Mit der Volkstanzgruppe ins Rentnerparadies

■ 3. Deutscher Seniorentag in der Deutschlandhalle/ Von grauer Pantherpower fehlte jede Spur/ Statt dessen ward Ringelpiez mit Anfassen feilgeboten, wurde für ehrenamtliche Tätigkeiten geworben und die Aussicht auf luxuriöses Siechtum in modernen Altersheimen beklatscht

Charlottenburg. Beschwörend hebt die Dame im blauen Faltenrock die Arme in die Höhe, während sie gebieterisch »Und jetzt links — hey, und dreimal klatschen« ins Mikrophon posaunt. Damit auch die Kurzsichtigen unter den Damen und Herren im Publikum alles mitbekommen — in der riesigen Halle sitzt man bis zu zweihundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt —, waltet die Turnlehrerin ein zweites Mal im Großformat auf der Videoleinwand hinter ihrem Rücken. Und brav befolgen die auf ihren Stühlen sitzenden Altvorderen die gymnastischen Instruktionen, rufen gehorsam hey und hoy, trippeln im Takt mit den Füßen (»das muß jetzt aber flotter gehen«) und werfen die faltigen Arme in die Luft.

»Mitmachen ist angesagt« — lautet das betont lockere Motto der Großveranstaltung zum Auftakt des Seniorentages. Rund sechstausend RentnerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet ließen sich per Bus und Bahn nach Berlin karren, um über eine aktive und sinnvolle Gestaltung des sogenannten dritten Lebensalters zu sinnieren. Veranstaltet wird das Treffen von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO), einem unabhängigen Zusammenschluß von diversen Senioren-Verbänden, die bundesweit arbeiten und annähernd acht Millionen Menschen vertreten. Arbeitssitzungen mit klangvollen Namen wie »Mein Leben hat Sinn« oder »Beweglichkeit durch Sport, Spiel und Tanz bis ins hohe Alter« laden zu Diskussion beziehungsweise aktiver Beteiligung, zum Ausklang ist eine Podiumsdiskussion mit führenden Politikern aus Bund und Ländern geboten. In den wenig einladend wirkenden Gängen haben die verschiedenen Organisationen ihre Stände aufgebaut. Lange Schlangen vor den Getränkeständen mit rentnerunfreundlichen Preisen; an den sterilen Hartplastikwänden hängen motivierende Poster mit überlebensgroßen Rentnerköpfen: »Immer am Ball bleiben«, sagt da Erika K., 68, während sie mit Halbschalenhelm und Brille etwas skeptisch in die Kamera grinst. Eine der vielversprechendsten Ideen von den anwesenden Organisationen scheint die sogenannte Wissensbörse zu sein, die Menschen aller Altersstufen offensteht, wenn sie Erlerntes kostenlos an Interessierte weitergeben möchten. Ein offensichtlich erfolgreiches Konzept, das bereits bundesweit praktiziert wird. Die Alten zu ehrenamtlicher Tätigkeit zu motivieren ist ein wichtiges Ziel der Veranstalter, und man hat dabei wohl den Abbau des Pflegenotstandes ohne weiteren Kostenaufwand im Hinterkopf.

Auf der Großveranstaltung hat die Bundesseniorenministerin Hannelore Rönsch (CDU) das Wort. Tränendrüsenträchtig beklagt sie die niedrigere Lebenserwartung der Rentner aus dem Osten und verspricht lapidar den Ausbau der Alten- und Pflegeheime der ehemaligen DDR. Frau Dr. Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit und Soziales aus Brandenburg, die mit einer lebensnahen Sprechweise die veränderte und schwierige Lage der Ostrentner beschreibt, erntet als einzige ein leises Murren im Publikum. »Die hält uns wohl für blöde«, sagen dieselben, die die Aussicht auf ein luxuriöseres Siechtum in ausgebauten Altenheimen gerade noch beklatscht hatten. Auch die Berliner Sozialsenatorin Ingrid Stahmer hat wenig Neues für unsere hier versammelten Opas und Omas anzubieten. Lammfromm beklatschen diese eine Zukunft zwischen Krankenhaus und Sozialstation. Zur allgemeinen Befriedung wird ein Brocken Kultur zum Selbermachen Marke »Ringelpiez mit Anfassen« zwischen die altersgeschwächten Füße geworfen. Von grauer Pantherpower fehlt hier jede Spur. Nichtsdestotrotz, die ältere Generation ist sich einig: Als »sehr schön« bewertet man übereinstimmend die Ereignisse des heutigen Tages. Christel Zedler, 67, und Ilse Koch, 72, sind aus Leipzig und seit der Wende bei den »Aktiven Senioren«. Mit Singen, Theaterspielen und Tanzgruppe beschreiben sie ihren Lebensabend als »ziemlich ausgefüllt«.

Unbestrittener Höhepunkt des bunten Nachmittags: Rudi Carrell, der mit stehenden Ovationen den Medienpreis: »Senioren im Fernsehen« für die positive Darstellung älterer Menschen auf dem Bildschirm verliehen bekommt. Er präsentiert zum Dank ein »Rudigramm« an seinen allergrößten Fan, die kürzlich verstorbene Mutter; im Publikum tupft man sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Und mit einem echtem Seniorenwitz verabschiedet der Charmeur sich von der Bühne: »Er ist 91, sie 90, Jahr für Jahr gehen sie um Punkt zehn Uhr ins Bett, und er legt seine Hand auf ihre. Bis sie eines Abends sagt: Du, heute nicht, ich habe nämlich Kopfschmerzen.« Jantje Hannover