Spaniens Linke in Zerreißprobe

Kongreß von Izquierda Unida durch heftige Kontroversen bestimmt/ Knappe Mehrheit setzt ihr Programm durch/ Kein Ja zu Maastricht, Widerstreben gegenüber Koalitionen mit Sozialisten  ■ Aus Madrid Antje Bauer

„Die Diskussion der Linken“ hieß das Motto für den III. Kongreß der spanischen Linkskoalition Izquierda Unida (IU), der am vergangenen Wochenende in Madrid stattfand. Beinahe hätte die Diskussion zu einem Bruch geführt. War der Fall der osteuropäischen Regime „eine Erleichterung“ oder eine „historische Frustration“? Vollzog er sich als „Ergebnis der Reaktion des Volkes gegen ein Einparteiensystem, das Grundprinzipien der Menschenrechte und der Demokratie verweigerte und (...) den Internationalismus als Ausrede benutzte, um die existierenden nationalen Widersprüche nicht zu lösen“, wie es im vorgeschlagenen „Politischen Dokument“ hieß? Oder fielen die Kommunisten vielmehr in Ungnade „als Folge einer Verbindung innerer und äußerer Gründe, wobei die äußeren vom Kapitalismus geleitet wurden, um die Erfahrung des Sozialismus zu ersticken und zu verleumden“, wie ein Änderungsantrag lautete?

Sechs Jahre nach ihrer Gründung und zwei nach dem Fall der Mauer hat die ideologische Krise nun auch diese Gruppierung aus Kommunistischer Partei (PCE), Republikanischer Linker (IR), Linkssozialisten (Pasoc) und Unabhängigen voll erwischt. Der Übermacht der Kommunisten im Bündnis war es lange Zeit gelungen, dem Zeitgeist, der die KPs in Europa zerbröckeln ließ, zu trotzen. „Die anderen gehen uns nichts an. Wir sind mit Izquierda Unida einen neuen Weg gegangen“, hatte der Generalkoordinator von IU und des PCE, Julio Anguita, stolz getönt.

Die Wahlergebnisse, die IU als drittstärkste Partei des Landes mit steigenden Tendenzen ausweist, schienen ihm recht zu geben. Die anderen kleinen Gruppierungen waren lediglich Juniorpartner im Bündnis. Ihr Dissens zur kommunistischen Vormacht diente als Beispiel für die angebliche Pluralität der Gruppe, ohne daß sie deswegen in ihren politischen Positionen darauf Rücksicht genommen hätte.

Interne Kritik

Der Fall der osteuropäischen Regime hat freilich im PCE selbst die Reihen derjenigen gestärkt, die schon seit Jahren ein Abrücken von den traditionellen Positionen forderten. Im Vorfeld des Kongresses, der Izquierda Unida mit einem Partei- und Regierungsprogramm sowie einem Präsidentschaftskandidaten ausstatten sollte, hatten Kritiker der offiziellen Linie eine Strömung namens „Neue Linke“ (Nueva Izquierda) geschaffen. Ihr gehören prominente Mitglieder wie die Abgeordneten Pablo Castellano, der vor Jahren aus der sozialistischen Partei PSOE ausgeschlossen worden war, Cristina Almeida, der dasselbe mit dem PCE passiert war, und Nicolas Sartorius an. Izquierda Unida solle sich in eine richtige Partei verwandeln und die in ihr integrierten Organisationen sich auflösen, lautete die Forderung der sogenannten Erneuerer, während sich die Traditionalisten dagegen stemmten und vorschlugen, Izqierda Unida solle eine Föderation aus Parteien, Gruppen und Einzelpersonen sein.

Der Dissens zog sich durch die gesamte Debatte. Während die Erneuerer durch ein breites Rahmenprogramm auch linke Sozialisten anziehen, Koalitionen mit der Sozialistischen Partei nicht ausschließen und sich der Sozialistischen Internationale annähern wollen, geißelte die Mehrheitsfraktion die Sozialdemokratie und visierte die Überwindung des Kapitalismus an. Während sich die Erneuerer für Maastricht aussprachen, verabschiedete die Versammlung eine Resolution, derzufolge „kein Ja“ zu den Verträgen möglich sei.

Die Diktatur der Mehrheit

Die Auseinandersetzungen wurden offen geführt. Von einem euphemistisch „Pressetribüne“ genannten Hühnerstall aus konnte die Journaille sämtliche Zerreißproben der Koalition in einem Madrider Ausstellungsgebäude mitverfolgen. Die Gereiztheit stieg, während die Mehrheit unbarmherzig sämtliche Anträge in ihre Richtung entschied, so daß der Erneuerer Pablo Castellano am Samstag indirekt mit dem Austritt drohte. Wie klein diese Mehrheit ist, zeigte sich am Sonntag bei der Wahl für den „Politischen Rat“, das wichtigste Leitungsgremium zwischen den Kongressen. 60 Prozent der Delegierten stimmten für die Liste des Traditionalisten Julio Anguita, die Erneuerer kamen — für alle überraschend — mit ihrer von Nicolas Sartorius angeführten Liste auf immerhin 40 Prozent.

In den inhaltlichen Entscheidungen spiegelt sich dieses Verhältnis nicht wider. Die Traditionalisten setzen sich in allen Abstimmungen durch, und ihre Zugpferd, Julio Anguita, wurde zum Generalkoordinator gewählt — alles freilich nur mit den Stimmen der eigenen Leute.

Der Kongreß ist vorbei, jetzt wird zum alltäglichen Kleinkrieg übergegangen. 60 Prozent haben ihr Projekt den anderen 40 Prozent aufgezwungen. Das wird Folgen für die Koalition haben. Auf einen möglichen Bruch kann sich schon jetzt ein dritter freuen: die sozialistische Partei, angeschlagen und müde. Der käme es zupaß, wenn der linke Gegner ausgeknockt zu Boden ginge.