„An der PDS kommt man nicht mehr vorbei!“

Das gute Abschneiden der PDS im Ostteil Berlins bringt Bewegung in die Bezirksparlamente/ Bündnis 90 und die Gysi-Partei diskutieren Zusammenarbeit/ In mehreren Bezirken habe beide eine rechnerische Mehrheit  ■ Aus Berlin CC Malzahn

Gysi geht's gut: Ganz entspannt und rhetorisch auf der Höhe agierte der PDS-Chef am Sonntag abend in der SAT-1-Sendung Talk im Turm. Nach den Stasi-Vorwürfen gegen seine Person war das unerwartet gute Abschneiden der SED-Nachfolgepartei im Osten Berlins offenbar Balsam für seine gepeinigte Seele: Fast jede(r) Dritte, der jenseits des verödeten Grenzstreifens ins Wahllokal ging, machte sein Kreuz bei der PDS. In mehreren Ost-Bezirken wurde Gysis Truppe sogar zur stärksten politischen Kraft. Im Bezirk Hohenschönhausen — im Volksmund gehässig Stasi- City genannt — erreichte die PDS fast 39 Prozent, die SPD landete mit 27,5 Prozent nur auf Platz zwei. „An uns kommt man in Ost-Berlin jetzt nicht mehr vorbei“, erklärte Gysi gutgelaunt nach der Wahl, „im Westen muß uns noch was einfallen!“

Im Westteil der Stadt erreichte die PDS nur kümmerliche 0,9 Prozent, nur in Kreuzberg schaffte die Linkspartei einen Achtungserfolg (2,4 Prozent). Im Wahlkampf hatte die PDS vor allem soziale Themen in den Mittelpunkt gestellt, sie gab sich als Anwältin der kleinen Leute im Osten. Der Versuch, auf Westberliner Boden Fuß zu fassen, scheiterte schon bei den Abgeordnetenhauswahlen im Dezember 1990. Damals war es der PDS immerhin noch gelungen, ein paar abtrünnige Mitglieder der Alternativen Liste zu einer Kandidatur auf ihrer Liste zu bewegen. Doch selbst die paar West-Linken, die in der PDS ein neues Experimentierfeld für sozialistische Politik sahen, verzweifelten nach einiger Zeit am Polit-Konservatismus der Ost-Genossen. Linke, die aus West-Berlin kommen, spielen deshalb in der PDS heute kaum noch eine Rolle — sie kehrten der Partei des Demokratischen Sozialismus nach kurzer Zeit den Rücken.

Das gute Abschneiden der PDS und das jämmerliche Ergebnis der CDU — in keinem Ost- Bezirk erreichten die Christdemokraten mehr als 20 Prozent — bringt nun Bewegung in den Mehrheitsbildungsprozeß der Kommunalparlamente. Denn in vielen Bezirken reichen die Stimmen von SPD und CDU nicht mehr aus, um einen eigenen Kandidaten durchzubringen. Die Anti-PDS- Front scheint aufzuweichen: Während das Bündnis 90 nach den Ostberliner Kommunalwahlen vom Mai 1990 noch jede Kooperation mit der PDS ablehnte, sieht man einer Zusammenarbeit heute gelassener entgegen. Rita Keil vom Geschäftsführenden Ausschuß des Bündnis 90 erklärte dazu auf einer Pressekonferenz, sie wolle grundsätzlich nicht ausschließen, daß sich ihre Partei und die PDS auf Bürgermeisterkandidaten einigen könnten. Schon vorher hatte der Berliner PDS-Landesvorsitzende Andre Brie erklärt, seine Partei sei bereit, Bürgermeisterkandidaten des Bündnis 90 zu unterstützen. In mehreren Bezirken verfügen Bündnis und PDS über eine rechnerische Mehrheit. Auch der Landesgeschäftsführer des Bündnis 90 kann sich eine Kooperation mit der PDS vorstellen, wenn sie „sachlich und in inhaltlicher Überreinstimmung“ verlaufe. Aus dem Bezirk Mitte, so war gestern aus der Gerüchteküche zu hören, wären sogar die Sozialdemokraten unter Umständen bereit, mit der PDS in dieser Frage zusammenzuarbeiten. In der Berliner SPD begann nach den Wahlen zum wiederholten Mal die Diskussion, wie man an das Wählerklientel der PDS herankommen könne. Während der SPD-Landesvorsitzende Walter Momper und der Jugendsenator Thomas Krüger parteiintern für einen moderaten Umgang mit der politischen Konkurrenz plädieren, vertreten Fraktionschef Ditmar Staffelt und die Bürgermeisterin Christine Bergmann dem Vernehmen nach noch immer einen beinharten Anti-PDS-Kurs.

Das gute Abschneiden der PDS zeige, daß die Bürger im Osten mit dem „Kolonialisierungsprozeß“ nicht einverstanden seien, erklärte die Bündnis-90-Vertreterin Rita Keil. Damit liegt sie voll auf PDS-Linie: Das „sehr gute Ergebnis“ seiner Partei sei eine eindeutige Quittung für die Arroganz des Anschlußkurses, erklärte Andre Brie gestern. Das „Gerede vom Auslaufmodell“ PDS habe sich als „frommes Wunschdenken“ erwiesen.