mit ihren Stripposen seine sexuellen Verklemmungen reizt, sind plötzlich Figuren da, die Bilder im Kopf kommen auf die Bühne, wie sie Leben bestimmen, wird konkret. Die ereignislose Langsamkeit, die ansonsten über dem Abend liegt, betreibt Wirklichkeitsverlust durch Ermüdung. Gerhard Mack

Saurier von Wolf Christian Schröder im Stadttheater Koblenz. Regie: Hartmut Wickert, Bühnenbild: Peter Brower. Mit Frank Lettenewitsch, Roland Koch, Johanna Weißert, Reinhard Mahlberg, Ulrich Müller. Nächste Aufführungen: 3., 9., 13., 14., 16., 23., 25., 29., 30. Juni, 1., 2., 4. Juli