KOMMENTAR
: Kein Gaullismus à la italienne

■ In Italien wurde der Christdemokrat Scalfaro zum neuen Staatspräsidenten gewählt

Vor der Wahl Anfang April waren sich Politiker wie Volk in einem einig gewesen: Diesmal konnte, ja mußte es das Ende jener Gerontokratie sein, die Italien seit zwei Jahrzehnten beherrscht. Doch nun ist alles anders: Zwar hat ihr herausragendster und fähigster Vertreter, der bisherige Ministerpräsident Giulio Andreotti, seinen Traum auf das Staatspräsidentenamt ausgeträumt— die sich überstürzenden Ereignisse nach der Ermordung des ehemaligen Anti-Mafia-Ermittlers Falcone ließen seine Strategie scheitern, auch wenn er damit politisch noch längst nicht am Ende ist.

Doch kassieren nun Craxi und seine Sozialisten, die sich Hoffnungen auf freie Hand in Italiens Politik gemacht hatten, einen Schlag nach dem anderen. Die Partei, die bis vor wenigen Monaten die VIPS und die Aufsteiger geradezu magisch angezogen hat und die trotz neokonservativen Zuschnitts als zukunftsweisendste Formation Italiens galt, befindet sich in freiem Fall. Er hat mit der bedenkenlosen Übernahme des einst von den Christdemokraten kultivierten Systems der gnadenlosen Ausbeutung des Staates und der skrupellosen Ausnutzung der Macht überzogen.

Die Schläge sind gar nicht mehr zu zählen: zuerst die Verhaftung eines engen politischen Mitarbeiters von Craxis Sohn Bobo, dann Ermittlungsverfahren gegen Craxis Schwager Pillitteri und den amtierenden Tourismusminister Tognoli. Danach der Stimmenrückgang bei der Wahl Anfang April, schließlich das Durchfallen von Craxis Präsidentschaftskandidat Vassalli. Gekrönt wurde die Kette von Mißerfolgen von der Bestimmung Oscar Luigi Scalfaros zum Staatspräsidenten: Der nämlich ist der beste Garant dafür, daß aus Craxis Lieblingsprojekt, der Einführung einer auf ihn zugeschnittenen Präsidialrepublik nach dem Muster de Gaulles, auf absehbare Zeit nichts wird.

Natürlich wird er nicht aufgeben. Zumal eine Stabilisierung der in den letzten Wochen sichtbar gewordenen Achse zwischen Christdemokraten und der KP-Nachfolgeorganisation PDS die Sozialisten endgültig aus dem Machtapparat hinausdrängen könnte. So muß Craxi alles dransetzen, doch noch das Amt des Ministerpräsidenten zu ergattern. Der Preis wird hoch sein: Der Sozialistenchef wäre dann ohne jegliche Machtbasis und müßte möglicherweise die immer selbstbewußter werdende PDS in die Regierung nehmen. Er hat nur die Wahl, abzutreten oder sich unter die Fuchtel genau jener zu stellen, die er bis vor kurzem noch in der Wählergunst überholen zu können glaubte. Werner Raith, Rom