PORTRÄT
: Ein Verlegenheitskandidat in der Stunde der Not

■ Oscar Luigi Scalfaro (73), Italiens neuer Präsident, verdankt seine Wahl dem Attentat auf Anti-Mafia-Richter Falcone

Zu den „Papapili“, wie Italiens Medien nach dem Wort für Papst-Kandidaten auch ihre Präsidentschaftsanwärter nennen, gehörte Oscar Luigi Scalfaro schon seit vielen Jahren. Der 73jährige Piemontese reinsten Wassers mit einem unüberhörbaren Akzent und einem Dickschädel, wie ihn nur noch sein Vor-Vorgänger, der Sozialist Sandro Pertini, vorweisen konnte, ist zwar nie durch kühne Zukunftsperspektiven oder politische Projekte, durch schlagkräftige Verwaltung von ihm innegehabter Ministerien — vom Transportwesen bis zum Inneren — aufgefallen. Dafür aber hat er in zahlreichen Situationen Stehvermögen gezeigt, wo andere windelweich waren oder zu taktieren versuchten.

Unvergessen bleibt, wie er als Eröffnungspräsident nach der Wahl 1983 dem „Potere operaio“- Vordenker Toni Negri, der aus dem Gefängnis heraus in die Abgeordnetenkammer gewählt worden war, gegen wütende Handgreiflichkeiten der Neofaschisten in einer halbstündigen Schlacht den Weg ins Parlament freiräumen ließ.

Scalfaro gehört zu jenen hundertfünfzigprozentigen Katholiken, die selbst dem Papst noch eine Lektion erteilen würden, käme er ihren Überzeugungen in die Quere. Mit seinem Staatspräsidenten und nunmehrigen Vorgänger, dem Christdemokraten Francesco Cossiga, legte er sich, als Kammer-Vizepräsident, öffentlich an, als dieser in den letzten beiden Jahren völlig aus dem Ruder lief — und kassierte mit gedeckeltem, aber nicht geducktem Kopf böse Anwürfe des Staatsoberhaupts. Die herumschwirrenden Projekte für eine Präsidialrepublik nach dem Muster de Gaulles in Frankreich könnten keinen entschlosseneren Gegner haben als ihn. Darum schluckten die Sozialisten, die ebendiese „Zweite Republik“ durchsetzen wollen, Scalfaros Kandidatur auch nur mit dem bekannten Kröten-Gesicht. Aus anderen Gründen waren ein Teil der ehemaligen Kommunisten im neuen Partito democratico della sinistra sowie die Rifondazione comunista gegen Scalfaro: Sie kreideten ihm, wie die langjährige Parlamentspräsidentin Nilde Iotti erklärte, vor allem an, „daß er ideologisch innerhalb der Democrazia cristiana immer weit rechts stand“.

Doch Sozialisten wie Linksdemokraten hatten in diesem Moment nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Scalfaro nehmen oder bei den Verlierern zu sein. Verlieren aber können sich in Italien — das Land setzt nur auf Sieger — die Parteivorsitzenden kaum leisten. Die Mehrheit, die sich im Parlament abzeichnete, stieg von Stunde zu Stunde. Am Ende waren nur noch die Rifondazione comunista, die Neofaschisten und die Republikanische Partei, die ihren Senatspräsidenten Spadolini ins höchste Staatsamt hieven wollten, geschlossen gegen Scalfaro.

Dennoch verdankt Scalfaro seine Wahl nicht seiner integren Persönlichkeit, und schon gar nicht der — an sich vorher so hoch angesetzten — Erwartung auf die dringend notwendige Erneuerung der italienischen Politik. Vielmehr sahen sich die Wahlmänner gezwungen, nach dem grauenhaften Attentat auf den Mafia-Spezialisten Giovanni Falcone — das ganz Italien erschüttert hat wie keine Bluttat zuvor —, nach mittlerweile 15 vergeblichen Wahlgängen schnellstmöglich einen Nachfolger für Cossiga zu bestimmen.

Politisch bürgt der neue Präsident eher für den Erhalt des Vorhandenen, was aber in der derzeitigen Umbruchsituation nicht unbedingt von Nachteil sein muß. Überzeugter Verteidiger der parlamentarischen Demokratie, wird er wohl sein Prestige dafür einsetzen, keine traumatischen Verfassungsänderungen zuzulassen und sich gleichzeitig um die in vielen Bereichen getretenen Menschenrechte zu kümmern. Nach den Exzessen seines Vorgängers Cossiga, der von der Manie unentwegter Fernsehpräsenz geplagt war, unbeherrscht Rundumschläge gegen Institutionen, Politiker, Presseleute und Privatmenschen austeilte und illegale Einrichtungen wie die Nato-Geheimstruktur „Gladio“ oder Dunkelmänner aus der kriminellen Loge „Propaganda 2“ verteidigte, erhoffen sich die Italiener von ihrem neuen Landesvater eine eher integrative Wirkung.