GASTKOMMENTAR
: Ein Mann stürmt nach oben

■ Österreichs neuer Bundespräsident verändert die politische Landschaft im Alleingang

Er kam aus dem Nichts und fegte wie ein Tornado durch die österreichische Innenpolitik. Thomas Klestil, bis vor wenigen Wochen noch weitgehend unbekannter Spitzenbeamter im Wiener Außenministerium, wird fürderhin der erste Mann im Staate Österreich sein. 57 Prozent der Österreicher stimmten am Sonntag im entscheidenden zweiten Wahlgang für den 59jährigen, der von einer personell und politisch ausgetrockneten ÖVP in ein scheinbar aussichtsloses Rennen geschickt worden war. Die Christ-Konservativen, durch Wahlniederlagen demoralisiert, von Jörg Haider und seinem immer aggressiver vorgetragenen Führungsanspruch im bürgerlichen Lager an die Schwelle zur Mittelpartei gedrängt, hatten ursprünglich keine hochgeschraubten Erwartungen. Den zweiten Platz gegen die FPÖ-Kandidatin Heide Schmidt zu verteidigen — so lautete der allgemeine Auftrag der Volkspartei-Granden an ihren aus der Not geborenen Kandidaten.

Für die Partei, die im Grunde seit 1966 nicht mehr Tritt fassen konnte —der Sieg Waldheims vor sechs Jahren war in jeder Hinsicht ein Sonderfall—, ist der Triumph eine lange nicht gekannte Erfahrung. Für die österreichische Innenpolitik dagegen markiert der Wahlausgang einen Wendepunkt: Erstmals konnte ein ÖVP-Kandidat, ohne daß dem der Geschmack eines Pyrrhus-Sieges anhaften würde, mit den Stimmen aus dem Haider- Lager eine Wahl für sich entscheiden. Bisher hatte ja jeder Versuch, einen Bürgerblock zu zimmern — wie etwa im Bundesland Kärnten —, zu einer Aufwertung des wortgewaltigen Rechtspopulisten geführt. Da wird es wohl nicht lange brauchen, bis jene in der ÖVP, die eine solche Wende auch auf parlamentarischer Ebene herbeisehnen, ihrer bisher eher still geäußerten Forderung nach Bildung einer kleinen Koalition aus ÖVP und FPÖ Gehör verschaffen werden.

Für die Sozialdemokraten könnte der Wahlsieg Klestils den Anfang vom Ende ihrer seit der Ära Kreisky abgesicherten Dominanz bedeuten. Die tiefe Krise der Partei, die nur durch die Person Kanzler Franz Vranitzkys überstrahlt wurde, wird jetzt offen ausbrechen. Ohnehin galt die SPÖ nur deshalb als besonders erfolgreich, weil ihre Niederlagen stets weniger dramatisch ausfielen als jene der großen bürgerlichen Konkurrenz.

Thomas Klestil, der konservative Diplomat, der ob seiner Weltläufigkeit vielen als Liberaler gilt, hat quasi im Alleingang ein politisches Erdbeben ausgelöst. Wer hätte das gedacht? Einer: Thomas Klestil selbst. Robert Misik

Deutschlandkorrespondent des Wiener Nachrichtenmagazins 'profil‘.