Der Fall Fink und die Demonstration des schlechten Gewissens

■ Karl Schwarz, TU-Planungsreferent und nach der Wende vom September 1990 bis Juni 1991 amtierender Kanzler der Humboldt-Universität, zu den Ergebnissen des Falls Fink: Der Senat hat vor Gericht verloren, aber politisch gewonnen, weil die ostdeutschen Humboldtianer kein Verhältnis zum Rechtsstaat haben

taz: Sie haben Ende 1991 das juristisch, politisch und menschlich falsche Vorgehen im Fall Fink kritisiert (siehe taz vom 3. 12. 91). Wie bewerten Sie im Rückblick das Verfahren?

Karl Schwarz: Die Einschätzung muß sich bestätigt fühlen. Obwohl der Senator Erhardt und die Gauck- Behörde immer neues Material nachgeschoben haben, ist das von einem unabhängigen Gericht als nicht tragend bewertet worden. Die entscheidende Bestätigung dieses unguten Gefühls ist eigentlich schon im Januar erfolgt, als das berühmte Belastungsschreiben des Stasi-Generals Mittig, das in dem Brief der Gauck- Behörde, auf den die Kündigung sich stützte, eine zentrale Rolle spielte und das in den Wochen danach in der Gauck-Behörde angeblich nicht auffindbar war, sich als Entlastungsschreiben herausstellte.

Mit der Vorlage dieses Schreibens war urkundlich bewiesen, daß in der Sache Fink von der Gauck-Behörde politisch manipuliert worden ist. Das war eine fundamentale Fehlleistung. Das war der Zeitpunkt, an dem der Senator ein Bedauern hätte äußern müssen für sein Vorgehen. Der Senator hätte sagen müssen, daß er sich getäuscht fühlt, und es hätte in der Gauck-Behörde Reaktionen geben müssen. Es hätte auch in der Öffentlichkeit anders reagiert werden müssen, als es geschehen ist. Daß diese Fehlleistung der Gauck-Behörde praktisch folgenlos geblieben ist, war ein Zeichen, daß die ganze Stasi- Diskussion bereits sehr weitgehend auf ein falsches Gleis geraten war.

Der Senat hat mit der Stimmungsmache letztlich sein Ziel erreicht, auch wenn er auf der juristischen Ebene nicht erfolgreich war.

Ja, das ist die Folge der Art, wie diese Stasi-Diskussion sich entwickelt hat, vor allem im Osten. Die Ossis haben kein Verhältnis zum Rechtsstaat. Das klingt zwar arrogant, aber es ist so. Ich habe noch keinen getroffen, der wirklich versteht, was Rechtsstaat ist und welchen Wert dies bedeutet. Sie sind gewöhnt, alle Probleme zu vermauscheln; sie sind nicht gewöhnt, daß Probleme als Konfliktentscheidungen ausgetragen werden, und sie scheuen deshalb Konfliktentscheidungen wie der Teufel das Weihwasser. Sie können deshalb auch nicht, wenn ihnen eine Konfliktentscheidung in Gestalt eines Gerichtsspruches zufällt, damit etwas Angemessenes machen. Auch dann sind sie sofort wieder bereit, dies als politisches Kleingeld zu verscherbeln.

Das stärkste Argument, was der Senator ins Feld führen kann für seine Aktionen im Fall Fink und wie er überhaupt mit der Humboldt-Universität umspringt, ist die Art und Weise, wie die Universität hierauf reagiert. So wie sie auf den Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens in Sachen Fink reagiert hat, wirkt es wie eine Demonstration des schlechten Gewissens. Das ist das Verhalten von jemandem, der sich doch irgendwie ertappt fühlt.

Heinrich Fink stand dafür, einen eigenständigen Weg der Erneuerung zu versuchen. Diesen Weg hat die Humboldt-Universität selbst beendet.

Was Fink vertrat, war, eine Erneuerung zu versuchen, auch mit den vorhandenen Menschen. Dahinter stand schon ein bißchen das Pathos der eigenen Kraft. Die Frage, wie groß die eigene Kraft ist, war dabei immer offen. Die eigene Kraft ist natürlich an einer so belasteten Universität, wo so viele etwas zu verbergen haben und nicht mit sich im reinen sein können, eine problematische Größe. Eine Entwicklung der eigenen Potentiale aber hätte daher nur gehen können bei Hilfestellung durch den Westen. Dieser Wille, positive Ansätze der Selbsterneuerung zu unterstützen, aber war von Anfang an nicht vorhanden. Dann hätte als eine der ersten Maßnahmen ein Überleitungsgesetz erlassen werden müssen, das Klarheit geschaffen hätte, unter welchen prozeduralen wie inhaltlichen Voraussetzungen jemand als Hochschullehrer übernommen werden kann. Wenn damit Sicherheit geschaffen worden wäre, daß die in einem seriösen Verfahren — natürlich unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus dem Westen — positiv Bewerteten in die neue Struktur übernommen werden, dann hätte die Chance einer sachbezogenen inneren Ausdifferenzierung bestanden. Zusammen mit den hinzukommenden Lehrkräften aus dem Westen hätte es dann vielleicht eine Entwicklung der »inneren Erneuerung« geben können.

Dadurch, daß dies nicht geschehen ist, sind natürlich alle inneren Evaluationsprozesse desavouiert worden. Eine positive Evaluation bedeutet nichts, wenn die Perspektive als Professor doch ausschließlich einem Berufungsverfahren überantwortet bleibt, in dem — wenn es »korrekt« zugeht — die vorhandenen Stelleninhaber gegen die westliche Konkurrenz durchweg keine Chance haben. Da es ganz ohne Ossis nicht geht, ist man als Konsequenz da, wo es opportun erscheint, eben »großzügig«. So wird die Institution des Berufungsverfahrens korrumpiert, aber man erreicht auch eine Ausdifferenzierung, wenn auch nicht an der Linie einer Auseinandersetzung um innere Erneuerung. Das Verfahren bestätigt das Grundverständnis des Ossis von der Erklärung der Welt aus dem Geiste der Mauschelei und fordert dazu auf, auf diesem Weg das individuelle Glück zu suchen.

Hat der Jurist Uwe Wesel recht, wenn er sagt, der Senat führe nicht nur den Kampf gegen die alten Seilschaften, sondern auch einen Kampf gegen das Linke, gegen die Elemente der 68er Kultur in der Person Fink?

Das verkennt unter anderem, daß die Politik der Abwicklung ja bereits formuliert worden ist unter Rot- Grün von Frau Riedmüller, die ja selber eine aktive 68erin war. Zur Erklärung des Ganzen reicht völlig aus, daß man es einordnet in die allgemeine Arroganz und Ignoranz, mit der auf vielen Ebenen die Einigung betrieben wurde. Nach dem Motto, daß man nur unsere Mechanismen übertragen und die von uns ausgesuchten richtigen Leute an die richtigen Stellen setzen muß; dann läuft das schon.

Die Humboldt-Uni hat es dem Senat aber auch leichtgemacht mit ihrem Verhalten.

Es hat nach dem Spruch des Gerichts jeder normaldenkende Mensch erwarten müssen, daß Herr Fink am Tage danach wieder sein Amt in Anspruch nimmt. Er ist ja des Amtes nie durch einen besonderen Akt des Senators enthoben worden. Dieser hatte ja ausdrücklich erklärt, es bedarf keines Enthebungsaktes, weil das Amt automatisch wegfällt mit der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung. Ergo war mit der Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses auch das Rektoramt wieder da. Die Tatsache, daß die Universität zu dieser Klarheit nicht gefunden hat, ist ihrerseits ein Akt der Desavouierung dieses Gerichtsurteils und natürlich auch eine Desavouierung allen vorherigen Engagements gegen die Kündigung. Es ist ein typisches Beispiel für die Unfähigkeit dieses Milieus, politisch zu handeln und zu denken und Konflikte auszutragen.

Das heißt nicht, daß Fink in dieser Situation unbedingt der ideale Rektor ist. So hätten ihm auch seine Freunde raten können, sofort nach Wiederaufnahme des Amtes zu erklären, daß er für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung stehe. Er hätte auch das Amt wieder antreten können, um unmittelbar danach zu erklären, daß er einen der Prorektoren bitte, bis auf weiteres die Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Es ging um die rechtliche Konsequenz aus dem Urteil. Diese Konsequenz ist weder von ihm noch von der Universität gezogen worden. Darin kann der Senator Erhardt eine gewisse politische Rechtfertigung seines Vorgehens sehen.

Bleiben sie bei ihrem anläßlich der Fink-Entlassung geäußerten Urteil, die politischen Werte der Bundesrepublik drohten zu verfallen? Schließlich haben sich auf der juristischen Ebene die Werte bestätigt, nur die Menschen an der Humboldt-Universität haben dem nicht genügt.

Man kann nicht sagen, daß dieser Rechtsstaat bisher die Segel gestrichen hätte. All die Urteile, die der Senat im Zusammenhang mit der Abwicklung kassiert hat, muß man auch als eine Bestätigung des Rechtsstaats verstehen. Andererseits sind die Zeichen der Verwilderung von Rechtskultur eigentlich auf den verschiedensten Ebenen erschreckend zu erleben. Ich habe den Eindruck, daß die Diskrepanz zwischen den Lösungskonzepten und den realen Problemen inzwischen so groß geworden ist, daß die Politiker in einer neuen Weise zu rabiaten Methoden neigen, sich immer häufiger auch unter ihrem persönlichen Niveau vergreifen, wie zum Beispiel an der Reaktion auf das Urteil des Arbeitsgerichts zu beobachten war. Ich betrachte dies als Ausdruck einer Hilflosigkeit gegenüber den Problemen und auch der Unfähigkeit, die eigenen Lösungsmodelle in Frage zu stellen. Man verfolgt eine fixe Idee und notfalls muß das Recht und die Wirklichkeit sich diesen fixen Ideen unterordnen.

Es kommt auch von den Abgeordneten der Bürgerrechtsbewegung keine einzige praktikable Initiative. Ihre Spezialität ist jetzt der Moralismus und das Anheizen dieser Stasi- Debatte. Weggeschoben werden dabei die formalen Regularien, die die schnellen Prozesse behindern könnten. Das ist ein Prozeß, der mir Angst macht: Probleme, die nicht mehr lösbar sind, eine mutwilliger werdende Politik und eine moralisierende Suche nach Schuldigen auf seiten ehrenwerter Kräfte der ehemaligen DDR-Opposition. Da braucht man nicht gleich um den Rechtsstaat insgesamt zu fürchten, aber es ist keine Stimmung, die das Lösen von Sachproblemen erleichtert.

Aber es gab doch eine politische Debatte um den Fall Fink. Diese Debatte war doch nicht unsinnig, weil es die Kriterien für eine solche Auseinandersetzung geschärft hat.

Was an realen Problemen trotz allem auf den Tisch gekommen ist, ist im Fall Stolpe geschehen. Diejenigen Kräfte, die sich jetzt hinter Stolpe stellen, haben sich im Fall Fink teilweise ganz anders verhalten, weil Fink eben nicht eine parteipolitisch wichtige Figur ist und weil seine Rolle auch eine andere war. Bei Fink ist nichts belegt, was der Intensität der Stasi-Kontakte Stolpes entspricht. Im Gegenteil ist an direkten Stasi-Kontakten überhaupt nichts bewiesen, außer dem, was Fink selbst eingeräumt hat.

Und das waren keine offenen Stasi-Kontakte, sondern waren dienstliche Kontakte, bei denen Fink davon ausgeht, daß Stasi-Mitarbeiter dabei waren. Auf der anderen Seite hat Fink natürlich eine andere Vergangenheit als Stolpe. Stolpe hatte eine wichtige Rolle im Widerstandsbemühen der Kirche, und Fink war ein angepaßter Theologe. Insofern verstehe ich auch, daß Bürgerrechtler oder auch die SPD mit der politischen Figur Fink Probleme haben. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß sie die verschiedenen Ebenen der politischen Vergangenheit und Stasi-Problematik nicht auseinanderhalten, sondern beides vermischen.

... und die politische Zielvorstellung für die Humboldt-Universität wird auch noch vermischt.

Richtig. Es ist doch so: Alles, was es in der Humboldt-Universität heute überhaupt an realer Substanz für eine Erneuerung gibt, ist — direkt oder indirekt — das Ergebnis von Initiativen, die von Fink beziehungsweise unter seinem Rektorat und mit seiner Unterstützung auf den Weg gebracht wurden. Das gilt für die Arbeit der von der Hochschule eingesetzten Personal- und Strukturkommissionen. Es gilt für den Ehrenausschuß. Es gilt selbst für die Berufungsbilanz, auf die der Senator so stolz ist: Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Abwicklung war es Fink, der dafür gesorgt hat, daß die vom Senator für die Abwicklungsbereiche eingesetzten Struktur- und Berufungskommissionen weiterarbeiten konnten. Auf Finks persönliche Initiative ging das erste »Tribunal« zurück, das im Herbst 1991 an der Universität für den Bereich Geschichte durchgeführt wurde — lange bevor der Begriff in die politische Diskussion eingespeist wurde. Daß aus diesem Tribunal nichts weiter folgte, war eine unmittelbare Folge der Abwicklungsentscheidung der Landesregierung. Von Fink wurde bereits im Januar 1991 der Personalkommission eine erste Kündigungsvorlage mit zwanzig Bedarfskündigungen für die Abwicklungsbereiche vorgelegt. Die Senatsverwaltung glaubte es nicht nötig zu haben, sich mit ihr zu befassen. Sie hatte die »Abwicklung«. Die Universität wäre auch auf diesem Felde heute erheblich weiter, wäre man Fink gefolgt.

Daß in der politischen Polemik zu allem das Gegenteil behauptet wird, ist ein Aspekt der wachsenden Macht der Idée fixe über die Wirklichkeit. In der Universität war das Bewußtsein von diesen Zusammenhängen im November 1991 lebendig und stimulierte die Proteste gegen die Kündigung Finks. Aber es war keine Aktion, bei der die politisch führenden Personen mit vollem Herzen dabei waren. Dort war man teilweise erschrocken über die massive Solidarität mit Fink. Im Gegenteil. Die Bereitschaft abzurücken, war bei den parteipolitisch gebundenen Kräften sehr, sehr groß. Mit Stolpe aber sind diese Kräfte existentiell verbunden. Deswegen legen sie dort ganz andere Maßstäbe an, als sie im Fall Fink bereit waren. Im Fall Fink haben sie sich um Maßstäbe bald gar nicht mehr gekümmert. Sie haben sich in die Büsche geschlagen, als es prekär wurde und von ihnen Konsequenz verlangt wurde. Der Fall Stolpe hat aber trotzdem das Gute, daß erstens die Schludereien und die tendenziösen Praktiken der Gauck-Behörde, die im Fall Fink durchgingen, nun bei Stolpe nicht durchgehen. Zum anderen ist es positiv, daß die Frage, wie ein »Sicheinlassen« mit dem alten Regime zu bewerten ist, nun differenziert angegangen wird.

Es geht durchaus zusammen, zu sagen, Stolpe ist ein ehrenwerter Mann, eignet sich aber dennoch nicht als Ministerpräsident in dieser schwierigen Phase der Entwicklung einer neuen demokratischen Kultur. Genauso kann man sagen, Fink war der Rektor des Übergangs und er hat dabei sehr Konstruktives geleistet, trotzdem war seine Einbindung in das alte Regime solcherart, daß er für die nächste Phase der Humboldt- Universität ins zweite Glied zurücktreten sollte. Dies betrifft die Fragen des notwendigen Elitewechsels. Sie hätten im Fall Fink angestanden im Zusammenhang der turnusmäßigen Neuwahl des Rektors. Aber, wie ich meine geliebten Ossis kenne, hätten sie diese Diskussion auch dann nicht geführt, weil sie dann hätten auftreten müssen und etwas hätten sagen müssen, und das ist ja das letzte, was sie wollen. Sie wollen alles unter der Decke halten und notfalls wird jemand mit dem Stasi-Vorwurf beiseite geschafft, wenn er im Wege steht. Der muß sich dann auch selber opfern, auch das gehört zu dieser Sichtweise. Die können sich gar nicht vorstellen, daß es darum gehen kann, daß einer Einzelperson recht geschieht, insbesondere, wenn es eine problematische Person ist. Den Gedanken, daß einem Menschen Gerechtigkeit widerfahren soll, selbst dann, und gerade dann, wenn man mit ihm nicht sympathisiert können die überhaupt nicht nachvollziehen.

Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski