„Ich finde Ihren Widerstand ja auch richtig“

Autonome Frauen besetzten gestern das hessische Sozialministerium/ Frauenhäuser warten seit Monaten auf Geld  ■ Aus Wiesbaden Heide Platen

„Ach bitte, bleiben Sie doch noch!“, sagte die Staatssekretärin gestern vormittag im hessischen Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zu den Besetzerinnen. Für eine Stunde war der Sitzungssaal im achten Stock des Ministeriums von rund 50 Frauen aus den autonomen Frauenhäusern okkupiert worden. Sie wurden höflich, wenn auch nicht gerade mit Begeisterung begrüßt. Die Stimmung war eher frostig, enttäuschte Erwartungen, Frustration und Unsicherheit in der Rollenfindung auf beiden Seiten deutlich spürbar. Die Frauen siezten sich. Die Staatssekretärin stellte sich der Debatte für ihre Ministerin Iris Blaul. Brigitte Sellach, deren Parteikarriere bei den Grünen als Vertreterin der autonomen Frauen begonnen hatte, hörte die Proteste der Frauen an, versuchte, den bürokratischen Weg bei der Förderung der Frauenhäuser verständlich zu machen und mußte doch einräumen: „Wir haben alle Fehler dieser Welt gemacht.“

Dann gab sie zu bedenken, daß eine gemeinsame Gesprächsbasis schwer zu finden sei, wenn sie im Ministerium gezwungen seien, das knappe Geld gerecht zu verteilen, die Frauen aber keine Kompromisse wollen: „Ich finde Ihren Widerstand ja auch richtig.“ Sprecherinnen der Frauen erinnerten an die erste rot-grüne Koalition in Hessen, bei der es noch geklappt habe, Richtlinien gemeinsam zu erarbeiten. Überdeutlich stand im Raum, daß sie sich diesmal übergangen fühlten: „Da hat sich was zwischen uns geändert.“ Und: „Das ist ja wie bei der CDU. Und das finden wir sehr, sehr traurig.“ Sie möchten der Bitte von Staatssekretärin Sellach, ihr jenseits aller Kontroversen zu vertrauen, nicht mehr folgen. Die Basis dafür sei zerstört.

Materiell ging es den Frauen vor allem um die Auszahlung des „Geldtopfes“, dessen Inhalt 1991 von drei auf sechs Millionen Mark aufgestockt worden war. Diese Erhöhung, die noch dazu bisher nicht ausgezahlt ist, sei eigentlich gar keine. Der alte Betrag sei seinerzeit auf elf Frauenhäuser verteilt worden, die sechs Millionen müßten inzwischen aber für 33 Projekte reichen. Da das Geld nicht gekommen sei, hätten neue Stellen nicht besetzt werden können: „Die können wir schließlich nicht monatelang vorfinanzieren.“ Sellach verwies immer wieder auf den „demokratischen, rechtsförmigen Weg des Geldes“, der eben ein langer sei. Erst wenn die neuen Richtlinien endgültig abgesegnet seien, könne gezahlt werden. Und die bedürften noch der Zustimmung der kommunalen Behörden und der freien Trägerverbände. Erst dann würden sie zur Unterschrift an die Frauenhäuser gesandt, die den Entwurf bisher noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Im Vorfeld hatten informierte Kreise bemängelt, daß die neuen Förderrichtlinien schärfere Kontrollen vorsehen als die der ersten rot-grünen Koalition, strengere Anforderungen an die Qualifikation gestellt werden, das Gehalt und die Stellenzahl pro Haus zu niedrig seien.

Die politischen Kontroversen zwischen dem Ministerium einerseits, den grünen Frauen und der Landtagsfraktion und den autonomen Frauen andererseits schwelten eher unter der Decke und konnten nur schwer benannt werden. Die Frauen sahen sich durch die ministerielle Verfahrensweise in ihrem politisch-feministischen Anspruch nicht ernst genommen, sondern „mehr und mehr in Richtung Sozialarbeit wie jede andere auch abgedrängt“. Außerdem bangen sie um ihre Autonomie, wenn sie ihren Etat nicht mehr mit „vereinfachten Verwendungsnachweisen“ selbst verwalten und Stellen in eigener Regie besetzen dürfen. Staatssekretärin Sellach sagte zu, den Frauen bis zum Beginn der kommenden Woche einen „öffentlichen Gesprächstermin“ mit Ministerin Blaul zu nennen.