Peinliches Schweigen betr.: "Tod und Trauer" (Im Konflikt zwischen Staat un RAF scheint auf beiden Seiten die Fähigkeit zur Vergangenheitsaufarbeitung noch nicht entwickelt), taz vom 18.5.92

betr.: „Tod und Trauer“ (Im Konflikt zwischen Staat und RAF scheint auf beiden Seiten die Fähigkeit zur Vergangenheitsaufarbeitung noch nicht entwickelt),

taz vom 18.5.92

Wenn man Klaus Jünschkes Gedankenspiel verfolgt, so stellt sich zunächst diese Frage: Wenn die RAF- Regierung (welche es nach ihrem Selbstverständnis in einer Form der jetzigen ähnlich, niemals geben dürfte) sich gegenüber „Staatsfeinden“ ebenso wie der derzeitige Staat verhalten würde, was spräche denn in Kreisen der Bürgerlichen, welchen es scheinbar nur um die objektive Gerechtigkeit geht, in diesem Punkt gegen eine solche Regierung? Die Gefahr jeder kommunistischen oder sozialistischen Bewegung liegt darin, daß durch die Konzentration auf entweder eine Klasse oder auf „vernünftige“ Kräfte in ihrem Sinne, im Falle einer „Machtübernahme sich in eine diktatorische Herrschaft verkehrt, daß die angestrebte Anarchie im Angesicht zu erwartender Probleme sich in eine der Arroganz der Macht verfallene Hierarchie verwandelt, welche dann dem zuvor mit ehrlicher Überzeugung bekämpften System unter einem anderen Überwurf weitgehend gliche.

Nur, in der kommunistischen Idee der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ist ein Verhalten wie in Jünschkes Gedankenspiel unrechtmäßig, während es vom kapitalistischen System von vornherein legitimiert ist.

Die RAF hoffte auf die Reaktion des Volkes, auf dessen Wunsch nach Freiheit und der daraus notwendigerweise folgenden Reaktion. Doch sie scheiterte an den Menschen, welche konsumorientiert, bequem und mit aller Macht nach Anpassung streben, sich am liebsten der selbsternannten „Mittelklasse“ zuzählen, nach oben schielen und lächeln, während sie nach unten treten und sich abgrenzen.

Es ist eine bittere Erfahrung, wenn man sieht, wie die ohnmächtige Wut und Verzweiflung dieser linken KämpferInnen unberücksichtigt bleiben, welche einem bei der Erkenntnis der Verlogenheit der „gutbürgerlichen“ Gesellschaft in „alltäglichsten“ Situationen überfällt.

Die RAFlerInnen werden in den meisten Fällen diese Erfahrung gemacht haben, die Verzweiflung und Ohnmacht verwandeln sich nach gescheiterten Diskussionsversuchen in Wut und Haß, Haß, der sich jedoch nicht gegen die „verführten Menschen“ richtet, sondern gegen die Urheber und Beherrscher, die Wut hat den hohen Anspruch, das Leid anderer als ein an einem selbst begangenes Unrecht zu empfinden.

Die erschütternde, fast rührende Sorge der RAF in ihrem Schreiben vom 10.April 1992 über den Rechtsruck in Deutschland ist auch ein Beweis dafür, daß die RAF nicht nur zu einem perfektionierten, hierarchischen Killerkommando geworden ist — wenn auch einige notwendige Äußerungen schmerzlich vermißt werden —, sondern daß es noch immer Menschen sind, die nicht ihrer Feigheit nachgaben und den Rückzug in die Sprücheklopferei antraten, sondern sich zu — vielleicht auch ungemäßem — Handeln entschlossen.

Sollte die Linke an der bitteren Erkenntnis scheitern, daß rechts und links in der „doitschen“ Politik und Justiz noch immer mit zweierlei Maß gemessen wird, daß rechte Gruppierungen und Agitatoren von der Polizei eskortiert und geschützt und Linke angeblich zur Vermeidung von Gewalt teilweise brutal zusammengeschlagen oder abgedrängt werden? Sollte sie daran scheitern, daß die neonazistische Bewegung, deren Erstarken, Ernsthaftigkeit und Radikalität einem aus eigener Erfahrung bedrohlich bekannt ist, [...] weiterhin von den „Volks“parteien als arme, unsichere junge Menschen abgetan wird? Oder daran, daß rechte Ideen und Parteien von den „etablierten Parteien“ hoffähig gemacht und dadurch abgetötet werden, daß man deren Positionen übernimmt?

Sollten der Antikapitalismus und andere linke Bewegungen an der immer stärkeren wirtschaftlichen Orientierung aller Entscheidungen auf politischer Ebene scheitern, an der immer stärkeren Konsumorientierung, Kampf ums Geld und schließlich an der immer größeren Gewaltbereitschaft des neuen Imperialismus und Kolonialismus der starken Abhebung der politischen Klasse gegenüber dem Volk? Sollten die vielleicht idealistisch verbrämten Ideen an der Bereitschaft der Menschen scheitern, politische Skandale, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung nach kurzer alibiartiger „Betroffenheit“ wehrlos entgegenzunehmen? Oder sollte nicht gerade hieraus eine verstärkte, dringend notwendige linke Bewegung entstehen, könnte nicht ein Klima geschaffen werden, in dem die RAF, falls sie sich auf gewaltfreies Terrain begäbe, nicht unterginge und politisch verfolgt würde, und sollten nicht endlich die schmerzlichen vermißten klaren Worte der linken Parteien gesprochen werden?

Seither herrscht nichts als peinliches Schweigen oder bewußt übertriebene Abwehrreaktion und betont Nichtssagendes, um das eigene Überleben scheinbar zu sichern. Wir dürfen nicht die pervertierte Utopie des „real existierenden Sozialismus“ als Scheitern der linken Idee ansehen, sondern einen ehrlichen, menschenwürdigen Widerstand verfechten. Simone Tezer, Remshalden